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RAUB/1223: Regenwald - Brände und industrieller Raub wachsen aus ... (SB)



Unter der Regierung Bolsonaro wurde das, was schon schlecht war, noch viel schlechter. Die Umweltbehörden, die Indigenen, die Bauern, die die kriminellen Banden anzeigen, sind stark bedroht.
Cesar Munoz (Human Rights Watch) [1]

Jair Bolsonaro, der sein Amt am 1. Januar 2019 angetreten hat, stellt den menschengemachten Klimawandel in Abrede. Der brasilianische Präsident sieht im Amazonasgebiet ein ungenutztes ökonomisches Potential, das er zur uneingeschränkten Ausplünderung durch Agrarwirtschaft und Bergbaukonzerne freigeben will. Er hat ein politisches Klima geschaffen, das zu exzessiver Abholzung und Brandrodung ermutigt wie auch eine Reihe von Schritten veranlaßt, die das Vordringen der mächtigen Agrarkonzerne in die wald- und artenreiche Region erlaubt. In der anhaltenden Wirtschaftskrise des Schwellenlandes dient er sich als rechtsextreme Führerfigur den Eliten des Landes mit dem Heilsversprechen an, ihre Herrschaft und Profite durch forcierte Ausbeutung, Zerschlagung aller Hindernisse und Ausschaltung jeglicher Gegner zu sichern. Brasilien ist noch keine Diktatur, da eine gewisse parlamentarische und rechtliche Struktur existiert, doch Bolsonaro ein offen rassistischer und gewalttätiger Machthaber, der die Grenzen in Richtung der von ihm verherrlichten Militärjunta Zug um Zug verschiebt.

Die Bilanz seiner kaum mehr als einjährigen Amtszeit ist bereits verheerend. So hat sich die Abholzung im brasilianischen Amazonaswald im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Wie das staatliche Klimainstitut Inpe mitteilte, wurden 2019 knapp 9.166 Quadratkilometer Wald abgeholzt, während es 2018 etwa 4.946 Quadratkilometer waren. Das entspricht einem Anstieg von 85 Prozent. Dabei handelt es sich um vorläufige Daten der Satellitenüberwachung von Inpe, wobei eine später anzufertigende tiefere Analyse der Daten nach Ansicht der Experten einen noch höheren Wert liefern dürfte, da dann auch kleinere Rodungen erfaßt werden. Die Regierung hat Inpe mehrfach wegen der hohen Zahlen kritisiert. Nachdem im Juli ein Zuwachs um 278 Prozent und im August von 222 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemessen wurde, entließ Bolsonaro den Leiter des Instituts unter dem Vorwurf, er habe überhöhte Zahlen publiziert, um dem Präsidenten zu schaden. Später erwiesen sich die Zahlen jedoch als korrekt.

Als im letzten Sommer Berichte über eine enorme Zunahme der Brände im Amazonasgebiet um die Welt gingen, beschuldigte Bolsonaro sogar Umweltschutzorganisationen, sie hätten die Feuer gelegt, um Spenden einzustreichen und Brasiliens Ruf zu beschädigen: "Es könnte sein, dass Nichtregierungsorganisationen Straftaten begehen, um meine Person und die brasilianische Regierung in Verruf zu bringen. Das ist der Krieg, den wir gerade führen. Ich sehe es so, dass diese NGOs Aufträge aus dem Ausland bekommen." Erst als einige Firmen begannen, Produkte aus Brasilien zu boykottieren, und auch die einheimischen Wirtschaftsverbände Druck machten, lenkte Bolsonaro ein und wies die Armee an, beim Löschen zu helfen. Nachdem im August Tausende Soldaten dorthin entsandt worden waren, nahmen die Brände und Abholzungen kurzfristig ab. Kaum waren die Soldaten Ende Oktober wieder abgezogen, stieg die Abholzung erneut an. Umweltschützer rechnen damit, daß sich in der nächsten Trockenzeit noch schlimmere Brände durch die Urwälder fressen und die Angriffe auf Indigene und Kleinbauern verschärfen werden. [2]

Bolsonaro setzte seinen Feldzug fort und machte einen evangelikalen Missionar zum Abteilungsleiter für isolierte Völker in der FUNAI, der Behörde für Indigene. Diese Abteilung ist dafür verantwortlich, Stämme zu schützen und abzuschirmen, die ohne Kontakt zur Zivilisation in entlegenen Urwaldgebieten leben. Doch ausgerechnet die Missionsgesellschaft des neuen Behördenleiters ist in der Vergangenheit immer wieder in diese Gebiete eingedrungen und hat beim Versuch, sie zu bekehren, vermutlich mehrfach tödliche Krankheiten in ihre Dörfer getragen.

Nun geht der Präsident daran, seinen lange geplanten Generalangriff auf die Schutzgebiete der Indigenen einzuleiten, die er vollständig für Bergbau, Energiegewinnung und andere wirtschaftliche Ausbeutung freigeben will. Er spricht von einem großen Schritt und einem Traum, der jetzt wahr werden solle, und hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es Unternehmen gestattet, künftig in den indigenen Gebieten Bodenschätze wie Gold, Erdgas und Öl zu fördern wie auch Kraftwerke zu errichten. Wenngleich die dort lebenden Indigenen gefragt werden müssen, haben sie kein Einspruchsrecht, das die wirtschaftliche Nutzung verhindern könnte.

Rund 13 Prozent des brasilianischen Staatsgebiets werden von Indigenen bewohnt und waren bislang geschützt, was die dort lebenden Menschen wie auch den Regenwald gerettet hat. In den meisten Territorien der indigenen Völker sind die Wälder noch weitgehend intakt. Das geplante Gesetz hebt diesen Schutz auf und öffnet einem Milliardengeschäft Tür und Tor. Über das Land verteilt gibt es 486 solcher Gebiete. Viele sind winzig, aber gerade im ökologisch wertvollen Amazonasbecken wurden den Völkern zum Teil auch große Urwaldgebiete übertragen. Das größte indigene Gebiet, das Reservat der Yanomami im äußersten Norden Brasiliens, ist größer als Ungarn. Auf diese Flächen haben es Bolsonaro und die hinter ihm stehenden Wirtschaftskreise abgesehen.

"Der Vorschlag, die Indigenen-Gebiete für Bergbau, Agro-Business und Kraftwerke zu öffnen, ist eine große Bedrohung für Amazonien", warnt Danicley Aguiar von Greenpeace. "Er verletzt die Rechte der Indigenen Völker, die in der Verfassung verankert sind." Und der Oppositionspolitiker Rodrigo Agostino erklärt: "Brasilien exportiert schon jetzt viele Rohstoffe. Und viel davon wird in Amazonien gefördert. Aber dazu musste man noch nie indigene Gebiete ausbeuten. Wir meinen, dass der Bergbau dort die Indigenen unnötigen Gefahren aussetzt. Außerdem schafft er soziale Konflikte und fördert noch Misshandlungen der Indigenen."

Für solche Einwände hat Bolsonaro nur aggressiven Hohn übrig: "Es wird Druck von Umweltschützern geben, ach, diese Umwelt-Leute ... Wenn ich kann, werde ich sie irgendwann mal in Amazonien festsetzen, sie haben die Umwelt ja so gern. Und dann stören sie hier in den Städten nicht mehr." Der Kongreß könnte die Öffnung der indigenen Gebiete noch verhindern, aber dort ist der Einfluß der Agrarlobby und der Industrie sehr groß. Die betroffenen Völker werden wie üblich gar nicht gefragt. Sie appellieren in ihrer Not an die internationale Gemeinschaft, wofür Davi Kopenawa und Raoni Metuktire nach Großbritannien gereist sind:

"Ich rufe Europa auf, uns anzuhören und zu helfen. Der weiße Mann kommt in mein Haus und zerstört es, dazu hat er kein Recht. Er begeht einen Fehler. Der weiße Mann missachtet die Natur, nur wir achten sie. Was heute passiert ist, dass die Regierung dort den Tod der Indigenen anordnet, sie wollen uns Indigenen schlimme Dinge antun. Deswegen bitte ich euch, mit der Regierung zu reden und Druck auszuüben, damit sie die Indigenen in Ruhe auf ihrem Land leben lassen. Ohne Konflikt und ohne Indigene zu töten. Darum wollte ich euch bitten. Ich will in Frieden leben, ohne Kampf, ohne sich gegenseitig umzubringen. So will ich es. Ich will keine Kämpfe." [3]

Es steht zu befürchten, daß dieser Hilferuf der von Vernichtung bedrohten indigenen Völker Brasiliens, von medialen Betroffenheitsgesten abgesehen, kein Gehör finden wird. Als der deutsche Außenminister Heiko Maas dem brasilianischen Präsidenten seinen Antrittsbesuch abstattete, ließ er sich bereitwillig von dem kreidefressenden Bolsonaro vorführen. Die mitgereiste Wirtschaftsdelegation hatte längst die Weichen gestellt und unter dem neuen Machthaber ein vorzügliches Investitionsklima gewittert, das um keinen Preis zugunsten der internationalen Konkurrenz, die sich in Brasilia die Klinke in die Hand gab, durch Mißtöne beeinträchtigt werden durfte. Die Staaten Europas importieren massenhaft Fleisch, Soja und andere Rohstoffe aus Brasilien, die dort nicht zuletzt unter einer eskalierenden Vernichtung des Regenwalds und der darin lebenden Menschen produziert werden.

Bolsonaro führt einen Krieg gegen alle oppositionellen Bestrebungen, Minderheiten wie auch Menschen, die er für überflüssig hält. Zwar scheiterte die Regierung im Parlament mit einem Gesetzentwurf, der Polizisten Straffreiheit bei Taten garantieren sollte, die aufgrund von "gerechtfertigten Angstsituationen, Überraschung oder heftigen Gefühlsregungen" ausgeübt wurden. Dennoch ist die Anzahl der Toten bei Aktionen von Polizei und der im Zuge der "Operationen zur Garantie von Gesetz und Ordnung" (GLO) eingesetzten Armeekräfte im vergangenen Jahr stark angestiegen, wobei allein in Rio heute fast ein Viertel der Morde auf das Konto der Polizei geht. Nur ein Bruchteil der Taten wird untersucht, und sollten Polizisten dennoch im Gefängnis landen, haben sie gute Chancen, von ihrem Präsidenten begnadigt zu werden. Das in Brasilien übliche präsidiale Privileg der weihnachtlichen Begnadigung kam fast ausschließlich Polizisten, Militärangehörigen und militarisierten Feuerwehrleuten zugute und betraf auch außerhalb des Dienstes begangene Straftaten, die aus "einem existierenden Risiko für sich selbst oder Dritte" verübt wurden.

Bis November war die Anzahl registrierter Waffen im Land um 48 Prozent gestiegen. Die Behörde zur Bekämpfung von Folter, die vor sechs Jahren von der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff geschaffen worden war und die Aufsicht über Gefängnisse, Psychiatrie- und Entzugsanstalten hatte, wurde aufgelöst. Die UN warnte Brasilien daraufhin, den internationalen Pakt gegen Folter nicht zu brechen, was Bolsonaro mit der Drohung konterte, er werde eine berüchtigte Foltermethode aus der Zeit der Militärdiktatur bei Korruptionsfällen gestatten. [4]

Noch stehen Bolsonaros Durchmarsch gewisse Hemmnisse im Wege. Bisweilen werden Gesetzesvorhaben von Gerichten gestoppt, und besonders radikale Maßnahmen scheitern mitunter im Parlament. Der ultrarechte Machthaber kann Brasilien nicht in der Geschwindigkeit umbauen, wie er dies anstrebt, um gesellschaftlichem Widerstand zuvorzukommen, der zwar hier und da hervorbricht, sich aber noch längst nicht formiert hat. Der Präsident und seine Gefolgschaft graben jedoch immer weitere Löcher in das Fundament der politischen und sozialen Verhältnisse, sie vertiefen die in der extrem rassistischen brasilianischen Klassengesellschaft ohnehin existierenden Gräben und fordern die Rückkehr zu den Notstandsgesetzen der Diktatur.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/ausland/ein-jahr-bolsonaro-101.html

[2] www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-01/amazonas-brasilien-regenwald-jair-bolsonaro-abholzung-wald

[3] www.deutschlandfunk.de/brasilien-bolsonaro-hebt-schutz-indigener-gebiete-auf.799.de.html

[4] amerika21.de/2020/01/236082/brasilien-bolsonaro-bilanz-waffen-folter

11. Februar 2020


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