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RAUB/1222: Mietendeckel - Entschärfung in der letzten Minute ... (SB)



Bislang war vorgesehen, dass auf Antrag der Mieter*innen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen die Miete abgesenkt hätte. Jetzt ist kein Antrag mehr nötig, sondern der Gesetzentwurf legt fest, dass eine überhöhte Miete verboten ist.
Berliner Senatsverwaltung zum geänderten Gesetzentwurf [1]

Was die Berliner Senatsverwaltung auf ihrer Homepage verschleiert und wie eine Änderung zugunsten der Mieterinnen und Mieter formuliert, hat es in sich. Der Eingriff in letzter Minute hat ein ambitioniertes Vorhaben, das den Stand der Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum weit über Berlin hinaus verändert hätte, in einen Papiertiger verwandelt. Laut der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs zum Mietendeckel sollten die Berliner Bezirksämter dafür sorgen, daß Vermieter in Zukunft keine überteuerten Mieten verlangen und die Mieten zumindest bei rund 1,5 Millionen Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden, für die kommenden fünf Jahre eingefroren werden. Doch dann änderte die Koalition in der vergangenen Woche den Gesetzentwurf. Für die Mieterinnen und Mieter ist dadurch die Durchsetzung ihrer Interessen erheblich schwieriger geworden. Sie müssen selbst aktiv werden und können sich nicht auf das Amt verlassen. Damit droht ein ähnliches Dilemma wie bei der Mietpreisbremse: Befolgen die Vermieter das Gesetz nicht von selbst, müssen die Mieter zivilrechtlich gegen sie vorgehen. Doch wer legt sich angesichts der Wohnungsknappheit schon gern vor Gericht mit seinem Vermieter an?

Das neue Gesetz verbietet überhöhte Mieten und verpflichtet die Wohnungseigentümer bei Androhung hoher Bußgelder zur transparentem Preisgestaltung. Doch wenn sich ein Vermieter nicht an diese gesetzlichen Vorgaben hält, müssen die betroffenen Mieterinnen und Mieter den Mieterverein um Hilfe bitten oder sich einen Rechtsanwalt nehmen, um die öffentlich-rechtlich verfügte günstige Miete im Einzelfall auch durchzusetzen. Viele Bürger werden davor zurückschrecken, zumal das neue Mietengesetz noch völlig unerprobt und reichlich unübersichtlich ist. Möglicherweise wird der Mietendeckel erst einmal ein Konjunkturprogramm für Mieterbüros und Anwaltskanzleien.

Als die linke Berliner Wohnungssenatorin Kathrin Lompscher im vergangenen Sommer ihren Plan für einen Mietendeckel präsentierte, keimte die Hoffnung auf, daß die Mieten in Zukunft sinken könnten und sich die Regierungspolitik ernsthaft mit der Immobilienwirtschaft anlegen würde. Doch die geballte Kritik aus der Branche und der Opposition scheint bei der rot-rot-grünen Landesregierung Wirkung gezeigt zu haben. Zwar wurde der Mietendeckel jetzt endlich verabschiedet, doch von seiner ursprünglichen Schlagkraft und Radikalität, die das Potential gehabt hätte, bundesweit eine Wende auf dem Wohnungsmarkt anzustoßen, ist wenig übriggeblieben. In einer Stadt, in der sich die durchschnittlichen Mieten innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt haben, schien der Mietendeckel ein bahnbrechendes Signal mit Strahlkraft auf ganz Deutschland zu sein. Aber mit der entschärften Version des Gesetzes ist den Berliner Mieterinnen und Mietern kaum geholfen.

Mit der kurzfristigen Änderung des Gesetzentwurfs wollte Rot-Rot-Grün offenbar jeden Verdacht von sich weisen, juristisch unzulässig in das Mietvertragsrecht einzugreifen, das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist. Stattdessen beschränkte sich die Koalition geradezu demonstrativ auf eine öffentlich-rechtliche Regulierung des angespannten Berliner Wohnungsmarkts in der Hoffnung, die angekündigte Normenkontrollklage von CDU und FDP vor dem Bundesverfassungsgericht einigermaßen heil zu überstehen.

Hinzu kam offenbar die Erwägung, die Bezirksämter und für den Mietendeckel zuständigen Senatsbehörden von der andernfalls erforderlichen massenhaften Einstellung von Juristen zu entlasten. Der juristische Kniff, aus dem Mietendeckel ein Verbotsgesetz zu machen, enthebt die Senatsverwaltung der Pflicht, eingehende Anträge von Mieterinnen und Mietern rechtlich zu prüfen, dementsprechende Mietänderungen durchzusetzen und sich mit Klagen der Vermieter gegen diese behördliche Verfügung zu befassen. Indem die Koalition nun den Mieterinnen und Mietern das Feld überläßt, stiehlt sie sich aus der Verantwortung.

Bei der namentlichen Abstimmung über den Mietendeckel im Parlament gaben die Abgeordneten der rot-rot-grünen Koalition der Einführung des "Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin" (MietenWoG Bln) nahezu geschlossen ihre Zustimmung, lediglich ein Abgeordneter der SPD enthielt sich. Damit hat das bundesweit einmalige Gesetz die vorerst letzte Hürde genommen. In Kraft tritt der Mietendeckel, sobald der Gesetzestext veröffentlicht wurde, voraussichtlich noch im Februar. Mit dem Gesetz werden nun für 1,5 Millionen Mieter die Wohnkosten auf dem Stand vom 18. Juni 2019 für fünf Jahre eingefroren. Danach verschickte Mieterhöhungen sind somit unwirksam. Ausgenommen sind Neubauten, die ab 2014 errichtet wurden, sowie mietpreisgebundene Sozialwohnungen. Neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes können Mieten gesenkt werden, wenn sie 20 Prozent über den zulässigen Werten liegen, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung je nach Ausstattung und Baualtersklasse definiert hat.

Bei Verstößen gegen das Gesetz droht Vermietern ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro je Wohnung. Sie sind zudem verpflichtet, allen Bestandsmietern unaufgefordert innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes die zulässige Miethöhe mitzuteilen. Kommt der Vermieter dieser Pflicht nicht nach, gilt auch das als Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 500.000 Euro je Wohnung geahndet werden kann.

Wirtschaftsverbände und Opposition hatten das Gesetzesvorhaben in den vergangenen Monaten immer wieder scharf kritisiert. Aus ihrer Sicht ist es das falsche Instrument, da es angesichts der abschreckenden Wirkung auf Investoren dazu führe, den Wohnungsmangel sogar noch zu verschärfen. Wenngleich ihr seit Jahrzehnten gepredigtes Credo, man müsse bauen, bauen, bauen, nicht das geringste an der Misere geändert, dafür aber die Taschen der Investoren und Spekulanten gefüllt hat, beschwören sie es nun mehr denn je. Zudem bezweifeln CDU und FDP, daß das Gesetz verfassungskonform ist und haben bereits bekräftigt, daß sie ein Normenkontrollverfahren anstrengen werden, um das Gesetz schnellstmöglich auf seine rechtliche Zulässigkeit überprüfen zu lassen. Ein solches Verfahren wird nach Einschätzung von Experten allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen. Gerechnet wird mit einer Verfahrensdauer von knapp einem bis zu anderthalb Jahren.

Nach den Worten Katrin Lompschers ist um den Mietendeckel viel gestritten worden, und dieser inhaltliche und juristische Streit sei mit dem Tag der Abstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus nicht zu Ende. Dennoch wurde der erreichte Zwischenstand der Auseinandersetzungen um bezahlbaren Wohnraum für alle in ihrer Partei als großer Erfolg gefeiert. "Links ist konkret", deklamiert Katja Kipping, man habe hier der "Immobilienlobby ihre Grenzen aufgezeigt und gewonnen", befindet Bernd Riexinger. Diese Äußerungen sind aus parteipolitischer Sicht verständlich, gilt doch der wegweisende Berliner Mietendeckel insbesondere als ein Kind der Linken, die SPD und Grüne immer wieder zum Jagen tragen mußten. Andererseits ist die demonstrative Freude der Parteiführung nicht nur voreilig, was den gesamten Prozeß dieses noch längst nicht durchgesetzten Vorhabens betrifft. Vor allem aber trägt sie der letztendlichen Entschärfung des Gesetzes nicht Rechnung, wie auch die Berliner Linksfraktion nicht einräumt, einen Rückzieher gemacht zu haben, sondern von größerer Rechtssicherheit spricht.

"Mit einem öffentlich-rechtlichen Landesgesetz zur Deckelung der Mieten in Berlin tut sich eine historische Chance für eine soziale Wohnungsversorgung auf", zieht Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV), eine positive Zwischenbilanz, ohne die Schwächen des Gesetzes in Abrede zu stellen. Die teilweise maßlosen Wohnkostensteigerungen in der Vergangenheit durch die Immobilienwirtschaft und die halbherzigen Regulierungsversuche der Bundespolitik im Mietrecht hätten erst den Boden für ein massives Eingreifen der Berliner Landesregierung bereitet. "Wir begrüßen den Mietendeckel ganz ausdrücklich, auch wenn wir nicht mit allen Regelungen glücklich sind", so Wild. Der Verein werde die Mieter umfassend informieren und ihnen zur Seite stehen. [2]

Die außerparlamentarische Bewegung gegen den "Mietenwahnsinn", die sich insbesondere "Deutsche Wohnen & Co enteignen" auf die Fahnen geschrieben hat, sieht sich in ihren Bedenken hinsichtlich des Mietendeckels bestätigt. Wenngleich sie ohnehin davon ausgegangen war, daß es sich im günstigsten Fall um zwei Stränge desselben Kampfs handeln könnte, die einander nicht in die Parade fahren, wurden schon nach ihrer überraschend schwach besuchten Demonstration im vergangenen Herbst Bedenken laut, der parlamentarische Vorstoß nehme der Bewegung den Wind aus den Segeln. [3]

Die Berliner Linke hatte in ihrer ersten Periode als Regierungspartei noch die Privatisierung des Wohnungsbestands in städtischer Hand mitgetragen. Sie hat sich jedoch in der Opposition erneuert und im Zuge ihrer gegenwärtigen Phase aus der Regierung heraus radikalisiert. Angekoppelt an die radikalisierten Auseinandersetzungen in der Stadt war es gelungen, die Diskursräume in der Partei so zu verschieben, daß sich deren Richtung veränderte und der Landesparteitag sogar überraschend die Enteignungskampagne unterstützt hat. Diese Veränderung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde vom linken Flügel der Landespartei hart erkämpft, der weiter am Ball bleiben muß, um diese Entwicklung auch künftig zu befördern.

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" hat den Mietendeckel von Anfang an als Gegenprojekt eingeschätzt, sich aber veranlaßt gesehen, dazu dezidiert Position zu beziehen. Der Beschluß der Linkspartei, sich hinter die Enteignung zu stellen, hat die Aufmerksamkeitsökonomie deutlich verbessert. Diesem Vorteil steht zugleich der Nachteil gegenüber, daß die Initiative Teil einer parteipolitischen Auseinandersetzung wird, selbst wenn man den Beteiligten besten Willen unterstellt. Da es mit Blick auf den Mietendeckel für die Mieterinnen und Mieter durchaus einen Unterschied macht, welcher Entwurf sich am Ende durchsetzt, war der Initiative klar, daß sie dazu arbeiten muß. Deshalb wurde die Doppelforderung formuliert, "erst richtig deckeln, dann enteignen". [4] Daß der nun im Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedete Gesetzentwurf zum Mietendeckel den ersten Teil dieser Forderung im Sinne der Initiative erfüllt, darf bezweifelt werden.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/mietendeckel-berlin-laesst-die-mieter-im-stich-a-a68072bb-00e3-4a19-82a8-ee0e1425e5f7

[2] www.morgenpost.de/berlin/article228282123/Berlin-Mietendeckel-Gesetz-beschlossen-Nun-laeuft-die-Frist-fuer-Vermieter.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/371686.grenzen-aufgezeigt.html

[4] Siehe dazu:
BERICHT/356: Die Linke - Mieter auf der Überholspur ... (SB)
www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0356.html

1. Februar 2020


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