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RAUB/1016: Somalias Piraten bald auch an Land im Visier der EU-Mission "Atalanta" (SB)



Somalia ist ein von ausländischen Interessen arg gebeuteltes Land. Dort tragen die Erzrivalen Äthiopien und Eritrea einen Stellvertreterkrieg aus; der politische Islam versucht in Somalia Fuß zu fassen; und die USA beschießen seit Jahren immer mal wieder mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder. Die kenianische Armee hat südliche Regionen des Landes besetzt, Truppen Ugandas, Burundis und Dschibutis sichern im Rahmen der AU-Mission AMISOM Teile der Hauptstadt Mogadischu, und vor der Küste tummelt sich ein Großaufgebot an Kriegsschiffen aller Herren Länder, um Versorgungsschiffe des Welternährungsprogramms WFP vor Piratenüberfällen zu schützen und Geleitschutz für den internationalen Schiffsverkehr zu liefern.

Daran ist auch die Europäische Union mit der NAVFOR-Mission "Atalanta" beteiligt. Am 20. Dezember hat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU den britischen Befehlshaber dieser Mission mit einer Modifikation des Operationsplans und der Einsatzregeln beauftragt. Demnach sollen die EU-Marinesoldaten auch das Recht erhalten, "Piraterielogistik am Strand" zu zerstören, wie es ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums formuliert hat.

Schon jetzt ist klar, daß die Zerstörung von Booten und Material am Strand irgendwann nicht mehr genügen wird, dann werden auch die Einrichtungen der Seeräuber im Landesinnern ins Visier genommen und weitere "Modifikationen" der EU-Mission erforderlich machen. Abgesehen davon wird es kaum zu unterscheiden sein, ob es sich um Boote von Piraten oder unbescholtenen Fischern handelt - zwei Berufsgruppen, die zudem eine beträchtliche Schnittmenge aufweisen.

Der UN-Sicherheitsrat erlaubt bezogen auf Somalia bereits das Verfolgen und Stellen von Piraten bis an Land. Die EU dreht das Interventionskarussel weiter. Wem immer damit geholfen werden soll, Somalia bzw. was von dem ursprünglichen, kolonialzeitlichen Staatskonstrukt noch übrig ist, nutzt es nichts, wenn es auf diese Weise mehr und mehr zur bloßen Manvröriermasse fremdnütziger Interessen gerät. Die Piraterie ist im übrigen nicht nur Ursprung, sondern Folge einer Intervention. Im Jahr 2006 hatten Kämpfer der islamischen Gerichtshöfe weite Teile Somalias kontrolliert und auch die Piraterie weitgehend unterbunden. Am zweiten Weihnachtstag jenes Jahres jedoch drangen äthiopische Soldaten, unterstützt von den USA und Großbritannien, in Somalia ein, vertrieben die sogenannten Islamisten und installierten eine im Exil gebildete "Übergangsregierung". Anschließend entwickelte sich die Piraterie zu einem vitalen Wirtschaftszweig und lieferte den Vorwand für weitere Interventionen.

Mit Einmischungen, wie sie "Atalanta" demnächst vornehmen will, soll rechtskräftig werden, was Frankreich bereits durch die Verfolgung der Entführer der Jacht "Le Ponant" im April 2011 sogar ins Landesinnere praktiziert hat. Somalia wird erst dann geholfen sein, wenn sich sämtliche Interventionisten aus dem Land zurückziehen und keinerlei Ränkspiele mehr von außen initiiert oder forciert werden.

In Abwandlung des Brecht-Zitats "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" wäre zu fragen: Was ist der illegale Raub im Rahmen der Piraterie gegen den legalen Raub im Rahmen der Verwertung menschlicher Arbeit und Kapitalakkumulation? Auch wenn zu vermuten ist, daß in Somalia von jener Seeräuberromantik, wonach die Beute unter allen Beteiligten gleichmäßig aufgeteilt wird, also eine Art sozialistische Kleingesellschaft betrieben wird, kaum etwas anzutreffen sein dürfte, spiegelt das Piratengeschäft am Horn von Afrika lediglich im kleinen Maßstab die Umverteilung von unten nach oben wider, die weltweit im großen Stil läuft und immensen Reichtum bei wenigen, existenzgefährdende Armut bei vielen Menschen ermöglicht hat.

30. Dezember 2011