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RAUB/0879: Die Freiheit, die soziale Marktwirtschaft meint ... (SB)



Die soziale Marktwirtschaft bringt das Beste im einzelnen Menschen wie in der gesamten Gesellschaft hervor. Freiheitliche Selbstbestimmung und soziale Verantwortung gehen Hand in Hand, wenn der Kapitalismus auf ordoliberale Weise moderiert wird, und als marktwirtschaftlich agierendes Unternehmen in Staatshand verkörpert die Deutsche Bahn AG dieses Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell auf exemplarische Weise. Wieso also war es erforderlich, alle ein- und ausgehenden E-Mails sowie die interne Kommunikation der Mitarbeiter einer Art von Rasterfahndung auszusetzen, die Korrespondenz zwischen Gewerkschaftern und Betriebsräten minutiös auszuspähen und Listen über mißliebige Journalisten und Wissenschaftler anzulegen?

Weil auch in der sozialen Marktwirtschaft niemandem zu trauen ist, handelt es sich beim andern doch stets um einen Konkurrenten. Weil Korruptionsbekämpfung in ihrer extensiven Form nichts anderes meint, als daß die Arbeiterschaft in ihren Ansprüchen kurzgehalten und in ihre individuellen Einzelteile zerlegt werden muß. Die freiheitlichen Ideale, die dieses System auf seine Fahnen geschrieben hat, um alternative Entwürfe sozialistischer Art an den Pranger unterdrückerischen und armutsträchtigen Scheiterns zu stellen, reduzieren sich in der umfassenden Bespitzelung von Arbeitern und Angestellten auf das Privileg derjenigen, die es sich leisten können, technische und personelle Abwehrmaßnahmen gegen unerwünschte Dritte zu bezahlen.

Für alle anderen bleibt die präventive Gefahrenabwehr handlungsleitend. Ihre Rechte und Freiheiten werden nicht nur bei der Bahn, sondern auch anderen Großunternehmen geringgeschätzt, und dies gilt um so mehr, als sich mit der Krise des Kapitalismus akute Angst vor dem Absturz ins Elend der Erwerbslosigkeit zu den angeblichen Vorzügen der sozialen Marktwirtschaft gesellt. Damit sich an der nichtvorhandenen Kampfbereitschaft der Lohn- und Versorgungsabhängigen nichts ändert, darf das System allgegenwärtiger Überwachung keineswegs geschwächt werden. Um dies zu gewährleisten und nicht an den Grundfesten des herrschenden Systems zu rütteln, bleiben drängende Fragen ungestellt. Statt dessen wird heftig darüber debattiert, ob Bahn-Chef Hartmut Mehdorn nicht endlich in seinen wohlverdienten, von keinen materiellen Sorge behelligten Ruhestand ziehen sollte.

28. März 2009