Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1218: Zookatastrophe - fundamental mißachtet ... (SB)



Ist das die Zukunft des Artenschutzes? Anstatt die entsprechenden Lebensräume in der Natur zu erhalten, konservieren wir Zellen und Gewebe von Fröschen und Vögeln, von Tigern und Orang-Utans in flüssigem Stickstoff? Für Oliver Ryder, den Leiter der genetischen Abteilung am Zoo von San Diego, ist das keine Frage: "Ich bin überzeugt, von immer mehr Arten wird es lebendes Material bald nur noch im Tiefkühl-Zoo geben." [1]

Der Brand des Affenhauses im Zoo Krefeld in der Silvesternacht beschäftigt viele Menschen. Sie verfolgen die Berichte über die Tatverdächtigen oder wundern sich darüber, daß fliegende Brandkörper in der Nähe eines Zoos aufsteigen konnten. Weniger rege ist die öffentliche Diskussion der Frage, wieso die im Feuer verbrannten Tiere nicht vor den Flammen ins Freie fliehen konnten. Zumindest für die Gorillas soll es eine Außenanlage gegeben haben, doch offensichtlich war niemand da, der den 48jährigen Massa und die 46jährige Boma ins Freie hätte lassen können. Hätte es sich um eine Strafvollzugsanstalt gehandelt, in der die Gefangenen in ihren Zellen ums Leben gekommen wären, weil niemand ihre Tür geöffnet hätte, wäre das Geschehen kaum so glimpflich für die zuständigen WärterInnen ausgegangen.

Hätten die Türen des Krefelder Affenhauses bei Ausbrechen des Feuers geöffnet werden können, um den Tieren einen Fluchtweg zu bieten, dann wären die Tiere ins Freie gelaufen, was nicht hätte sein dürfen. Als entrechtete Gefangene, die im bürgerlichen Gesetzbuch letztendlich dem Status von Objekten fremdnützigen Gebrauches und Besitzes unterworfen sind, stand diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Sie hätte ein Sicherheitsproblem geschaffen, das zu Lasten derjenigen gegangen wäre, die sie freigelassen hätten. Für die Zooverwaltung scheint es daher am besten gewesen zu sein, gar nicht erst vor das Problem gestellt worden zu sein, ob die Türen des Affenhauses in akuter Gefahr nicht doch hätten geöffnet werden sollen.

Wäre der angebliche Nutzen des Konservierens bedrohter Arten, den Zoos für sich reklamieren, tatsächlich von Bedeutung, dann hätte es auch Vorkehrungen für eine Evakuierung im Notfall gegeben. Brandgefahr besteht schließlich auch im Alltagsbetrieb, doch sicherlich zu keiner Zeit mehr als in einer Silvesternacht, in der auch eine Feuerwerksrakete oder Leuchtpistolenmunition auf dem Dach des Gebäudes hätte niedergehen können. Daß auch am zweiten Tag nach dem Brand die Frage ungenügender Notfallmaßnahmen und nicht erfüllter Sorgfaltspflicht kaum gestellt wird, dokumentiert zumindest, daß das Leben dieser öffentlich zur Schau gestellten Langzeitgefangenen kaum weniger entbehrlich war als das anderer, zum Verzehr oder für Dienstleistungen aller Art verwendeter Tiere.

Als Orte vergnüglicher Unterhaltung sind Zoos bis heute beliebt. Ihrem vorgeblichen Auftrag, die Menschen über Tiere zu informieren, sie mit Naturschutz vertraut zu machen, zum Artenschutz beizutragen und in ihren häufig parkähnlichen Anlagen Momente der Erholung zu bieten, scheint die größere Masse des Publikums Glauben zu schenken, schließlich bedarf auch der eigene Zoobesuch der Legitimation. KritikerInnen des Einsperrens von Wildtieren und ihrer Inszenierung in Lebensräumen, die nicht entfernt an ihre natürliche Umgebung heranreichen, wissen diese Behauptungen mit zahlreichen Fakten und Argumenten zu widerlegen [2]. Weder handelt es sich bei den lebendigen Exponaten in der Vielzahl der Fälle um VertreterInnen bedrohter Arten, noch leben sie in artgerechten Habitaten, die keine psychischen wie physischen Probleme und Leiden hervorriefen. Der kommerzielle Charakter der Zoos hat Folgen wie die erzwungene biologische Reproduktion ihrer Tiere, den Verkauf oder das Verfüttern als überflüssig erachteten Nachwuchses, den Erwerb in der Wildnis gefangener Neuzugänge, die zwangsweise Trennung von jahrzehntelang zusammenlebender PartnerInnen durch Übersiedlung in verschiedene andere Zoos oder die Zusammenarbeit mit fragwürdigen TierhändlerInnen [3].

Der erzieherische Auftrag eines angemessenen Umganges mit den Lebensinteressen von Tieren scheint ebenfalls kaum gefruchtet zu haben, ist die weltweite Zahl einiger der seit 150 Jahren in deutschen Zoos präsentierten Wildtiere doch inzwischen bis an die Grenze ihrer Auslöschung gefallen. Wurde schon die Beschränkung des Klimawandels über Jahrzehnte systematisch verschleppt, so gilt das für das Aussterben zahlreicher bekannter und unbekannter Arten wie die allgemeinen Verluste an Biodiversität noch mehr - das Problem steht auf der politischen Agenda nach wie vor sehr weit unten [4]. Wenn überhaupt, erregen Verluste an potentiellen Nutztieren das Interesse, etwa wenn die der pharmazeutischen Industrie zur Verfügung stehende genetische Vielfalt schrumpft. Es zeugt von konsequenter Anwendung der technizistischen Logik patriarchaler Verfügungsgewalt, den Reichtum tierlicher Existenzformen auf genanalytische Artefakte einzudampfen und, wie im Zoo bereits begonnen, vollständig jeder lebensweltlichen Einbettung zu entheben, die im virtuellen Labor irgendeiner postapokalyptischen Zukunft nur als eine Kontamination namens Leben wahrgenommen werden könnte.

Ein von menschlichen Nutzenerwägungen freies und in seiner Subjektivität unauslotbares Eigeninteresse nichtmenschlicher Tiere hingegen wird, wenn überhaupt, am ehesten von jungen AktivistInnen anerkannt, die für ökologische Zwecke und den Erhalt der Ökosphäre kämpfen. Sie sind heute weit eher für das Motto "Artgerecht ist nur die Freiheit" und vegane Ernährung zu begeistern, als im Zoorestaurant ein Filet vom Körper artverwandter Exemplare jener Tiere zu verspeisen, die sie beim vorherigen Rundgang bestaunen konnten.

Auch scheint es mit der Unterstützung der anzustrebenden Alternative eines über Freiheitsberaubung vollzogenen Artenschutzes nicht weit her zu sein. Die für den Ausbau großstädtischer Zoos freigesetzten Subventionen und investierten Einnahmen übersteigen die Unterstützung des Erhaltes natürlicher Habitate um ein Vielfaches, was auf den Kern des Einsperrens und Vorführens von Tieren, die hochgradige Attraktivität zoophilen Amüsements, verweist. Zwar gastieren in heutigen Zoos keine jener anthropologischen Schauen mehr, in denen Menschen anderer Hautfarbe und Kultur im 19. Jahrhundert die Neugier des weißen Publikums auf "primitive" Lebensformen befriedigen mußten und nicht zuletzt dem maskulinen Blick auf die unverdeckten Brüste der Frauen - da sie schwarz und mithin keine echten Menschen waren, konnte das wissenschaftliche Interesse des Mannes moralisch nicht beanstandet werden - ausgesetzt wurden.

An der Gewalt, die ein Lebewesen erleidet, das dem Blick des Publikum durch die bauliche Anlage des Käfigs oder Geheges so ausgesetzt wird, daß es sein Begaffen nicht verhindern kann, hat sich dennoch nichts geändert. Mithin sind Zoos vor allem andern Orte des Einübens eines hierarchischen Mensch-Tier-Verhältnisses, das legt auch der wie ein im Pflichtenkatalog elterlicher Rituale zu absolvierende Besuch kleiner Kinder im Zoo nahe [5]. Der Blick auf die eingesperrten Tiere, die sich nicht dagegen wehren können, daß mit dem Finger auf sie gezeigt und über sie gelacht wird, daß ihre Bewegungen karikiert oder ihre Laute nachgemacht werden, muß und soll ein Gefühl der Überlegenheit erzeugen. In öffentlichen Vorstellungen zu erleben, wie sie über Belohnungsrituale dressiert werden, zu sehen, wie sie sich in aller Öffentlichkeit entleeren oder sexuell aktiv werden, macht das im Zoo gefangene ehemalige Wildtier stellvertretend für alle Tiere zum ganz anderen des die eigene Tierhaftigkeit ins Abseits verwerflicher Triebe und Gelüste verstoßender Menschen.

Nichts anderes wird praktiziert, wenn schwarze Fußballspieler vom Publikum mit Affenlauten und Bananenwerfen wortwörtlich zum Affen gemacht werden. Nichtweiße Menschen auf rassistische Weise verächtlich zu machen, indem sie animalisiert werden, bedient sich der gleichen scharf gezogenen, im Falle von SklavInnen bis heute über Leben und Tod entscheidenden Grenze zwischen den Arten oder Spezies, über die nichtmenschliche Tiere auf speziesistische Weise fremden Interessen unterworfen werden. Wo die anthropozentrische patriarchale Kosmologie Herren der Welt produziert, bringt sie die Verfügbarkeit dadurch herabgesetzter Lebewesen hervor, was für nichtmenschliche Tiere absolut und für Frauen, LGBTIQ-Menschen, Behinderte und People of Colour graduell gilt.

Zugleich werden insbesondere Tierbabies auf eine Weise vermenschlicht, die ihre Unterwerfung komplementär ergänzt, wenn ihre Schutzlosigkeit Anlaß zu Gefühlen gibt, die ansonsten dem eigenen Nachwuchs vorbehalten sind. So süß und putzig kleine Pandas und Eisbären sein mögen, so sehr mundet der Lammfleischbraten oder das Kalbsmedaillon. Affektive Zuwendung und massenhafter Verbrauch gehen Hand in Hand, daher sind die in Krefeld in den Flammen umgekommenen PrimatInnen so entbehrlich, daß auch zwei Tage nach dem Brand ihre Zahl mit "mehr als 30 Tieren" angegeben wird. Warum in diesem Fall genauer hinschauen, sind die Dimensionen mittelbar und unmittelbar durch menschliches Verhalten bedingten Tierverbrauches doch so gigantisch, daß sie erst recht nicht wahrgenommen werden.

Wer weiß schon, daß im vergangenen Jahr 2019 ein Viertel des weltweiten Schweinebestandes von fast 770 Millionen Tieren entweder an der Afrikanischen Schweinepest starb oder zu ihrer Verhinderung getötet wurde? Wem ist aufgefallen, daß von 2014 bis 2015 in den USA 48 Millionen Hühner und Truthähne zur Abwehr der Vogelgrippe unter anderem dadurch erstickt wurden, daß ihre massiv überfüllten Ställe entweder mit Polypropylenschaum geflutet wurden oder ihre Belüftung ausgestellt wurde? Wie sehr ist die Debatte um eine Mobilitätswende davon beeinflußt, daß im Jahr in der Bundesrepublik über 250.000 Wildtiere ums Leben kommen, was keine sogenannten Bagatellunfälle umfaßt, sondern vor allem Rehe, Hirsche und Wildschweine betrifft? Erregen Unfälle mit Tiertransportern, bei denen auf einen Schlag über 100 Schweine ums Leben kommen, die Aufmerksamkeit eines Publikums, das weiß, daß sich der LKW auf dem Weg in eine Schlachtfabrik befand, in der täglich über 20.000 Schweine zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden? Wie groß ist die Trauer darüber, daß laut einer Schätzung von WissenschaftlerInnen an der Universität Sydney in der australischen Brandkatastrophe bislang etwa 480 Millionen Tiere verbrannt sind? Darunter befinden sich 8000 Koalas, die nicht schnell genug laufen können, um einem Feuer zu entkommen, das von einem Land mitzuverantworten ist, dessen Rohstoffpolitik es zum größten Kohleexporteur mit den meisten CO2-Emissionen pro Kopf der Welt macht.


Fußnoten:

[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/sind-zoos-tierschauen-oder-zufluchtsorte-fuer-bedrohte-arten-a-925620.html

[2] https://www.swr.de/-/id=23823584/property=download/nid=660374/17ywnob/index.pdf

[3] https://www.peta.de/Zooirrtuemer

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0091.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0083.html

2. Januar 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang