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RAUB/1086: Emissionsrechtehandel, Biodiversitätsgutschriften ... ungedeckter Wechsel auf das Leben (SB)



Wer meint, die Einbußen an originär gewachsener Natur, an unverwechselbaren Bioorganismen und Myriaden in Physis und Habitat unterschiedlicher biologischer Erscheinungsformen ließen den menschlichen Verursacher der Biodiversitätsverluste unbeschadet, macht die Rechnung im Wortsinne ohne den Wirt. Als eben solcher bewirtschaftet der Mensch die Natur nicht nur zum Zwecke bloßen Lebenserhalts, sondern eines Wertwachstums, das permanente Produktivitätsfortschritte zwingend voraussetzt. Im betriebswirtschaftlichen Kalkül etwa der Fleischproduktion bedeutet dies, das sogenannte Nutzvieh noch vor seiner Geburt durch züchterische und genetische Optimierung so weitgehend auf Leistung getrimmt zu haben, daß sein weiterer Lebensweg bis auf die Stellen hinter dem Komma hinsichtlich des Verhältnisses von Futtermittel und Fleischansatz, um nur einen Produktionsfaktor zu nennen, durchgeplant ist. Intelligente Lebewesen werden dem Verhältnis von Kostenaufwand und Ertrag durch die strikte Normierung ihrer physischen Entwicklung wie auch die technische Gestaltung ihres Lebensraums auf eine grausame und verächtliche Art und Weise unterworfen, die keine Empathie gegenüber diesen verlorenen Wesen bei den sogenannten Verbrauchern ihrer leiblichen Existenz zuläßt, es sei denn, diese stellten sich gegen das System der Tierausbeutung.

Dies ist nur ein Beispiel für eine Objektivierung des Lebens, die seine Nutznießer auch deshalb betrifft, weil sie der Totalisierung des Kapitalverhältnisses selbst ausgesetzt sind. Wie Pflanzen und Tiere werden Menschen der exakten Evaluierung ihrer Arbeitsleistung unterworfen, wie die patentierten Erfindungen gentechnisch modifizierter Organismen wird ihre Physis in Hinsicht auf Verbrauch und Ertrag so vermessen, daß der einzelne gegenüber der Arbeitsgesellschaft rechenschaftspflichtig gemacht werden kann. In der vom Zwang zum Verkauf der Ware Arbeit freien Zeit darf der Mensch von der unverwechselbaren Identität eines selbstbestimmten Lebens träumen, und auch diese Hoffnung wird marktförmig zugerichtet. Für die vergessene Erinnerung an einen Platz außerhalb aller geldförmigen Wechselbarkeit stehen kulturindustrielle Fantasmen bereit, die keinen Wunsch offenlassen, es sei denn, der Mensch ist unbescheiden genug, technische Simulation und materielle Wirklichkeit nicht miteinander zu verwechseln.

Das Messen und Vergleichen erfolgt nie um seiner selbst willen, sondern stets vor dem Hintergrund des Interesses an Verfügbarkeit und Aneignung. Die Einigung darauf, daß ein Gegenstand vermeintlich gleichwertig gegen einen anderen zu tauschen ist, tritt mithin ebenso als soziales Verhältnis in Erscheinung wie die Vergleichbarkeit menschlicher Arbeit. Wie diese ist die Zählbarkeit des Lebens Ergebnis einer Abstraktion, die sich von der ihr zugrundeliegenden Überlebenskonkurrenz nie gelöst hat. Die sozialdarwinistische Konstante gesellschaftlicher Entwicklung entuferte in der Berechenbarkeit von allem und jedem zur Totalität eines Marktes, die den einzelnen Mensch außerstande setzt, die ihn bedingenden gesellschaftlichen Verhältnisse anders auf den Begriff zu bringen als in Euro und Cent. Mit der Behauptung, jeglicher Gebrauch und Nutzen sei letztlich durch seinen Wert am Markt zu bestimmen, wurde eine zivilisatorische Konsequenz gezogen, die die Teilbarkeit und Verfügbarkeit des Lebens bis in den Zellkern hinein getrieben und zur Massenproduktion auf Weltmarktniveau vervielfältigt hat.

Die Bäuerin, die in den Anden eine bunte Sortenvielfalt von Kartoffeln anbaut und ihre Lebenswelt mit diesen Feldfrüchten auch ohne Umweg auf den Markt ebenso bereichert wie mit dem Schmelzwasser aus dem Hochgebirge, erscheint gegenüber der monokulturellen und maschinellen Feldwirtschaft wie ein Atavismus aus längst überkommener Zeit. Geht es nach dem Willen der agroindustriellen Bewirtschaftung der Welt, soll auch sie dem Preisdruck des globalen Marktes unterliegen und ihre Produktivität mit zertifiziertem Saatgut erhöhen. Auch das bislang frei fließende Wasser soll nach Möglichkeit bepreist und zugeteilt werden, strömt doch eine wertvolle Ressource ungenutzt die Sturzbäche der Berghänge hinab. Den Preisdiktaten anderer ausgeliefert, muß die Bäuerin ihr naturnahes und die Natur in ökologischer Vielfalt erhaltendes Leben aufgeben, um als billige Arbeitskraft in die Städte zu ziehen oder sich in der Plantagenwirtschaft des Großgrundbesitzers zu verdingen.

Dieser Form klassischer Landnahme und des damit einhergehenden Verlustes an unzerstörter Natur wird mit der Ökonomisierung des Lebens zum angeblichen Zwecke seines Erhaltes in Form sogenannter Ökosystemleistungen, Emissionszertifikate und Biodiversitätsgutschriften [1] keineswegs entgegengewirkt. Indem die Zerstörung natürlicher Ressourcen einen Preis erhält, wird der Anspruch, destruktiven Prozessen wie dem Verbrennen fossiler Energieträger durch Verteuerung entgegenzuwirken, dem Primat gesellschaftlichen Wertwachstums unterworfen. Zerstörung muß stattfinden, denn sie ist wertbildend. Ist der im ersten Schritt angerichtete Schaden groß, dann kann mit der Finanzialisierung der CO2-Emissionen ein großes Rad gedreht werden.

Investiert wird von Finanzakteuren, denen es letztlich gleichgültig ist, wie sich ihr Kapital verwertet, wenn es das nur tut. Arbeitsfreie Geldvermehrung mit einem ethisch wertvollen Zweck zu legitimieren, dient der Bestandssicherung der herrschenden Eigentums- und Verteilungsordnung auch unter der Bedingung anwachsenden materiellen Mangels. So wird die gesellschaftliche Kämpfe schürende soziale Frage nicht nur entschärft, wenn die Dringlichkeit der Verhinderung des Klimawandels zum vermeintlichen Anliegen "der Märkte" gemacht wird. Indem der individuelle Verbrauch in den Mittelpunkt der CO2-Einsparung gestellt wird, wird erfolgreich davon abgelenkt, wie zentral die industrielle und globalisierte Produktion für die unaufhaltsam erscheinende ökologische Krise ist. Arbeiter und Arbeiterinnen werden zu Verbrauchern und Verbraucherinnen, und der Klassenkampf fällt in der Ökoabteilung des Supermarktes aus.

Wenn der Manager eines transnationalen Konzerns behauptet, er jette klimaneutral durch die Welt, weil die zu diesem Zweck von seiner Firma erstandenen Emissionsgutschriften andernorts verhinderten, daß ein Wald abgebrannt oder ein Feuchtgebiet trockengelegt wird, dann findet die Zerstörung der Atmosphäre durch den Luftverkehr dennoch statt. Ob Wald und Feuchtgebiet tatsächlich zerstört worden wären, bleibt ungewiß. Besteht der Anreiz, dafür bezahlt zu werden, dies zu unterlassen, dann ist die Androhung der Zerstörung jedenfalls bares Geld wert. Wird fiktive Zerstörung in Wert gesetzt, entsteht frei nach der Gleichung, daß Minus mal Minus Plus macht, fiktives Kapital, das sich wiederum in konkrete Verfügungsgewalt über menschliche Arbeit und ihre Produkte übersetzt.

Völlig unberührt vom PR-strategischen Greenwashing bleibt die Tatsache, daß die internationale Arbeitsteilung, mit Hilfe derer der Konzern dieses Managers die Verwertung seines Investivkapitals maximiert, allein durch den Transport der Produktionsstufen an die Orte kostengünstiger Fertigung in erheblichem Ausmaß vermeidbare CO2-Emissionen erzeugt. Auch die Frage danach, ob die dabei entstehenden Waren in Hinsicht auf die erklärten Klimaziele überhaupt vertretbar oder allein der Kapitalverwertung um ihrer selbst willen geschuldet sind, bleibt ungestellt. Ignoriert wird zudem das soziale Elend, das die Massenproduktion von Gebrauchsgütern in Billiglohnländern erzeugt, als habe es mit der sozialökologischen Bilanz gesellschaftlichen Wertwachstums nichts zu tun.

So ungeklärt die Fragen der Quantifzierung sogenannter Ökosystemleistungen und ihrer Inwertsetzung sind, so spekulativ gestaltet sich der Handel mit den Finanzprodukten, deren materielles Substrat mit einer Tonne CO2-Äquivalenten angegeben ist. Das Lamento über den Preisverfall der überreichlich ausgestellten Emissionszertifikate soll ja nicht das Ende, sondern der Anfang der Erfolgsgeschichte eines Grünen Kapitalismus sein, der als langersehntes neues Akkumulationsmodell am Horizont der von krisenhafter Überproduktion und unzureichenden Investitionsmöglichkeiten gebeutelten Geldelite aufgetaucht ist.

Auch wenn die Ökonomisierung der Natur nicht im Mittelpunkt des UN-Klimavertrags steht, der am 12. Dezember in Paris beschlossen wurde, so werden die im Kyoto-Protokoll 1997 verankerten ökonomischen Klimaschutzmaßnahmen wie der Emissionsrechtehandel, die Joint Implementation (JI) und der Clean Development Mechanism (CDM) im Prinzip der internationalen Handelbarkeit von Naturzerstörung fortgeschrieben. Schon damals erfolgte dies, weil die Staaten sich als unfähig erwiesen, wenn schon nicht um der Natur willen, dann noch nicht einmal zugunsten des Erhalts der eigenen Lebensgrundlagen wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu treffen. Der Markt soll es auch in Zukunft regeln, und das bedeutet nichts geringeres als die Privatisierung selbst der Luft, die durch das Preisschild am CO2 und anderen klimawirksamen Gasen nicht atembarer, aber exklusiv nutzbar wird.


Fußnote:

[1] BERICHT/064: Klimacamp trifft Degrowth - Rechenbar, teilbar, frei zum endlichen Verbrauch ... (1) (SB)
Naturkapital ... des Marktes neue Kleider
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0064.html

17. Dezember 2015


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