Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1368: Patriot Act forever - Potentieller Widerstand unter Generalverdacht (SB)



Wer mit nationaler Sicherheit argumentiert, sollte nicht übersehen, daß damit nur die Sicherheit staatlich organisierter Raub- und Verfügungsinteressen gegenüber den Bürgern im In- und Ausland gemeint sein kann. Daß dem so ist, dokumentiert in vorderster Front der US-Patriot Act - jenes unsägliche "Antiterrorgesetz", das von langer Hand vorbereitet nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Eilverfahren von der Regierung unter George W. Bush erlassen worden ist. Natürlich verzichtet die US-Administration nicht mehr auf diese Errungenschaft repressiver Zugriffsgewalt, welche die Gewaltenteilung de facto zugunsten der Exekutive aufhebt und die Bürgerrechte vollends entsorgt, die sich einmal mehr als befristetes Lehen von Gnaden des Staates erweisen.

Barack Obama war vor seiner Zeit als Senator noch gegen den Patriot Act, als Abgeordneter anfänglich dagegen und später für eine abgeschwächte Version, als Präsident empfahl er nun, das Gesetz eilig anzunehmen. Nachdem bereits der Senat der Verlängerung des Gesetzes um ein weiteres Jahr zugestimmt hatte, folgte nun auch das Repräsentantenhaus der Argumentation des Präsidenten und besiegelte damit den Fortbestand der Doktrin, daß diese Maßnahmen zur Überwachung von "Terrorverdächtigen" unverzichtbar seien. Einige Demokraten leisteten sich zwar die obligatorischen Bauchschmerzen, um den Eindruck zu erwecken, sie hätten eine Kröte geschluckt, doch hielt sich der parteiinterne Widerstand in abgezirkelten Grenzen, damit er dem Ausbau repressiver Strukturen nicht im Weg stand.

Mit dem irreführenden Argument durchgesetzt, es gelte bestehende Kompetenzlücken in den Sicherheitsbehörden zu schließen, war der Patriot Act von Anfang an darauf angelegt, die administrativen Befugnisse nicht nur auf ein bis dahin unerreichtes Niveau zu heben, sondern darüber hinaus die massiv eingeschränkten Bürgerrechte immer weiter zu untergraben. Wie ein Dammbruch, dem die fortschreitende Erosion des Schutzwalls unvermeidlich folgt, sofern man die Lücke nicht vollständig abdichtet, räumt dieses Gesetz den Ermittlungsbehörden so wenig beschränkte und kontrollierte Handlungsmöglichkeiten ein, daß die letzten verbliebenen Hemmnisse fast automatisch ausgehebelt werden.

Das FBI darf von Einrichtungen wie Finanzämtern, Krankenhäusern, Providern oder Bibliotheken sämtliche Unterlagen über eine beliebige Person anfordern, wofür die Begründung ausreicht, diese Maßnahme sei für eine strafrechtliche Untersuchung relevant. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betreffende Person selbst Ziel der Ermittlung ist. Wer einen sogenannten National Security Letter erhält, muß alle Daten wie Emailverkehr, Suchmaschinenbenutzung, Bankbewegungen und vieles mehr offenlegen, wobei ihm zugleich ein Redeverbot auferlegt wird: Weder darf er die betreffende Person über die Weitergabe der Daten informieren, noch sich in allgemeiner Form diesbezüglich an die Öffentlichkeit wenden. Da dem FBI selbst die Minimalauflage des Nachweises, daß die überprüfte Person etwas mit einer laufenden Ermittlung zu tun hat, zu einschränkend war, griff man auf "Dringlichkeits-Briefe" zurück, die auch diese letzte Hürde aus dem Weg räumten.

Vergleichbares gilt für die Überwachung nach dem Patriot Act, die den Zugriff auf sämtliche Kommunikationskanäle einer Person gestattet und mit dieser unabhängig von einem bestimmten Gerät mitwandert. Damit nicht genug, können auch Unbeteiligte in der Umgebung des Verdächtigen abgehört werden, wobei die Anforderung eines zuvor erfolgten Kontakts zwischen den beiden Personen in aller Regel ebenso mühelos für erfüllt erachtet, wie die erforderliche Zustimmung eines Geheimgerichts gewährt wird. Auch dieser Aspekt des Gesetzes unterstreicht seinen Charakter eines gefräßigen Wurms fortschreitender Kontrolle beliebiger Bürger, der deren Rechte kurzerhand verschlingt.

Wie diese Beispiele belegen, steht die Argumentation von Bürgerrechtlern insofern auf tönernen Füßen, als sie den Mißbrauch bestehender Gesetze beklagen. Der Patriot Act repräsentiert nicht einen Status quo, sondern in seinem Gebrauch einen Prozeß der Eliminierung verbliebener Restbestände des Schutzes vor staatlichem Zugriff. Als um so fataler erweist sich der Ansatz der Amerikanischen Bürgerrechtsunion (ACLU), die nicht nur das Ausmaß der staatlichen Überwachung aufzeigt, sondern zugleich dessen relativ geringen Erfolge ins Feld führt.

Wohl trifft es zu, daß die Ermittlungen des FBI und demzufolge auch die Zahl der Auskünfte in den zurückliegenden Jahren dramatisch gestiegen sind, während zugleich der prozentuale Anteil nicht belastbarer Verdachtsfälle enorm zugenommen hat und die Zahl tatsächlicher Anklagen gegen "Terroristen" nahezu konstant geblieben ist. Daraus abzuleiten, der Patriot Act sei ein Fehlschlag, und dies argumentativ gegen ihn ins Feld zu führen, hieße jedoch, dem Terrorkonzept auf den Leim zu gehen.

Dessen fundamentaler Zweck besteht darin, ein Bedrohungsszenario zu installieren, das jedwede Repression unter Verweis auf die nationale Sicherheit rechtfertigt. Der "Terrorverdacht" erweist sich mithin als präventives Universalwerkzeug umfassender Bezichtigung, die in der Konsequenz alle Bürger unter den Generalverdacht potentiellen Widerstands stellt. Dies macht nicht nur deutlich, woher die eigentliche Gefahr droht, sondern läßt darüber hinaus ahnen, daß man es keineswegs mit einem Tiefpunkt, sondern vielmehr einer Durchgangsstation zu noch grausamerer Drangsalierung zu tun hat, deren es sich zu erwehren gilt.

28. Februar 2010