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RAUB/1044: Lohnabhängige in den USA und China gegeneinander ausspielen (SB)




In der zweiten Debatte mit US-Präsident Barack Obama hat der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, China bezichtigt, seine Währung Yuan künstlich niedrig halten und damit Arbeitsplätze in den USA zu vernichten. Er antwortete damit auf die Moderatorin, die die Fertigung der Geräte des IT-Konzerns Apple in China zum Anlaß der Frage genommen hatte, wie der künftige Präsident ein US-Unternehmen wie dieses dazu bringen könne, die Fertigung seiner Produkte wieder die USA zurückzuverlagern [1].

Romneys Antwort darauf verlief ganz im Geiste des in den USA seit längerem üblichen China-Bashing, das niemals frei von rassistischen wie antikommunistischen Ressentiments ist. So raube die Volksrepublik geistiges Eigentum aller Art wie das Design und die Technik in den USA entwickelter Geräte, in China würde Produktpiraterie mit gefälschten Apple-Geräten betrieben, außerdem dringe man von dort in US-Rechner ein, um Wirtschaftsspionage zu betreiben. Kurzum, China ist der Hort allen Übels, während das US-amerikanische Kapital nur das Wohl der Lohnabhängigen im Sinn hat, wollte Romney glauben machen, um naßforsch zu behaupten, die USA könnten mit jedem konkurrieren, wenn der Wettbewerb nur auf gleicher Höhe ausgetragen werde.

Der US-Millionär, der Präsident werden werden will, tritt im Wahlkampf mit der Eigenwerbung an, als Unternehmer besonders kompetent für die Schaffung neuer Jobs zu sein. Seine Erklärung indes, das Outsourcing von Lohnarbeit nach China sei Folge eines betrügerischen Vorgehens von Chinesen, ist nichts anderes als eine Form populistischer Hetze, die schlimmstenfalls auf Krieg hinausläuft. Längst gehört das rhetorische Einprügeln auf China unter US-Eliten, die sich ein ähnlich geartetes Polemisieren gegen westliche Regierungen niemals herausnähmen, was den funktionalen Charakter ihres Rassismus hervorhebt, zum guten Ton. Dabei böte die Geschichte der Ausbeutung chinesischer Arbeit in den USA selbst allen Anlaß, mit derartigen Anwürfen nicht anders umzugehen wie etwa mit antisemitischen Vorurteilen.

Wie sozialchauvinistisch der Vorzeigekapitalist Romney darüberhinaus argumentiert, belegt die Behauptung, ein Wettbewerb mit China, wenn er nur auf Augenhöhe verliefe, bevorteile US-amerikanische Lohnabhängige. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Lohnabhängige in den USA ihre Arbeitskraft selbst bei einem ihre Volkswirtschaft begünstigenden Währungsverhältnis auf vergleichbare Weise günstig an Apple und Konsorten verkaufen wollten, dann wäre die Reproduktion ihrer Arbeitskraft bei dem in den USA üblichen Preisniveau für Waren und Dienstleistungen nicht zu gewährleisten. Wenn China frei nach Romney auf Höhe der USA käme, dann hielten dort chinesische Verhältnisse Einzug. Bei allen Fortschritten, die die chinesische Gesellschaft mit ihrem staatskapitalistischen Modell gemacht hat, wäre eine noch größere Verarmung der Masse der US-Bürger, als es bereits der Fall ist, Voraussetzung wie Folge einer solchen Nivellierung der Produktivität.

Der von China verlangten Aufwertung des Yuan stände ein Abwertung des Dollar gegenüber, die zwar die in Peking aufgehäufte US-Staatsschuld, die die Exporte der chinesischen Wirtschaft in die USA bezahlbar macht, abschmelzen würde. Sie würde aber auch alle Importe in die USA verteuern, darunter auch für die US-Industrie unentbehrliche Rohstoffe. Nur weil für den in den USA gepflegten Konsum ein großes Handelsbilanzdefizit gegenüber warenexportierenden Staaten wie China in Kauf genommen wird, kann er überhaupt auf diesem Niveau aufrechterhalten werden. Nur weil die Arbeiterinnen und Arbeiter Chinas die Fetischobjekte des westlichen Konsumismus unter ausbeuterischen Bedingungen fertigen, sind diese in den USA und der EU auch für durchschnittlich verdienende Lohnempfänger erschwinglich. Die Einebnung des pazifischen Defizitkreislaufs hätte schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft, weil China die hohen Wachstumsraten nicht mehr aufrechterhalten könnte und der Ausfall der bislang von Peking erworbenen US-Staatsanleihen den Dollar weiter schwächte, wodurch die USA als nach wie vor wichtiger Abnehmer der Überproduktion dritter Länder ausfiele.

Wettbewerb auf gleicher Höhe mit China ist genau das, was ein Unternehmer wie Romney, der an billiger Lohnarbeit interessiert ist, nicht will. Er will den Lohnabhängigen seines Landes keine Arbeitsmöglichkeiten verschaffen, die ihnen Dasein ermöglichen, wie es ihm genehm ist, sondern ihnen kostengünstige Arbeit abpressen, also ähnliche Verluste an Einkommen und Lebensqualität bescheren wie ihren chinesischen Kolleginnen und Kollegen. Sein Versuch, das Elend der Lohnarbeit mit rassistischer und nationalistischer Hetze in die nach unten offene Konkurrenz zu treiben, ist die klassische Strategie jeder Bourgeoisie, die die anwachsende Verarmung des Proletariats nicht rechtfertigen kann, weil nur manifest wird, daß sie nichts anderes als dies betreibt.

Ausgeschlossen werden kann auf jeden Fall, daß die Angleichung der Produktivität Chinas und der USA den amerikanischen Lohnabhängigen das Leben leichter machte. Sie müßten nicht nur weitere Lohneinbußen hinnehmen, sondern erheblichen Konsumverzicht leisten. Wenn die Güter des täglichen Lebens, die für große Teile der Bevölkerung in den USA noch erschwinglich sind, nicht auf dem Rücken chinesischer Lohnsklaven erwirtschaftet würden, dann näherte sich die US-Gesellschaft einer revolutionären Situation, weil das anwachsende Elend den dort herrschenden Klassenantagonismus bis zur Unerträglichkeit verschärfte.

Das geschieht schon jetzt, wie etwa die Zahl von offiziell 50 Millionen Menschen in den USA belegt, die in Nahrungsmittelunsicherheit leben, das heißt immer wieder hungern müssen. Bräche der noch vorhandene, wenn auch zusehends mager werdende Speckgürtel der Mittelschicht weg, dann näherte sich die Einkommens- und Vermögensverteilung allmählich dem von der Occupy-Bewegung propagierten Verhältnis der 99 gegen 1 Prozent. Ohne die billigen Waren aus China wäre der soziale Frieden in den USA nicht mehr zu garantieren, was allerdings auch für die Volksrepublik gelten würde. Wenn die US-Gesellschaft als wichtigste Abnehmerin weltweit produzierter Waren ausfiele, dann bräche auch in anderen Ländern, in die China exportiert, die ohnehin nah der Rezession siedelnde Konjunktur zusammen. Auch die Exporte deutscher Unternehmen nach China wären gefährdet, denn sie werden indirekt durch die Aufrechterhaltung des ökonomischen Gefälles zwischen den USA und China alimentiert.

Wenn der in China eingeschlagene, auf massivem Warenexport abonnierte Wachstumspfad kollabierte, weil die Weltwirtschaft aufgrund der unbewältigten Widersprüche kapitalistischer Verwertung insgesamt in die Rezession geriete, dann stände die für den chinesischen Sozialismus virulente Frage, ob dieser angebliche Umweg in ein gerechteres China nicht doch in eine unumkehrbare Klassengesellschaft führt, wieder auf der Agenda. In Anbetracht der Ausbeutung, denen chinesische Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesetzt sind, wenn sie Güter für den globalen Handel produzieren, die sich viele Chinesen nicht leisten können, um ihren Oligarchen Einkünfte aus einem kapitalistischen Weltsystem zu bescheren, das wie ein Untoter von einer längst abgelaufenen Lebenszeit zehrt, könnte sich die Weiterentwicklung dieser Frage als Kurskorrektur in Richtung auf das ursprünglich ins Auge gefaßte Ziel der sozialen Revolution erweisen.

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Obama-vs-Romney-Apple-als-Diskussionsstoff-im-Wahlkampf-1731288.html

20. Oktober 2012