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RAUB/1067: Anonymer Zahlungsverkehr bedroht - als "Verbraucher" totalerfaßt (SB)




Um die Einführung eines gemeinsamen europäischen Marktes für elektronische Bezahlsysteme, die die EU-Kommission mit der vor kurzem vorgestellten neuen Richtlinie über Zahlungsdienste (PSD 2) plant, auf den Weg zu bringen, wird mit Kostenvorteilen für Kunden und Anbieter wie auch der größeren Sicherheit sogenannter digitaler Geldbörsen geworben. Allein die Umstellung auf elektronische Abrechnungen im zu schaffenden einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) und die dadurch reduzierten Transaktionskosten sollen Händlern wie Käufern erhebliche Vorteile verschaffen, der dadurch stimulierte Wettbewerb zwischen den Anbietern elektronischer Zahlungsmittel soll ebenfalls den Nutzern bargeldloser Zahlungsverfahren zugutekommen, und überhaupt soll die digitale, etwa mit biometrischen Authentifizierungsverfahren zu öffnende Brieftasche weit sicherer als jede konventionelle Geldbörse sein.

Bei dieser Initiative geht es um nichts Geringeres als die perspektivische Abschaffung von Bargeld, wie der Verweis der EU-Kommission auf die durch den Zahlungsverkehr mit Scheinen und Münzen entstehenden Kosten, die sich bei ihrer vollständigen Abschaffung einsparen ließen [1], als auch die bereits von der EZB erwogene Abschaffung des 500-Euro-Scheins [2] erkennen lassen. Rund drei Prozent des europäischen Bruttoinlandprodukts sollen auf die Verwendung von Bargeld, also die Kosten für seine Herstellung, seinen Umlauf und seine Verwaltung, entfallen. Bezeichnenderweise wird das Thema Datenschutz in den Ankündigungen der EU-Kommission weitgehend ausgespart. Das ist kein Zufall, sondern hat System, liegt doch auf der Hand, daß der elektronische Zahlungsverkehr, ob er nun über E-Cards, Smartphones oder Tablet-PCs vollzogen wird, auf die gleiche Weise zum Objekt nachrichtendienstlicher Begierden wird, wie es bei allen anderen datenelektronischen Spuren ist, die der Mensch längst nicht mehr nur im virtuellen, sondern ganz realen Raum hinterläßt.

Was bei der NSA-Spähaffäre überdeutlich geworden ist, läßt sich erst recht auf das zentrale Element des Tauschwertäquivalents Geld anwenden. Die Erfassung und Auswertung all dessen, was den Menschen in seiner vergesellschafteten Existenz ausmacht, hat mit der informationstechnischen Durchdringung aller Lebensbereiche ein enormes Potential an administrativer Kontrollgewalt freigesetzt. Der immer wieder von Sicherheitsbehörden und anderen Agenturen staatlicher Verfügungsgewalt aufkommende Ruf nach der Beendigung der Anonymität im Internet belegt, daß die nicht vollständig zu vollziehende Identifizierung der Personenidentität vor dem Hintergrund einer Kontrollgewalt, die in den Augen ihrer Sachwalter erst dann ihrem Anspruch gerecht wird, wenn Sicherheit absolut gesetzt wird, als wesentliche Lücke in der Totalität dieser Maxime gilt. Erst dann, wenn alle E-Mails, Postings, Webseiten-Aufrufe, Lokalisationsdaten und Geschäftsvorgänge mit einer konkreten Person verknüpfbar sind, soll dem öffentlichen Sicherheitsinteresse aus Sicht der Apologeten des starken Staates Genüge getan sein.

Da der Mensch vor allem durch seine Teilhabe an Produktion und Reproduktion gesellschaftlich bestimmbar Mensch ist, eröffnet die Erfaßbarkeit all seiner mit Geldtransfer verbundenen Aktivitäten ein noch gar nicht auslotbares Ausmaß an bürokratischen, organisatorischen und kosteneffizienten Nutzeffekten. Was in der Rechenschaftspflicht für Hartz-IV-Empfänger hinsichtlich ihres Vermögens, Einkommens und Konsums längst sozialadministrative Realität ist, holt mit der Kontrolle selbst geringfügiger Geldbewegungen auch alle anderen Bürger ein. Mögliche Folgen wie Aufschläge auf Krankenkassenbeiträge durch den Erwerb von Alkohol und Tabak, die Aufstellung einer individuellen Ökobilanz, der exakte Nachweis der fiskalischen Bringschuld, die Erweiterung von Persönlichkeitsprofilen durch die Auswertung kultureller und politischer Vorlieben, die der Kauf von Büchern, der Besuch von Kinos oder Spenden an soziale Organisationen erkennen lassen, oder selektive Konsumverbote bei Straftätern sind so naheliegend wie erweiterbar.

Der Angriff auf das anonyme Bargeld bedient sich einer mehrheitsträchtigen Forderung und könnte in Zeiten des angeheizten Sozialneids durchaus erfolgreich zum Ziel gebracht werden. Wie heise online berichtet [3], könnte eine Richtlinie der EU zur Bekämpfung der Geldwäsche dazu führen, daß kein elektronischer Zahlungsvorgang mehr anonym bleiben wird, also auch die bislang noch gültige Grenze von bis zu 100 Euro fiele. Ein erster Vorstoß der Bundesregierung scheiterte 2011 am Widerstand der Datenschützer und der davon betroffenen Anbieter von Prepaid-Zahlsystemen. Nun soll über die EU-Kommission nachgebessert werden, und wie der Zufall es will, fällt diese Initiative genau in den Zeitraum, in dem elektronische Bezahlsysteme EU-weit harmonisiert werden sollen. Es bleibt zu hoffen, daß die extensive Diskussion über die US-amerikanischen und britischen Spähangriffe die Sensibilität für den hohen Wert erhöht, der den verbliebenen Möglichkeiten zukommt, selbstbestimmt und autonom leben zu können. Die Dystopie, mit jedem Schritt und Tritt lokalisiert zu werden, bei jeder Aufnahme der Videoüberwachung mit Namensschild versehen zu sein, bei jedem Kommentar im sozialen Netzwerk auf seine politische Zuverlässigkeit geprüft zu werden, mit allen möglichen biometrischen Verfahren zur Preisgabe seiner Identität gezwungen zu werden, als "Verbraucher" totalerfaßt zu werden, ist längst in greifbare Nähe gerückt.


Fußnote:

[1] http://www.euractiv.de/druck-version/linkdossier/psd-iban-sepa-die-neue-eu-richtlinie-ueber-zahlungsdienste-000148

[2] http://www.n-tv.de/ratgeber/Warum-Bruessel-die-Abschaffung-plant-article10644306.html

[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Geldwaescherichtlinie-Aus-fuer-anonyme-Bezahldienste-befuerchtet-1934920.html

18. August 2013