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RAUB/1194: Geld - der integrierte Raub ... (SB)



In Zeiten berechtigter Legitimationsverluste wird zur CO2-Steuer gegriffen wie nach einem rettenden Strohhalm. Den politischen VerantwortungsträgerInnen der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft fällt es immer schwerer zu erklären, wie sie auch nur die bescheidenen Ziele der CO2-Reduktion erreichen wollen, auf die sie sich im Pariser Abkommen festgelegt haben. Alle naheliegenden, in Zweck und Ziel in sich stimmigen Maßnahmen sind de facto antikapitalistischer Art. Das um der Geldvermehrung willen durch marktwirtschaftliche Konkurrenz getriebene Wachstum kann angesichts der nur sehr bedingt im sozialökologischen Sinne zu kontrollierenden Ergebnisse der Kapitalverwertung nur noch gerechtfertigt werden, wenn an die Stelle der sozial wie ökologisch triftigen Argumente für eine Wirtschaftsordnung und Lebensweise, die an der Befriedigung der basalen Bedürfnisse aller Menschen orientiert und dementsprechend nicht auf einer auf Privateigentum und Lohnarbeit errichteten Produktion gegründet ist, die Ideologie alternativloser Marktwirtschaft tritt.

Da das herrschende Akkumulationsregime bei Emissionsbegrenzungszielen, die durch Eingriffe des Staates in Produktion und Verbrauch erreicht werden, die dem Tempo des fortschreitenden Klimawandels adäquat sind, starke Einbrüche in der Profitrate riskierte, muß eine Maßnahme auf den Tisch, die die Quadratur des Kreises vollbringt. Die von immer mehr PolitikerInnen gutgeheißene CO2-Steuer, die die Schädigung des Klimas und die Zerstörung der Natur durch die Emission von Treibhausgasen mit einem Preisschild versehen soll, brächte praktisch eine neue Handelsware namens Karbon hervor. Was bereits im Rahmen der verschiedenen Emissionshandelssysteme verwirklicht wurde, soll mit der CO2-Steuer auf eine Wirtschaft und Gesellschaft umfassend in die Einsparungspflicht nehmende Weise gelingen.

Der Handel mit Emissionsrechten etwa im Rahmen des European Union Emissions Trading System (EU ETS) hat, bemessen an der Notwendigkeit, die Reduktionsziele nicht nur im gegebenen Zeitrahmen zu erreichen, sondern am besten noch schneller zu verwirklichen, bislang zu keiner relevanten Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen geführt. Das liegt nicht nur daran, daß, wie oft behauptet, die an den dafür zuständigen Börsen notierten Emissionszertifikate zu billig seien. Zum einen ist der Bewertungsmechanismus dessen, was tatsächlich eingespart und nicht emittiert wird, hochkomplex und intransparent, zum andern hat der Handel mit diesen Wertpapieren zur Folge, daß gesetzliche Emissionsgrenzen überschritten werden können, indem andernorts nicht ausgeschöpfte Emissionspotentiale quantifiziert und anstelle der Einhaltung eigener Grenzen erstanden werden können. So wird der Ausstoß von Treibhausgasen, wie zumindest rhetorisch von allen Akteuren gefordert, nicht absolut reduziert, sondern durch die weltweite Zirkulation geldwerter CO2-Äquivalente in Form des Handels mit sogenannten Verschmutzungsrechten umverteilt.

Die Kommodifizierung von Treibhausgasen ist der politökonomische Kern dessen, was unter dem Begriff der "Dekarbonisierung" als Horizont einer CO2-neutralen Wirtschafts- und Verbrauchsweise entworfen wird. Die quantitative Regulation von Treibhausgasen, die anhand des Referenzwertes einer Tonne CO2 und ihrer Äquivalente bemessen werden, stellt von vornherein eine grobe Vereinfachung hochkomplizierter ökologischer Abläufe dar und kann dementsprechend kontraproduktive Ergebnisse zeitigen. Beteiligt an diesem Stoffkreislauf ist nicht nur die Atmosphäre des Planeten. Der Kohlenstoffkreislauf interagiert insbesondere mit dem für jegliche Eiweißsynthese zentralen Stickstoffkreislauf, aber auch anderen, für bioorganische Prozesse wesentliche Elemente wie Schwefel oder Phosphor betreffenden Stoffwechselverläufen.

Bei diesen aus der Komplexität natürlicher Prozesse analytisch herausdestillierten Betrachtungsweisen handelt es sich um naturwissenschaftliche Ordnungssysteme, deren hoher Abstraktionsgrad vor allem dem anthropozentrischen Zweck geschuldet ist, Verfügungsgewalt über die Natur zu erlangen. Dieser Zweck ist allerdings auch für die prekäre Situation verantwortlich, in der sich die Ökologie des Lebens befindet. Die Böden, die Gewässer, die pflanzlichen und tierlichen Bioorganismen von der Mikro- bis zur Makroebene tragen im Rahmen ihrer jeweiligen Umweltbedingungen zu einem Geschehen bei, das aus einer Unzahl von Eigeninteresse bewegter Faktoren und Subjektivitäten besteht. All das auf einen Nenner quantitativer Dimension zu bringen und so der geldförmigen Verwertbarkeit zu unterwerfen kann auch als neue Phase kapitalistischer Landnahme verstanden werden, geht es doch primär darum, die Akkumulationsform der Staatsapparate mit allen Implikationen nationaler Konkurrenz und weltmarktorientierter Handelssysteme beizubehalten.

Mit einer CO2-Steuer würden die bislang externalisierten Kosten der Naturzerstörung nicht nur für die Produktion eingepreist, sondern müßten von allen Marktsubjekten in Form eines Aufschlags auf ihre Reproduktionskosten getragen werden. Die nun eröffnete Aussicht, dies würde sozial gerecht gestaltet, indem Besserverdienende stärker belastet und GeringverdienerInnen auf diese oder jene Weise entlastet würden, ist so haltlos wie jede Behauptung, mit der unterstellt wird, der Kapitalismus helfe allen Menschen weiter, weil sein Wachstum ja insgesamt mehr Reichtum erzeuge. Daß die groteske Polarisierung zwischen Arm und Reich durch die generelle Bepreisung des Karbons nicht geringer würde, ist schon deshalb absehbar, weil die geldförmige Bemessung des Naturverbrauches zwar die Kapitalakkumulation durch Finanzialisierung voranbringt, nicht jedoch eine Güterproduktion, auf der alle Geldvermehrung schlußendlich basiert. Eine Steigerung des Preises erzeugter Güter und Dienstleistungen durch Aufschläge, die keinen Gegenwert außer der Verteuerung des ohnehin erfolgenden Naturverbrauchs besitzen, dürften die rezessiven Tendenzen des krisenhaften Zustandes des kapitalistischen Weltsystems verstärken. Wäre es anders, dann hätte die Einpreisung bislang externalisierter Kosten des Naturverbrauchs längst stattgefunden.

Eine allgemeine CO2-Steuer bedient das Interesse an bestimmten Kapitalinvestitionen, verheißt dem Gros der Menschen jedoch weitere Verluste. Die schwache Zahlungsfähigkeit potentieller AbnehmerInnen hat längst zu einer Überproduktion von Industriegütern und einer Prekarisierung von Dienstleistungen geführt, was für immer mehr Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, Verluste an Lebensqualität zur Folge hat. Wie auch immer die beabsichtigten ökologischen Einspareffekte zustande kommen soll weiterhin dem Markt überlassen werden, so daß sich am grundlegenden Problem, daß dem Kapital gleichgültig ist, wie es sich verwertet, nichts ändert. Zudem ist nicht mit Steueraufschlägen bei ökologisch besonders destruktiven Branchen wie dem motorisierten Individualverkehr oder dem Flugverkehr zu rechnen, die dem angerichteten Schaden am Gemeingut der Lebensressourcen auch nur annähernd entsprechen. Da diese als tragende Säulen des herrschenden Akkumulationsregimes verstanden und dementsprechend vor krisenhaften Einbrüchen geschützt werden, liegt nahe, daß das Gros der Belastung durch CO2-Steuern analog zur stetig gewachsenen Mehrwertsteuer auf alle Menschen umverteilt wird, unabhängig von ihren Möglichkeiten, diese Kosten auch zu tragen.

27. April 2019


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