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RAUB/1081: Militarisierung der Flüchtlingsabwehr - Kampfansage an die Elenden (SB)



Die weitere Militarisierung der Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer teilt den Verfolgten und Unterdrückten, den Elenden und Hungrigen dieser Welt nur eins mit - ihr seid unerwünscht. Natürlich wird dies nicht offen gesagt, sondern in der üblichen Zweigleisigkeit von humanitärer Rhetorik und realpolitischem Vollzug so unangreifbar gemacht, daß niemand in der Fortsetzung des massenhaften Sterbens moralisch oder gar rechtlich haftbar gemacht werden kann. Unter der Prämisse, daß es zuallerst darum gehe, Menschenleben zu retten, wird genau das nicht getan. Indem die EU-Mitgliedstaaten beschließen, offensiv gegen Schleuser vorzugehen und mögliche Flüchtlingsboote vor ihrem Gebrauch zu zerstören, ziehen sie die Mauern der Festung Europa noch ein wenig höher.

Die sogenannte Schleuserkriminalität als Verbrechen anzuprangern und mit aller Härte zu bekämpfen dient dazu, die vielen Fluchtgründe der Menschen auf die Aktivitäten der Fluchthelfer zu reduzieren. Daß diese dem herrschenden Glauben an die Regulative des Marktes gemäß nichts weiter tun, als eine Nachfrage zu bedienen, war etwa bei den Fluchthelfern, die Ausreisewillige aus der DDR geschmuggelt haben, nie ein Problem. Im Falle der in Nordafrika agierenden Schleuser hingegen wird der Eindruck erweckt, allein das Angebot dieser Fluchtmöglichkeit bringe das Problem des massenhaften Ertrinkens im Mittelmeer hervor.

Indem nun überlegt wird, wie man den ohnehin auf einen Türspalt begrenzten Zugang für Flüchtlinge zur EU noch wirksamer einschränken kann, nimmt die Europäische Union die Maske der Wertegemeinschaft vollends ab. Dahinter tritt das Gesicht eines Gewaltverhältnisses hervor, das nicht nur für die Menschen sichtbar wird, die sich ihren Außengrenzen nähern, ohne die dazu erforderlichen Papiere oder andere Qualifikationen zu haben. Die in aller Offenheit an den Tag gelegte Härte der Flüchtlingsabwehr richtet sich auch gegen Bevölkerungen innerhalb der EU, die zwar einen legalen Status besitzen, jedoch aufgrund ihrer materiellen Armut, ihrer geringen beruflichen Qualifikation oder eines mißlichen körperlichen Zustands von keinem erkennbaren Nutzen für die ökonomischen und bevölkerungspolitischen Ziele der EU sind.

Der Trennstrich der Klassenspaltung verläuft mithin quer durch die EU und scheidet die Welt in diejenigen, die Gesicht und Stimme haben, und diejenigen, über die nach Belieben verfügt werden soll. So wertvoll der Aktivposten einer Staatsbürgerschaft in einem Mitgliedstaat der EU hinsichtlich der dadurch gegebenen Versorgungs- und Arbeitsmöglichkeiten für den einzelnen Menschen noch sein mag, so sehr steht dieser Anspruch auf Teilhaberschaft zur Disposition einer Mangelordnung, die ihren Subjekten zusehends abverlangt, für die Vergünstigungen, die ihnen noch gewährt werden, aktiv in Vorleistung zu treten.

Es verhält sich mithin anders als allgemein vermutet - nicht die Angst davor, durch aktiven Widerstand gegen die herrschenden Zumutungen auch noch letzte Überlebensgarantien zu verlieren, ist ein guter Ratgeber. Der Anspruch auf Partizipation trägt die Konsequenz in sich, die Ohnmacht, aus der heraus er erhoben wird, vollends zu erleiden. "There is no free lunch" lautet das Credo kapitalistischer Vergesellschaftung nicht erst seit Beginn ihrer neoliberalen Verschärfung. Wo es immer weniger zu verteilen gibt - und eben das ist die Crux der Kriege und Kämpfe, die sich am weltweit synchronen Verlauf der Rohstoff-, Energie-, Umwelt-, Finanz- und Legitimationskrise entzünden -, da verkommen Rechtsansprüche und moralische Werte erst recht zu Feigenblättern jener Verhältnisse, deren störungsfreien Verlauf sie garantieren sollen.

Die Feindseligkeit, mit der die ohnehin stimm- und gesichtslosen Opfer EU-europäischer Flüchtlingsabwehr vollends totgemacht werden, ist eine Kampfansage an alle Menschen, die nicht mehr nur funktionieren, sondern aufbegehren. Die Botschaft soll verstanden werden, gerade weil sie vom Anspruch universaler Werte ummäntelt doch keinen Zweifel an der Entschiedenheit aufkommen läßt, daß Menschen in Not absichtsvoll und systematisch alleine gelassen werden. Der Gefahr, daß die nach Kräften voneinander isolierten Marktsubjekte sich zusammentun, über andere Lebensformen, Gesellschaftsentwürfe und Produktionsweisen beraten und diese auch gegen das Gewaltmonopol des Staates und die Peitsche des systematisch erzeugten Mangels durchsetzen, wird durch die inflationäre Entwertung des allen Menschen unterschiedslos zugestandenen Lebensrechts aktiv entgegengetreten.

Die Unteilbarkeit der Menschenrechte begründet mithin ihre Teilbarkeit, sonst müßte sie gar nicht erst postuliert werden. Von daher reicht der Anspruch auf Teilhaberschaft an den herrschenden Verhältnissen gerade so weit, wie es die Maßgabe staatlicher Verfügungsgewalt und ökonomischen Interesses zuläßt. "Nicht ein Stück vom Kuchen, sondern die ganze Bäckerei", lautete einmal die Parole unbescheidenen Protestes, der den Flüchtlingen aus den verwüsteten Einöden menschlichen Raubbaus nicht minder gut zu Gesicht steht als allen, die weiter vorne in der Freßkette glauben, dem Absturz nach unten durch vorauseilenden Gehorsam und bereitwillige Anpassung entkommen zu können.

26. April 2015


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