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RAUB/1141: Flugverkehr - soziale Last und Klimafracht ... (SB)



Mit einem geschätzten Nettovermögen von 5 Milliarden Dollar gehört Sir Richard Branson zwar nicht zur ersten Liga der Superreichen. Ein guter Platz im Mittelfeld der 500 reichsten Menschen der Welt ist dem britischen Vorzeigeunternehmer allerdings sicher. Großgeworden in der Popkultur der 70er Jahre, die er mit Virgin Records bewirtschaftete, machte er das Gros seines Vermögens mit der Fluggesellschaft Virgin Atlantic. Der Gründer der inzwischen rund 400 Unternehmen umfassenden Virgin Group strebt stets nach höherem, was sich unter anderem in dem Projekt Virgin Galactic zeigt, einem Unternehmen für kommerzielle Weltraumflüge.

In Zeiten von Corporate Responsibility, wo sich fossilistische Verschmutzer wie British Petroleum über nacht in grünmaskierte Wohltäter namens "bp" verwandeln, was wahlweise für "better people", "better products" oder auch "beyond petroleum" stehen soll, gehört zeitgemäßes Reputation Management zum Geschäft. Der zur Jahrtausendwende von Queen Elizabeth II. wegen seiner unternehmerischen Verdienste in den Adelsstand erhobene Branson macht da keine Ausnahme. Als begnadeter Selbstvermarkter und sogenannter Philantroph ist er in diversen humanitären Missionen unterwegs, so auch der der Rettung des Weltklimas. Und das nicht nur, weil sein Anwesen auf der in eigenem Besitz befindlichen karibischen Insel Necker Island bereits zum zweiten Mal einem Hurricane zum Opfer fiel.

Der Kitesurfer und Abenteurer pflegt das Image eines grünen Kapitalisten, wie er im Buche steht. So gelobte er 2006, drei Milliarden Dollar für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu spenden. Laut Naomi Klein wurden zehn Jahre später davon weniger als 300 Millionen Dollar für den versprochenen Zweck eingesetzt. Und auch sonst scheint Bransons Interesse an der atembaren Atmosphäre des Planeten eher darin zu bestehen, sie als tragfähiges und brennbares Medium für seine Luftflotte in Anspruch zu nehmen.

Diese soll demnächst um zehn Überschallflugzeuge für den Passagierverkehr erweitert werden. Mit einer Reisegeschwindigkeit von mehr als Mach 2 läßt sich die Zeit für das Überqueren des Atlantiks oder Pazifiks fast halbieren. Wer so unentbehrlich ist, daß er morgens von London nach New York fliegt, um an einem Meeting teilzunehmen, um den nächsten Termin am gleichen Tag wieder in London wahrzunehmen, für den sind einige tausend Dollar für ein Flugticket nicht die Welt. Ob die dabei zugrunde geht, weil immer mehr Menschen immer günstigere Flugreisen in Anspruch nehmen oder besonders emissionsträchtige Überschallflugzeuge auch noch die höheren, besonders empfindlichen Schichten der Atmosphäre kontaminieren, kann ihre Sorge nicht sein. Als Philantrophen haben sie ihr Scherflein für den Ablaßhandel mit Verschmutzungsrechten gegeben und so bewiesen, daß ihnen das Schicksal der Menschheit keineswegs gleichgültig ist.

Mindestens drei Unternehmen sind derzeit damit beschäftigt, Überschallflugzeuge nach dem Vorbild der Concorde zu entwickeln. Nachdem dieses französische Prestigeprojekt 2003 aus Kostengründen und wegen eines Totalverlustes mit 113 Toten eingestellt wurde, scheint die Zeit nun wieder reif dafür zu sein, die Privilegien der Chosen Few vollständig abheben zu lassen. US-Präsident Trump hat bereits begeistert getwittert, die neuen, in den USA gebauten Überschallflugzeuge (SST) verkörperten den "Great American Spirit". Wenn der vorliegende US-Gesetzesentwurf zu deren Zulassung verabschiedet wird, fällt möglicherweise auch das Verbot, die Schallmauer über Land zu durchbrechen. SSTs verpesten nicht nur die Luft um ein Mehrfaches dessen, was auf den Passagier eines normalen Jets entfällt, von ihnen geht auch erhebliche Lärmbelastung aus.

Lediglich fünf Prozent der Weltbevölkerung haben jemals ein Flugzeug benutzt, und ein Bruchteil davon würde die pro Streckenkilometer mehrfach so teuren SSTs buchen. Es handelt sich beim Luftverkehr nicht nur um die ökologisch destruktivste Form der Fortbewegung, sondern auch die sozial ungerechteste. Um so begeisterter wurde Anfang des Jahres die Meldung verbreitet, daß das deutsche Passagieraufkommen im Vergleich zu 2016 um 5,1 Prozent gestiegen ist. Die 117,6 Millionen Fluggästen auf deutschen Flughäfen strebten zu vier Fünftel Flugziele im Ausland an, ein Fünftel entfiel auf den innerdeutschen Flugverkehr.

Wachstumsprognosen für den internationalen Luftverkehr gehen von einer Verdopplung des weltweiten Passagieraufkommens bis 2035 oder gar einem Zuwachs des Flugaufkommens um 500 Prozent bis zum Jahre 2050 aus. Um das Ansehen dieser besonders klimaschädlichen Form der Mobilität zu retten, ohne den Ertrag der Luftfahrtindustrie wesentlich zu mindern, wurde im Oktober 2016 auf einer Konferenz der zu den Vereinten Nationen gehörigen International Civil Aviation Organization (ICAO) beschlossen, diese Form der Beförderung von Personen und Gütern perspektivisch klimaneutral zu machen.

Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) lautet der Name der Klimastrategie, mit der die ICAO die weitere Prosperität der Luftfahrtindustrie sichern will. Schon weil allein CO2-Emissionen in Rechnung gestellt und andere in ihrer Klimaschädlichkeit mindestens doppelt so schwer ins Gewicht fallende Auswirkungen der zivilen Luftfahrt außer acht gelassen werden, kann bei diesem Konzept von systematisch erzeugter Blendwirkung gesprochen werden. Mit dem Kauf von Kompensationsgutschriften in Form von Emissionszertifikaten oder Biodiversitäts-Offsets durch die Fluggesellschaften oder ihre Passagiere propagiert CORSIA sogenannte marktbasierte Mechanismen. Fiktive Einsparpotentiale werden in geldwerte Verschmutzungsrechte umgewandelt, um den Reisenden ein sauberes Gewissen zu verschaffen. Die Brennwirkung des Luftsauerstoffes kann nach Herzenslust in Anspruch genommen werden, weil irgendwo anders ein Plantagenwald hochgezogen wird, der das dabei entstehende CO2 aufnehmen soll. Ob eins zum andern langfristig gegengerechnet werden kann, ob eine Maßnahme als Kompensationsgutschrift und Erfolg beim Erreichen nationaler Klimaziele doppelt verbucht wird, ob CO2-Äquivalente überhaupt miteinander vergleichbar sind, während nicht minder wichtige Kriterien unter den Tisch fallen, sind Fragen, die nur kritische Geister, nicht jedoch die Bilanzbuchhalter der Luftfahrtindustrie interessieren.

Weder im Klimaabkommen von Kyoto noch von Paris wird die Flugverkehrsbranche in die Pflicht genommen, Steuern für das Flugbenzin Kerosin zahlen, mit dem ihre Passagier- und Frachtmaschinen betrieben werden. Das ist nur die auffälligste Subventionierung einer Mobilitätsform, die ihren wirtschaftlichen Erfolg auch der Ausnahme internationaler Flüge von der Mehrwertsteuer, der staatlichen Subventionierung der Flughäfen und der dazugehörigen Verkehrsinfrastruktur wie auch der wichtigsten deutschen Fluggesellschaft, der Lufthansa, zu verdanken hat. Ohne jahrzehntelange staatliche Anschubhilfe hätte man das größte Luftverkehrsunternehmen Europas nicht zugunsten kapitalstarker Anleger privatisieren können. Laut Umweltbundesamt kommt die Branche in den Genuß von 11,8 Milliarden Euro direkter und indirekter Subventionen im Jahr, die natürlich in anderen Bereichen fehlen. EU-weit werden die luftfahrtbedingten Steuerverluste auf 30 bis 40 Milliarden Euro geschätzt.

Die auch in den USA und anderen hochindustrialisierten Staaten übliche politische Begünstigung der Luftfahrtindustrie ist ein Wesensmerkmal kapitalistischer Gesellschaften, die ihre Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt vor allem über technologische Innovationen und deren staatliche Förderung zu sichern versuchen. Hinzu kommt die anwachsende Bedeutung des Luftkrieges für Akteure, die ihre ökonomische Expansion militärisch absichern. Die meisten Flugzeugbauer sind im zivilen und militärischen Bereich aktiv und besitzen den Status besonders sicherheitsrelevanter Schlüsselindustrien. Es ist kein Zufall, sondern Klassenprivileg, daß dem Schutz gegen terroristische Anschläge im zivilen Luftverkehr weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als etwa im Reiseverkehr mit Zügen oder Automobilen.

Die von der ICAO als Maßnahmen zur ökologischen Schadensminimierung prognostizierten Veränderungen an der Bauweise der Flugzeuge und ihrer Antriebssysteme stehen in Anbetracht der notwendigen Entwicklungszeit und des 25 Jahre umfassenden Zyklus, in dem die Flugzeugflotten der Luftverkehrkonzerne ausgetauscht werden, in krassem Mißverhältnis zu dem sich weiter beschleunigenden Klimawandel. Vor 2050 bis 2060 sind keine nennenswerten Neuerungen zu erwarten, die die CO2-Emissionen des Flugverkehrs auch nur annähernd kompensierten. Stellt man die ehrgeizigen Wachstumsprognosen der internationalen Luftfahrtindustrie in Rechnung, dann müßten schon wahre Wunder an Verbrauchsreduktion geschaffen werden, um deren negative Auswirkungen umzukehren.

Für Effizienzgewinne im Betriebsablauf und Flugverkehrsmanagement sowie den vermehrten Einsatz von Agrartreibstoffen anstelle des fossilen Kerosins gilt nichts anderes. Ersteres findet schon aufgrund der kapitalistischer Verwertung immanenten Rationalisierungslogik statt und trägt daher eher im Sinne eines Rebound-Effektes zu einer Vergrößerung des kostengünstiger werdenden Angebots an Flugreisen denn als Einsparung an Emissionen klimaschädlicher Gase in Erscheinung. Zudem gehen Einspareffekte häufig zu Lasten der Belegschaften, die mit Lohndruck und Dequalifizierung konfrontiert werden. Der Einsatz von Biomasse als Energieträger ist nicht nur abzulehnen, weil die Einspareffekte an CO2 bei sogenannter Bioenergie geringer sind als bei anderen Formen erneuerbarer Energie. Die dazu erforderlichen Maschinen, Düngemittel und Ackergifte sind in einem Maße von fossilen Ressourcen abhängig, daß ein aus Feldfrüchten erzeugter Treibstoff sogar klimaschädlicher sein kann als sein fossiles Äquivalent.

Vor allem geht der dafür erforderliche Flächenverbrauch zu Lasten von Millionen Menschen, deren Hunger noch weniger zu stillen ist, wenn ihre ohnehin kaum vorhandene Zahlungsfähigkeit durch die Verknappung von Land für den Anbau von Nahrungsmitteln und dementsprechende Preissteigerungen noch geringer wird. Zwar sind die Biomasseproduzenten um Ausflüchte nicht verlegen, doch Ernährungssouveränität wird in einer Welt begrenzter Ressourcen durch die Produktion von Agrosprit prinzipiell gefährdet. Das elementare Bedürfnis leiblicher Reproduktion durch die Aufnahme pflanzlicher Kohlehydrate, Fette und Proteine dem Wunsch, in einem verschleißintensiven und tonnenschweren Gefährt schneller voranzukommen, gleichwertig ins Verhältnis zueinander zu setzen evoziert das Bild des Herrenfahrers, der die Straßen heute noch als seinen persönlichen Erlebnisraum betrachtet und alles, was nur auf zwei oder vier Beinen unterwegs ist, mit kolonialistischer Gewalt und rassistischer Verächtlichkeit traktiert.

Greenwashing tut also Not, wie das Beispiel von Sir Richard Branson zeigt. Niemand muß sich davon blenden lassen, und es ist letztlich eine Frage politischer Positionierung, ob der Mensch überhaupt in die Verlegenheit kommt, sich beim Antreten einer Flugreise auf den Ablaßhandel mit Verschmutzungsrechten einzulassen.

4. Juli 2018


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