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RAUB/1230: Cheltenham - am Beispiel der Pferde ... (SB)



Da entströmen Tränen des Mitleids, des hilflosen Zorns, dem Kinde. "Pferd, nicht weinen! Nicht weinen, mein Pferd!" Das Lachen und Grölen der Menge ringsum übertönt fast die tröstenden Worte des Kindes: "Ein bisschen Pferd ... auf seine Art ist jeder Pferd."
aus Wladimir Majakowski - Gute Behandlung der Pferde [1]

Die Pandemie verlangt nach Ablenkung, Zeit will vertrieben sein, begründete Sorge wird in der Erregung begeisterter Massen am besten vergessen, und sei es zum Preis der Mißachtung des ersten Gebotes aktiven Schutzes, die infektiös gewordene Nähe anderer Menschen zu vermeiden. Noch am Freitag letzter Woche wurden fast 70.000 Menschen beim insgesamt fünftägigen Cheltenham Festival gezählt, einem der größten Events unter den zahlreichen Pferderennen im United Kingdom. Während dieses Spektakels werden Hunderte Millionen Pfund verwettet, der Alkohol fließt in Strömen, und die Pferde werden zum Amüsement des Publikums auf derart mörderische Weise über den Parcours gehetzt, daß jedes Jahr Todesfälle zu beklagen sind.

Cheltenham 2020 ist mit 2 getöteten Rennpferden geradezu glimpflich ausgegangen. Nachdem vor zwei Jahren 6 Pferde tödlich verletzt wurden, hat man einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die dazu führten, daß 2019 "nur" 3 Pferde den Wettbewerb nicht überlebten. Insgesamt sind in Cheltenham seit dem Jahr 2000 68 Pferde an den Hochleistungsbedingungen, die ihnen alles abverlangen und insbesondere das Überspringen der Hindernisse auf der Rennstrecke riskant machen, verendet. Cheltenham ist nur eines unter 24 der in UK ausgetragenen Rennen, die auf der Liste der 100 populärsten Pferderennen der Welt stehen und bei denen 2019 insgesamt 173 Pferde starben [2]. Zwischen 2010 und 2015 wurden jedes Jahr durchschnittlich 193 Pferde auf britischen Rennstrecken getötet.

Weil die Pferde sich niemals dafür entscheiden würden, auf eine besonders brutale Form des Leistungssportes zugerichtet zu werden, kann nur von aktiver Tötung gesprochen werden. Daß Rennpferde "verunglücken", ist eine Verharmlosung, wird doch ein Aufeinandertreffen ungünstiger Bedingungen suggeriert, anstatt den systematischen Verbrauch von Tieren in diesem sogenannten Sport beim Namen zu nennen. Unter Einsatz der Reitpeitsche werden die hochsensiblen Tiere dazu gezwungen, Risiken einzugehen, denen sie freiwillig lieber ausweichen würden. Wie im Leistungssport überall werden auch hier verbotene Medikamente eingesetzt, um die die Schmerzen bereits geschädigter Pferde zu unterdrücken, was das Risiko weiterer Verletzungen erhöht.

Rennpferde sind bloße Objekte des Interesses ihrer BesitzerInnen, maximalen Profit aus ihnen zu schlagen. Dazu werden sie auf die Erfüllung des einen Zieles, die Rennstrecke in möglichst kurzer Zeit zu überwinden, gedrillt. Ab einem Alter von anderthalb Jahren werden junge Pferde, deren Skelett noch nicht ausgewachsen ist, intensiv trainiert, woran bereits viele scheitern. Im züchterischen Selektionsprozeß werden alle Tiere aussortiert, die nicht zum Erreichen des beanspruchten Leistungsniveaus taugen. Über 5000 Fohlen werden in der britische Rennsportindustrie jedes Jahr geboren. Ihr Weg endet teilweise schon früh in der Schar der 10.000 in UK pro Jahr geschlachteten Pferde. Manche ereilt dieses Los, weil sie an den Leistungsnormen der Aufzucht scheitern, andere sind nach ein paar Jahren als Rennpferd physisch so verschlissen, daß sie nicht mehr an private ReiterInnen zu verkaufen sind.

Wie in der Schweinemast und bei der Milchproduktion werden weibliche Tiere besonders intensiv ausgebeutet. Stuten werden so lange gedeckt, bis sie unter der Last permanenter Schwangerschaften, bei denen über 15 Fohlen produziert werden können, physisch zusammenbrechen. Wenn sie nicht in direkter Folge dieser intensiven körperlichen Beanspruchung sterben, wartet womöglich der Schlachter auf sie. Da es sich bei der Zucht von Rennpferden um ein Millionengeschäft handelt, wird der Ovulationszyklus der Stuten mit Hormoninjektionen so manipuliert, daß sie für den Zuchthengst termingerecht empfänglich sind [3].

Für die auf einen Anteil von 3,5 Milliarden Pfund am ökonomischen Gesamtprodukt Großbritanniens taxierte Industrie [4] sind Pferde ein lukratives Investment. Wenn keine profitable Verwertungsmöglichkeit mehr gegeben ist, stellen sie ein Entsorgungsproblem dar, dessen sich im besten Fall private Reitfans annehmen.

Es ließen sich einige Kritikpunkte mehr [5] anführen, doch allein die Praxis, nichtmenschliche Tiere zum Zwecke einer Sportart zu quälen und zu zerstören, die 6 Millionen ZuschauerInnen im Jahr auf die Rennstrecken des Landes lockt, stellt die Herrschaft menschlicher Tiere über das Leben in seiner ganzen Destruktivität bloß. Pferde zum Preis welcher Schmerzen auch immer instrumentellen Zwecken zu unterwerfen, die niemals die ihren sein können, ist Speziesismus in Reinkultur. Indem Pferden die Leistungsparameter eines sportlichen Wettbewerbs aufgenötigt werden, der die alle Solidarität zerstörende Verabsolutierung der Marktkonkurrenz im neoliberalen Kapitalismus reproduziert, unterwerfen sie sie einer Form von Entfremdung, die die historische Domestizierung der Pferde für Arbeit und Krieg auf die Spitze treibt. Wie eine Hochleistungsmaschine auf die Entwicklung besonderer körperlicher Eigenschaften hin gezüchtet und der strikten Befolgung des Kommandos der ReiterInnen unterworfen wird ihnen alles ausgetrieben, was sie als subjektives Interesse und tierliches Eigenleben ausmacht.

Dieses Jahr könnte einigen betroffenen Pferden eine coronabedingte Auszeit gegönnt sein. Vielleicht vergeht mancher Pferdesportbegeisterten in den Monaten der Krise die Lust an einer Form von Unterhaltung, die diesen pflanzenverzehrenden Tieren permanent Gewalt antut. Für die AktivistInnen der britischen Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung gehört der sogenannte Pferdesport neben den Fuchsjagden zu den bevorzugten Zielen des Protestes, handelt es sich doch in beiden Fällen um eine traditionell stark klassengesellschaftlich verankerte Form von Tierausbeutung, die menschliche wie nichtmenschliche Tiere in Mitleidenschaft zieht und daher abzuschaffen ist.


Fußnoten:

[1] https://www.gedichte.com/showthread.php/79260-Nicht-weinen!

[2] https://www.league.org.uk/news/horse-death-at-cheltenham

[3] https://www.animalaid.org.uk/wp-content/uploads/2016/09/bred.pdf

[4] https://www.thetba.co.uk/wp-content/uploads/2018/09/TBA-Economic-Impact-Study-2018.pdf

[5] https://www.sueddeutsche.de/kolumne/tierschutz-ein-sport-der-das-sterben-einkalkuliert-1.4535245

16. März 2020


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