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REPRESSION/1306: Ärztliche Kunst im Dienst der Folterknechte (SB)



Wer einem Berufsstand in die Hände fällt, dessen Angehörige sich auf einen Eid berufen, Leben zu schützen und nicht zu nehmen, muß Schlimmstes befürchten. Wie man den Soldaten auf die Fahne schwören läßt, um seinen Waffengebrauch zu Lasten des Feindes im Inland und Ausland zu legitimieren, bedient sich auch die ärztliche Kunst im weitesten Sinn eines ethischen Ankers, um unbesorgt zurücklassen zu können, was als Menschlichkeit im naheliegendsten Sinn weder eines Eides noch eines Schwurs bedarf. Wenn der Soldat die Waffe auf den Mitbürger richtet, den der hungrige Magen auf die Straße treibt, oder ein Arzt dem Folterknecht zur Hand geht, um das Opfer nicht zu rasch umzubringen, erfüllt das zwangsläufig mit Entsetzen, zumal sich der Verdacht regt, es könne sich dabei nicht um eine verdammenswerte Ausnahme, sondern eine systemische Konsequenz handeln.

Neu ist an dem Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz über die aktive Beteiligung medizinischen und psychologischen Personals an Folterungen durch die CIA in ausländischen Geheimgefängnissen vor allem, daß er überhaupt veröffentlicht wurde. Das Rote Kreuz ist nicht glücklich darüber und wollte den bereits 2007 fertiggestellten Bericht überhaupt nicht publizieren, da es andernfalls seinen Status als neutrale Organisation gefährdet sieht, der man Zugang zu den finstersten Orten staatlicherseits verübter Grausamkeiten gewährt. Wie aber sollte es möglich sein, auf Tuchfühlung zu Gefangenen und Gequälten zu gehen, ohne sich auch nur im mindesten der Kollaboration mit den Kerkermeistern schuldig zu machen?

Wie aus dem Bericht zudem hervorgeht, hat die Bush-Regierung jahrelang die Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz bei der Überprüfung US-amerikanischer Gefangenenlager und Folterzentren verweigert. Entsprechende Berichte der Organisation blieben seit 2002 weitgehend unbeantwortet, was die angeblichen Vorteile vertraulicher Zusammenarbeit mit Regierungen zum Nutzen der Insassen nicht gerade plausibel macht.

Die CIA berief sich prompt auf die Vertraulichkeit der Arbeit des Roten Kreuzes und lehnte ihrerseits jede Stellungnahme ab. Im übrigen habe Präsident Obama bei allen Vernehmungen durch Mitarbeiter im Regierungsdienst jede Anwendung von Gewalt mit Ausnahme der im Handbuch der US-Army als gewaltlos eingestuften Verhörmethoden untersagt. Davon abgesehen sei die neue Führung der CIA der Auffassung, daß keiner ihrer Mitarbeiter für Handlungsweisen bestraft werden könne, die unter Präsident Bush vom Justizministerium für legal erklärt worden waren.

Wie man sofort erkennt, beginnt und endet die Folter nicht im Keller der Tortur, sondern repräsentiert die Exekution eines bis in höchste Regierungskreise reichenden administrativen Zwangsregimes, das foltern läßt und für Verschleierung, besser noch Legalisierung sorgt. Davon nichts wissen zu wollen, ist eine beiläufige Beschäftigung, der wohl die Mehrheit der Bevölkerung mühelos nachgeht. Diese Feststellung spricht keineswegs dafür, die Folterer und ihre medizinischen Kumpane straflos davonkommen zu lassen, erklärt aber auch, warum das in den allermeisten Fällen nicht geschieht. Die New York Times (07.04.09) zitiert in diesem Zusammenhang einen Experten, nach dessen Kenntnis seit 1945 weltweit nur 70 Ärzte wegen der Teilnahme an Folter verurteilt worden sind, die meisten von ihnen in Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay, doch kein einziger in den Vereinigten Staaten. Wenn man bedenkt, wie lange allein die berüchtigte School of the Americas in den USA lateinamerikanische Folterer ausgebildet hat, ist das aus staatlicher Sicht schon eine beachtliche Erfolgsbilanz.

Der Report des Roten Kreuzes beruht auf der Befragung von vierzehn als sehr wichtig eingestuften Gefangenen des Lagers im US-Stützpunkt Guantánamo Bay, die von ihren Erkenntnissen aus anderen Folterzentren berichten. Darin sind die Arten der Folter und die Beteiligung von medizinischem Personal so detailliert aufgeführt, daß die aktive Rolle der Ärzte, Psychologen oder zumindest medizinisch ausgebildeten Kräfte glaubwürdig belegt wird. Obgleich die befragten Häftlinge keinerlei Kontakt miteinander hatten, sind ihre Beschreibungen so übereinstimmend, daß diese Praxis als ebenso bewiesen gelten muß, wie die ähnlichen Haftbedingungen und angewendeten Torturen. Die Verfasser des rund 40 Seiten umfassenden Berichts nehmen kein Blatt vor den Mund und scheuen sich nicht, neben der medizinischen Komponente der Folterpraxis auch die Geheimgefängnisse als solche als eklatanten Bruch mit internationalen Rechtsstandards anzuprangern.

Der fertiggestellte Bericht wurde der US-Regierung im Februar 2007 übergeben. Es mutet absurd an, der Administration Erkenntnisse über deren eigene Praktiken zu übermitteln, als wisse diese nicht all das und noch viel mehr. Welche Konsequenzen sollte es auch haben, wenn das Rote Kreuz die systematische Folter unter Beteiligung medizinischen Personals recherchiert und dokumentiert, es aber vorzieht, dies vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten, um auch künftig Zugang zu derartigen Lagern und Gefängnissen zu bekommen? Angesicht solcher Zirkel der Beteiligung bleiben Berichte von Gefangenen, die nicht auf die eine oder andere Weise abgefangen werden, die einzig zuverlässige Quelle.

9. April 2009