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RAUB/0931: Wer hätte das gedacht ... Sarrazins Äußerungen "eindeutig rassistisch" (SB)



Das mußte einem ersteinmal vom Experten gesagt werden. Die Berliner SPD-Verbände Alt-Pankow und Spandau haben den Politologen Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam beauftragt, das Interview in Lettre International, in dem der SPD-Politiker und aktive Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin seinen Ansichten über Menschen, die ihm zufolge nicht nach Berlin gehören, freien Lauf ließ, auf seinen rassistischen Gehalt hin zu überprüfen. Wie kaum anders zu erwarten gelangte Botsch zu dem Urteil, daß Sarrazins Aussagen "in zentralen Passagen eindeutig als rassistisch zu betrachten" seien. Wie der Spandauer SPD-Kreisvorsitzende Raed Saleh im Tagesspiegel (10.01.2010) erläuterte, habe man diesen Wissenschaftler herangezogen, um durch dessen Außensicht dem dem Anliegen seines Kreisverbands mehr Gewicht zu geben, Sarrazin aus der SPD auszuschließen.

Zwar mag es angesichts der Unterstützung, die Sarrazin durch den SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf zuteil wurde, von praktischem Nutzen gewesen sein, das Offenkundige quasi mit Brief und Siegel zu verifizieren. Doch trifft die Entscheidung der Schiedskommission seines Heimatsverbands, Sarrazin habe mit seinen Aussagen weder parteischädigend noch ehrlos gehandelt, gar keine Aussage zum ideologischen Gehalt des Interviews. Der von Sarrazin repräsentierte Sozialrassismus entspricht durchaus der Demagogie des ehemaligen Parteichefs Franz Müntefering, als dieser erklärte, daß wer nicht arbeitet, auch nicht essen solle. Auch unter Sozialdemokraten findet ein bürgerlicher Chauvinismus, der von jeglichen gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen abstrahiert, um Menschen, die nicht mithalten können, zu bezichtigen, sie seien selbst an ihrer desolaten Lage schuld, seine Fürsprecher. So kann ein Sarrazin der SPD durchaus Sympathisanten zutreiben, sprich der Partei nützen, anstatt sie zu schädigen. Ehre gebührt bekanntermaßen demjenigen, dem Ehre gebührt, und das waren in der spezifischen Geschichte dieses Begriffs meist diejenigen, die die Interessen der Herrschenden vertraten.

Erschreckend an dem Interview mit Sarrazin waren weniger dessen rassistische und elitäre Ansichten als das breite, bis in die Kommentare der großen Zeitungen reichende Verständnis für diesen Ausbund an sozialer Feindseligkeit. Botsch stellt mit seinem Urteil nichts fest, was man nicht schon vorher wußte, wenn man Rassismus für eine letztendlich vernichtende Selbstbehauptungsstragie hält. Auch der von Botsch verwendete Begriff des "sozialen Rassismus", dem Sarrazin mit der "Verbindung von Abstammung und einer bestimmten Schichtzugehörigkeit im Sinne von Vererbung" (Südeutsche Zeitung, 08.01.2010) fröne, teilt nichts mit, was man nicht schon vor drei Monaten bekannt war, auch wenn dieser Aspekt von den großen Medien häufig ignoriert wurde.

Anstatt sich offensiv mit der Kampfansage auseinanderzusetzen, die Sarrazin als Herold der neokonservativen Rechten an alle Bundesbürger, die noch den Anspruch auf eine egalitäre Gesellschaft hochhalten, ausgesprochen hat, wurde ein Mantel des Schweigens über den Zuspruch gelegt, dessen sich der SPD-Politiker gewiß sein konnte. Diese Strategie der öffentlichen Schadensbegrenzung, die auch durch ein gegen ihn eröffnetes Parteiauschlußverfahren nicht durchbrochen würde, weil dieses lediglich der Selbstvergewisserung linker SPDler diente, drückt nichts anderes aus, als daß die Sozialrassisten Rückenwind haben. Sie sind die eigentlichen Krisengewinnler, werden nach der angeblichen Überwindung der Wirtschaftskrise doch die Schrauben mit dem Argument angezogen, daß "systemrelevante" Banken eben wichtiger seien als eine angemessene Ernährung für Erwerbslose, als die Beseitigung der Kinderarmut oder als kostengünstige Schwimmbäder und Kulturleistungen für die breite Bevölkerung.

So fordert der sogenannte Wirtschaftsweise Wolfgang Franz die Senkung des Hartz-IV-Regelsatzes von 359 auf 251 Euro, und zwar im Rahmen eines Kombilohnmodells, bei dem Arbeitslose mehr hinzuverdienen können. Falls sie auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Stelle finden, dann sollen sie bei Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden angestellt werden, um bis zur Höhe des ungekürzten Regelsatzes hinzuverdienen zu können (Welt Online, 05.01.2010). Da ausreichend bezahlte Lohnarbeit künftig noch knapper werden wird, läuft das Konzept dieses Volkswirtschaftlers auf Zwangsarbeitmodelle hinaus, mit der auch noch die regulär Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes unter Druck gesetzt werden.

Man kann sich vorstellen, daß Wissenschaftler vom neofeudalen Schlag eines Franz ganz den Vorstellungen Sarrazins von den Ergebnissen einer Hochschullandschaft entsprechen, deren Universitäten "nur noch die Besten" aufnehmen, um von "Massenbewältigung auf Qualität" umzuschalten. Sarrazins Werben für Berlin als "Stadt der Elite" exerziert für die Bundeshauptstadt vor, was die neokonservative Rechte für die ganze Republik verwirklichen will. Wer nicht zum "produktiven Kreislauf von Menschen, die Arbeit haben und gebraucht werden", gehört, der "muß sich auswachsen", und zwar nicht nur, wenn er zur migrantischen Bevölkerung gehört. Wenn, wie in Berlin, "vierzig Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden", so daß der "Anteil der intelligenten Leistungsträger aus demographischen Gründen kontinuierlich fällt", dann bleiben nur noch Zwangsmaßnahmen in Arbeits-, Sozial- und Bevölkerungspolitik.

Um solche Aussagen wie die hier aus Lettre International (Heft 86, Oktober 2009) zitierten als sozialrassistisch zu erkennen bedarf es keiner wissenschaftlichen Expertise. Es bedarf lediglich der klaren Sicht darauf, daß der Marsch in eine Gesellschaft, in der sich das atomisierte Subjekt kannibalisiert, weil es den Streit mit den Herrschenden fürchtet, nicht damit aufzuhalten ist, daß man dem tagtäglichen Affront hinterherläuft und darüber vergißt, ihm mit dem Mittel solidarischen Zusammenhalts in den Weg zu treten.

12. Januar 2010