Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/0937: In Sarrazins Fußstapfen ... sozialrassistische Diffamierung hat Konjunktur (SB)



Wenn wirtschaftlich nichts läuft, dann hat die Verunglimpfung von Menschen, die man glaubt, dafür verantwortlich machen zu können, Hochkonjunktur. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Regelsätzen muß die Jagdsaison auf Leistungsempfänger zwar nicht eigens eröffnet werden, wie die schon zuvor laufende Kampagne gegen angebliche "Hartz-IV-Schmarotzer" der Bild-Zeitung belegt. Durch nichts als den Versuch, Sündenböcke für die desaströsen Folgen der eigenen neoliberalen Politik zu finden, begründete Mutmaßungen über die Empfänger staatlicher Leistungen erfreuen sich in Abwehr einer Erhöhung der Regelsätze um so größerer Beliebtheit.

Zweifellos den Vogel sozialrassistischer Bösartigkeit abgeschossen hat der FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Lindner mit seiner Warnung, durch die Anhebung der Hartz-IV-Bezüge könnten Anreize geschaffen werden, "dass man übers Kinderkriegen Geld verdienen kann". Wie hat man sich vorzustellen, was sich in der Fantasie dieses Politikers abspielt, wenn er insbesondere Frauen unterstellt, aus ökonomischer Nutzenerwägung heraus Kinder in die Welt zu setzen? Begeben sie sich auf die Suche nach einem Mann, der sich dafür zur Verfügung stellt, ihnen als alleinerziehender Mutter das Privileg zu bescheren, zu einer Gruppe der Bevölkerung zu gehören, die über das größte Armutsrisiko verfügt? Nehmen sie gar die Krankenkasse in Anspruch, um sich per künstlicher Befruchtung eine Freikarte ins Sozialparadies Deutschland zu verschaffen?

Lindner greift mit der Behauptung, man könne in der Bundesrepublik "übers Kinderkriegen Geld verdienen", ein bekanntes, frauen- wie schwarzenfeindliches Stereotyp der US-amerikanischen Rechten auf. Als "Welfare Queens" werden dort vornehmlich schwarze, alleinerziehende Mütter diffamiert, die sich angeblich nur aus dem einen Grund haben schwängern lassen, um den ehrlichen Steuerzahler durch den Erhalt von Sozialleistungen zu betrügen. Dieser in dreifacher Hinsicht rassistische, weil Schwarze, Frauen und Arme in einem Zug diffamierende Begriff hat zur Akzeptanz der sogenannten Sozialreform des ehemaligen US-Präsident Bill Clinton, die die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zeitlich befristet und mittellose Menschen anschließend zu einer lebensbedrohlichen Elendsexistenz verurteilt, maßgeblich beigetragen.

Noch vor wenigen Jahren schlugen um Deutschland besorgte Politiker Demographiealarm. Die Bevölkerung überaltere und drohe letztendlich auszusterben, so die Schreckensprognose einer Nationaleugenik, derzufolge die Bundesbürger nicht reproduktionswillig genug seien, um den ökonomischen Erhalt ihrer Gesellschaft zu gewährleisten. Schon damals wurde die Aufforderung, mehr Kinder in die Welt zu setzen, sozial selektiv propagiert. Anstelle kinderreicher "Unterschichtenfamilien" sollten bessergestellte Ehepaare etwa durch ein sie begünstigendes Elterngeld dazu motiviert werden, sich fortzupflanzen.

Lindner hält es heute um so mehr mit dem populistischen Gedröhne eines Thilo Sarrazin, dem ein Mensch nur vollwertig erscheint, wenn er in seinem Sinne "produktiv" ist. Wenn schon Kinder, dann bitteschön als Elitennachwuchs. Da Armut durch die immer häufiger unumkehrbare Arbeitslosigkeit und die immer höheren Klassenschranken vererbbar ist, haben Sozialrassisten wie Lindner und Sarrazin leichtes Spiel. Sie schlagen in die Kerbe eines Klassenantagonismus, dessen Existenz in dem Ausmaße bestritten wird, als die davon Betroffenen bezichtigt werden, selbst an ihrem desolaten Schicksal schuld zu sein.

11. Februar 2010