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REPRESSION/1371: Google vs. Peking ... auch weiße Ritter brauchen Knechte (SB)



Als Botschafter der Freiheit ist der US-Konzern Google eine zumindest zweifelhafte Wahl. Während die Umleitung der Suchanfragen chinesischer Internetnutzer auf Google-Server in Hongkong als Ende der Kollaboration mit der chinesischen Regierung gefeiert wird, die der Internetkonzern seit 2006 mit der Akzeptanz der Zensurvorschriften Pekings aufrechterhalten hat, ändert sich für die chinesischen Nutzer nur so viel, daß sie nun durch die eigenen Behörden und nicht einen ausländischen Dienstleister davon abgehalten werden, politisch mißliebige Seiten aufzurufen. Das Interesse Googles darf bei aller Beschwörung der Freiheit des Internets als vorrangig ökonomisch verstanden werden. Es geht dem Konzern darum, auch weiterhin den Fuß in der Tür eines Staates zu haben, dessen Bevölkerung gerade bei der Nutzung des Internets über ein erhebliches kommerzielles Entwicklungspotential verfügt.

Da Google einer der größten jener internationalen Akteure ist, deren Geschäftsinteressen mit dem Ausbau der elektronischen Datenkommunikation zur zentralen Verwertungs- und Distributionsmatrix stehen und fallen, dient der von dem Konzern wie der Regierung des Landes, in dem er angesiedelt ist, propagierte Freiheitsbegriff vor allem der unbeeinträchtigten, die eigenen Oligopole begünstigenden Kapitalverwertung. US-Außenministerin Hillary Clinton hat im Januar bei ihrem Plädoyer für die weltweite Freiheit des Internet betont, daß der freie Informationszugang letztlich auch ein Werkzeug des wirtschaftlichen Fortschritts sei (heise online, 21.01.2010). Damit ist nicht nur die Distribution immaterieller Güter gemeint, hinsichtlich derer die USA China die angeblich unzureichende Durchsetzung von Urheberrechten anlastet, sondern auch die ideologische Zurichtung der chinesischen Bevölkerungen auf das westliche Gesellschaftsmodell.

Dessen Demokratisierungskampagnen, ob sie nun mit medialer Indoktrination, bunter Unterwanderung oder grober Waffengewalt vorangetrieben werden, verfolgen stets das Ziel, den vom eigenen Land aus international operierenden Konzernen vorteilhafte Geschäftschancen in den angeblich befreiten Gebieten zu verschaffen. Wie an den jüngsten Regimewechsel in autoritär regierten Staaten zu studieren hält, dabei eine Form der neoliberalen Marktwirtschaft Einzug, die die ökonomische Situation für das Gros der betroffenen Bevölkerungen häufig sogar verschlechtert. Was seit 1990 unter dem Banner freedom & democracy an Lebenschancen vernichtet wurde, steht in keinem Verhältnis zu den in diesem Zuge erstrittenen Freiheiten der politischen Meinungsäußerung und des Warenkonsums.

Erschwerend hinzu kommen die damit verbreiteten Technologien der sozialen Kontrolle. An deren Entwicklung arbeitet auch die Suchmaschine Google. Sie setzt mit der fortschreitenden Ausforschung der Konsumgewohnheiten des einzelnen Nutzers potentielle Überwachungsstrukturen frei, die, wenn sie in die falschen Hände geraten, Formen der Repression möglich machen, die hinsichtlich ihrer individualisierten Zugriffpräzision alles bisher dagewesene in den Schatten stellen. Zudem eröffnet das von der Suchmaschine verwaltete Auflisten der Suchergebnisse Möglichkeiten inhaltlicher Regulation, die nicht erst grober Zensurmechanismen bedarf, um Meinungen systematisch zu formieren. Den Einfluß, den eine zumindest in der Bundesrepublik den größten Teil der Nutzeranfragen bedienende Suchmaschine wie Google inzwischen auf die Wissensproduktion ausüben kann, nicht demokratischer Kontrolle zu unterwerfen, sondern der angeblich unsichtbaren Hand des Marktes zu überlassen, entspricht der allgemeinen Degeneration demokratischer Kultur zu einem Aushängeschild ökonomischer Interessen.

Nicht nur in China versuchen staatliche Behörden, Einfluß auf die Breite der bei Suchmaschinen verfügbaren Inhalte zu nehmen, wie etwa Bestrebungen europäischer Politiker belegen, ideologisch mißliebige Inhalte sperren zu lassen oder gar bestimmte Suchwörter zu indizieren. In sogenannten Marktdemokratien herrscht zwar keine offene Zensur wie im Falle Chinas, doch steht die Freiheit der Bürger im Netz längst zur Disposition von Kontrollpraktiken, die das Verhalten der Nutzer nachvollziehbar machen und letztlich deanonymisieren sollen. Auf der 37. Tagung der Internetverwaltungsagentur ICANN, die diesen Monat im nigerianischen Nairobi stattfand, haben Regierungsvertreter europäischer Staaten und der internationalen Polizeiagentur Interpol einen weiteren Vorstoß unternommen, um die Registrierung von Internetadressen so transparent zu machen, daß den Sicherheitsbehörden und anderen staatlichen Akteuren wie etwa Finanzämtern und Justizbehörden der Zugriff auf die Personen- und Firmenidentität des jeweiligen Nutzers möglich wird. Sie verlangten von den für das Internetnamenssystem (DNS) zuständigen Registrare, künftig Daten aller Art ihrer Domainkunden vorzuhalten und den Strafverfolgern zur Verfügung zu stellen.

In der Sendung "Computer und Kommunikation" des Deutschlandfunks hat Peter Welchering den Versuch insbesondere der G8-Staaten, auf diese Weise letztlich "so etwas ähnliches wie eine Verbindungsvorratsdatenspeicherung" zu etablieren, mit Hilfe derer transparent würde, "von wem wann wie viele Daten abgerufen worden sind oder wann die an welche Domain gesandt wurden", nicht nur in Hinsicht auf die Anonymität von Bürgern autoritär regierter Staaten mit einem Fragezeichen versehen. Von politischen Aktivisten genutzte Anonymisierungsdienste büßten damit jegliche Schutzfunktion ein:

"Wenn die Forderungen der Strafverfolger - die übrigens von den Regierungsvertretern von Deutschland, Großbritannien und auch von Australien nachdrücklich unterstützt wurden - wenn diese Forderungen wirklich von der ICANN umgesetzt würden, dann sind die bisher genutzten Anonymisierungsdienste so transparent, dass Informationen darüber jederzeit an die Regierung weitergegeben werden können. Das heißt, Informanten, sogenannte Whistleblower oder auch Regimekritiker wären überhaupt nicht mehr geschützt. Die jeweiligen Regierungen hätten über ihre Sicherheitsbehörden Zugriff auf die Personaldaten der Beteiligten, auf die Personaldaten der Domainbetreiber, ja sogar auf die Personaldaten der derjenigen, die über diese Domains dann eben Nachrichten veröffentlichen und das wäre natürlich ein ganz gravierender Nachteil."
(Deutschlandfunk, 13.03.2010)

Wenn Google nun in der Auseinandersetzung mit der chinesischen Regierung als Botschafter westlicher Freiheiten dargestellt wird, dann ist damit lediglich ein Paradigmenwechsel von autoritärer Unterdrückung zu "repressiver Toleranz" (Herbert Marcuse) gemeint. Ausbeutung und Unterdrückung werden in den kapitalistischen Gesellschaften der westlichen Welt unauffälliger und geschickter organisiert. Zur Konditionierung der Bevölkerungen auf Leistung und Anpassung kann nicht auf mehr oder minder diskrete Überwachung und Indoktrination verzichtet werden. Zudem macht nicht nur Google mit dem Teufel Geschäfte, wie die kanadische Autorin Naomi Klein anläßlich der olympischen Spiele in Peking 2008 geschildert hat. Die damit einhergehende Öffnung des Landes für die Aktivitäten ausländischer Firmen im sogenannten Sicherheitsbereich hat großen US-Konzernen ermöglicht, an dem 33 Milliarden Dollar schweren Markt für Repressionstechnologien in China zu partizipieren. Zudem sind in diesem Bereich tätige chinesische Konzerne an US-Börsen gelistet, so daß Wall Street-Investoren an der Einschränkung der Bürgerrechte in China gut verdienen können.

Als privatwirtschaftlicher Konzern ist Google kein demokratisch verfügtes Organ der Wissensverwaltung, sondern ein primär nach ökonomischen Kriterien ausgerichtetes Instrument der Kapitalakkumulation, das bei seinen internationalen Aktivitäten mittelbar auf die Unterstützung von Regierungen angewiesen ist, die die Weltwirtschaftsordnung neoliberal strukturieren. Die Auseinandersetzung des Unternehmens mit der chinesischen Regierung als Kampf zwischen guten Freiheitsaposteln und bösen Unterdrückern zu überzeichnen, dient dem üblichen Zweck, von der repressiven Zurichtung der westlichen Bevölkerungen auf die zweifellos in ihrer Informationsfreiheit eingeschränkten Bürger Chinas zu überblenden.

Daß westliche Regierungen und Konzerne tatsächlich an der demokratischen Selbstbestimmung der chinesischen Bevölkerung interessiert sind, muß ohnehin bezweifelt werden. Wenn die heutige Rolle des Landes als Werkbank im Westen endender Wertschöpfungsketten und globale Wachstumslokomotive durch einen revolutionären Umbruch, der in China nicht notgedrungen auf eine liberalkapitalistische Gesellschaftsordnung hinauslaufen muß, abrupt endete, dann hätte das Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, die keineswegs im Sinne einer Globalisierungsdoktrin wären, die die Verfügbarkeit billigster Lohnarbeit auch mit dem Mittel massiver Repression sicherstellt. Die Sachwalter einer postindustriellen Produktivität, in der das Geld aus dem Automaten, das Brot aus der Bäckerei und der Computer mit der Post kommt, sind beim Erstürmen neuer Horizonte der Immaterialität auf die Dienste zahlloser unsichtbarer Sklaven und Knechte angewiesen, denen am Bildschirm mehr als die notwendige Dosis Unterhaltung anzubieten das Fundament der eigenen Reproduktion aushöhlte.

23. März 2010