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RAUB/0885: Systemtypischer Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko (SB)



Obgleich die Herkunft der aktuellen Schweinegrippe-Epidemie unter der Bevölkerung vor allem in Mexiko noch nicht restlos geklärt ist, scheint es kein Zufall zu sein, daß der Ausbruch ausgerechnet in einer dicht bevölkerten Metropole wie Mexiko City mit seinen mehr als 20 Millionen Einwohnern erfolgte. In diesem subtropischen Schmelztiegel leben Menschen und Tiere dicht auf dicht, teils unter ärmlichsten Verhältnissen in nur notdürftig versorgten Slums. Mexico City wie auch andere Metropolen der ärmeren und Schwellenländer sind eine typische Folge der jahrzehntelangen Politik der Vertreibung der Landbevölkerung. Solche riesigen urbanen Cluster wären ohne eine Gesellschaftsordnung, in der die Landenteignung der Kleinbauern und umgekehrt die Inbesitznahme von Ländereien durch eine kleine Oberschicht gefördert, die Landwirtschaft insgesamt industriealisiert und gezielt landwirtschaftliche Arbeitskräfte für das Industriekapital freigesetzt werden, gar nicht erst entstanden.

Es wird noch zu klären sein, woher genau das Schweinevirus stammt, dem in Mexiko offenbar bereits mehr als einhundert Einwohner zum Opfer gefallen sind. Es wäre allerdings nicht verwunderlich, wenn abgesehen von der Urbanisierung auch die industrielle Massentierhaltung zumindest indirekt an der Entstehung der Seuche, die sich womöglich zu einer Pandemie entwickelt, beteiligt wäre. Denn Tierfabriken stellen Brutherde für hochgefährliche Keime dar und können nur deshalb wirtschaften, weil die Tiere mit Pharmazeutika vollgepumpt werden. Nur durch einen massiven Einsatz teils sehr starker antiviraler und antibakterieller Medikamente gelingt es den Tierfabriken, Krankheiten einzudämmen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daß ausgerechnet jene Orte, an denen die größten Mengen an Medikamenten und die stärksten Mittel eingesetzt werden - da sind neben Tierfabriken vor allem Krankenhäuser zu nennen -, zugleich die gefährlichsten, multiresistenten Erreger hervorbringen.

So wie im Erdreich unter unseren Füßen gnadenlose Vernichtungskämpfe zwischen Bakterien, Pilzen und allen möglichen Arten von Mikroorganismen stattfinden und diese ihre Waffen permanent weiterentwickeln - nicht zufällig stammt der Klassiker der Antibiotika, das Penicillin, von einem Schimmelpilz ab -, so stellen sich die Erreger auch auf die von Menschen gegen sie ins Feld geführten chemischen und biologischen Kampfstoffe ein und machen sie unwirksam. Das kann eine Entwicklung fördern, bei der die Erreger die Artengrenze überschreiten.

Selbst wenn in diesem konkreten Fall der Übertragung der Schweinegrippe Influenza A H1N1 auf den Menschen nicht die industrielle Massentierhaltung in Mexiko als Ausgangspunkt der Seuche identifiziert werden sollte, besteht mit einiger Berechtigung der Verdacht, daß Massentierhaltungen ein unkalkulierbarer Risikofaktor für einen solchen Ausbruch sind.

Spätestens seit dem SARS-Ausbruch im November 2002 und der auch für Experten erschreckend schnellen Ausbreitung des als Verursacher identifizierten Coronavirus steht fest, daß die Gefahr einer lebensgefährlichen Pandemie im Zuge der Globalisierung extrem zugenommen hat. Der weltweite Austausch von Waren sorgt gemeinsam mit dem regen Reiseverkehr im Rahmen der Produktion und Reproduktion der zur Bereitstellung ihrer Arbeitskraft genötigten Menschen dafür, daß sich erst gar keine Fronten der Seuchenausbreitung bilden, sondern daß eine Infektionskrankheit von Beginn an entufert. Die Erkrankungen schwappen nicht als Welle von einem Land ins nächste, sondern dringen weltweit an verschiedenen Orten zugleich vor. So wurden abgesehen von Mexikos nördlichem Nachbarn USA Schweinegrippe-Fälle auch in Kanada und Spanien bestätigt; Verdachtsfälle gibt es unter anderem in Neuseeland und Frankreich.

Die Ausrufung des nationalen Gesundheitsalarms in den USA, das für Donnerstag außerplanmäßig anberaumte Treffen der EU-Gesundheitsminister und das Treffen des Notfallkomitees der Weltgesundheitsorganisation stellen keinen blinden Aktionismus der Regierungen und Behörden dar, sondern sind als klares Indiz zu werten, daß eine Übertragung des Schweinegrippevirus von Mensch zu Mensch per Tröpfcheninfektion das Potential hat, sich zu einer Pandemie zu entwickeln, die viele Opfer fordern könnte. Wenn allerdings in den Medien die Erklärung verbreitet wird, daß die Krankheit nicht in erster Linie geschwächte Menschen wie Kleinkinder und Senioren befällt, sondern Menschen im mittleren Alter, dann schwingt, abgesehen vom seuchenmedizinischen Aspekt dieser Aussagen, ein Unterton mit, daß es ausgerechnet die kräftige, also arbeitsfähige und gesellschaftlich wertvolle Bevölkerungsschicht betrifft.

Die Maßnahmen, die die mexikanische Regierung zur Eindämmung der Epidemie vorgenommen hat - beispielsweise das Durchsuchen der Wohnungen von Infizierten durch Soldaten - erscheinen aus seuchenpolitischen Gründen sinnvoll und damit scheinbar nicht zu hinterfragen. Jedoch haben Massentierhaltung, Urbanisierung und Globalisierung, jene Wegbegleiter und Garanten des vollverfügten Menschen, der seinen einzigen Lebenszweck in der Bereitstellung seiner Arbeitskraft sieht, Bedingungen geschaffen, auf die der einzelne weniger Einfluß denn je nehmen und denen er sich auch nicht entziehen kann.

Öffentliche Veranstaltungen, Museen, Schulen und Kindergärten bleiben im Zentrums des mexikanischen Ausbruchsgebiets geschlossen. Nur die Arbeit geht weiter, die Fließbänder müssen laufen. Die Furcht der mexikanischen Regierung vor wirtschaftlichen Einbußen , sollte sie auch die Produktion einstellen - was aus medizinischer Sicht eine nicht zu unterschätzende Quarantänemaßnahme darstellte - ist berechtigt, gründet sich allerdings nur darin, daß im kapitalistischen System alle gnadenlos abgestraft werden, die auch nur vorübergehend eine Auszeit nehmen wollen. Wohingegen in einer Staatenordnung, die nicht von Profitmaximierung beherrscht wäre, Mexiko ohne Nachteile zu erleiden auch die Betriebe schließen könnte, um die potentiellen Übertragungswege der Influenza so gering wie möglich zu halten und Menschenleben zu schützen. Auch das ist ein Grund, warum die Influenza-Epidemie als systemtypisch bezeichnet werden kann.

27. April 2009