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REPRESSION/1408: Racial Profiling ... Sicherheitsvorwand zur sozialen Segregation (SB)



Die von dem künftigen Präsidenten des Deutschen Flughafenverbandes, Christoph Blume, vorgeschlagene Einteilung der Passagiere bei Sicherheitskontrollen in verschiedene Risikogruppen wird unter dem Begriff des Profiling verhandelt. Wenn anhand eines durch TV-Serien populär gewordenen Anglizismus Stimmung für repressive Maßnahmen gemacht wird, dann sollte das in diesem Fall dazugehörige Adjektiv "racial" nicht unterschlagen werden. Um nichts anderes als Racial Profiling handelt es sich, wenn Sicherheitskontrollen im öffentlichen Raum anhand äußerlicher Kriterien vorgenommen werden. Der Blick, der die Passagiere in verschiedene Risikogruppen einteilt, muß rassistisch konditioniert sein, um eine derartige Bewertung vornehmen zu können. In seinem kulturalistischen Kern handelt es sich um den Blick der weißen Suprematie, mit dem der Kolonialherr seine Arbeitssklaven taxiert und der imperialistische Eroberer die Verläßlichkeit seiner einheimischen Fußtruppen und Beamten prüft.

Wenn professionelle Profiler an Flughäfen entscheiden, ob der vor ihnen stehende Passagier ungehindert durchgelassen, mit einem Körperscanner durchleuchtet oder umfassend abgetastet wird, dann gelangen keine Vorurteile, sondern Urteile zur Anwendung. Mit dem Begriff des Vorurteils wird die voreingenommene Person auf die diffamierende Wirkung verallgemeinernder Annahmen hingewiesen. Unter dem Grundsatz prinzipieller Gleichbehandlung werden rassistische Zuweisungen als solche exponiert, um sie zugunsten eines dem jeweiligen Individuum adäquaten Umgangs zu überwinden.

Das aus den Analysen und Evaluationen der Terrorismusfahnder gebildete Urteil hingegen verlangt dem Betroffenen im Mindestfall ab, sich durch Widerlegung der ihm angelasteten Bedrohungsqualität zu rehabilitieren. Diese Form der polizeilichen Beweislastumkehr kann allerdings so aggressiv durchgesetzt werden, daß nicht einmal die Möglichkeit aktiver Entlastung bleibt. Wie die Kategorie des "illegalen feindlichen Kombattanten" in Guantanamo, Bagram und Abu Ghraib gezeigt hat, können Terrorverdächtige, also unbescholtene Menschen, die allein aufgrund präventiv auf sie angewendeter Normen zum Objekt des sicherheitsstaatlichen Vollzugs werden, Verschleppung, Folter und jahrelange Freiheitsberaubung erleiden, sollte ihre Person dem Risikoprofil der Sicherheitsbehörden in hohem Maße entsprechen.

Von Racial Profiling ist zum Beispiel die Rede, wenn Schwarze in überdurchschnittlichem Maße von anlaßlosen polizeilichen Personenkontrollen im öffentlichen Raum betroffen sind. Allgemeine Sicherheitsmaßnahmen anhand personengebundener Kriterien durchzuführen heißt, Menschen nach ihrer Hautfarbe und ihrer Kleidung, ihrem Geschlecht und ihrem Alter, ihrem Auftreten und Verhalten in mehr oder weniger verdächtige Personengruppen einzuteilen. Diese virulenten Urteile verdichten die sozialen Kämpfe, die unter der Oberfläche der repressiv befriedeten kapitalistischen Gesellschaft permanent ausgetragen werden, zu einer exekutiven Ermächtigung, die das vermeintlich aufständische Element am Boden halten soll. Erteilt eine staatliche Behörde oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen den offiziellen Auftrag zum Profiling, dann wird nicht nur zur Mißachtung des Grundgesetzes aufgefordert. Es werden rassistische Stereotypien antizipiert und institutionalisiert, um in die Offensive zu gelangen, wo sich die Klassenherrschaft nicht von ungefähr herausgefordert wähnt.

Ein Attentäter hat Gelegenheiten ohne Ende, auf der Straße oder in allgemein zugänglichen Gebäuden, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit einem entsprechend präparierten Auto schwerwiegenden Schaden an Leib und Leben bestimmter Zielpersonen wie zufällig anwesender Passanten anzurichten. Ginge es bei Maßnahmen wie dem Profiling von Fluggästen um die Abwehr terroristischer Bedrohungen, dann müßten ihre Befürworter Rechenschaft darüber ablegen, wieso es mehr oder weniger schutzwürdige Zonen der Terrorismusabwehr gibt. Anhand dieser Frage zeigt sich, daß die privilegierte Absicherung der Kapital- und Funktionseliten und die rassistische Stigmatisierung sozialer, religiöser und ethnischer Minderheiten zwei Seiten derselben Münze sind. Der soziale Charakter sicherheitsstaatlicher Aufrüstung zeigt sich auch in ihrem vorgeblichen Anlaß, dem "islamistische Terrorismus", ist die Diffamierung von Migrantinnen und Migranten arabischer und türkischer Herkunft als angeblich unberechtigte Nutznießer des gesamtgesellschaftlichen Produkt doch längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wenn ein hochrangiger Funktionär des Flugverkehrs eine im Anschluß an eine Straftat eingesetzte polizeiliche Ermittlungsmethode in eine grundrechtswidrige Präventivmaßnahme umwidmet, doch Politik und Medien fast ausschließlich über ihre Umsetzbarkeit und Erfolgsaussicht debattieren, dann wird das Elend deutscher Verfassungswirklichkeit auf angemessene Weise ins Bild gesetzt. Die Parzellierung der Bundesrepublik in Zentren industrieller Produktivität und administrativer Funktionalität, in Schutzräume teuren Konsums und großzügiger Lebensqualität, in Peripherien unwirtlicher Wohnsilos und urbanen Elends, in Brachen deindustrialisierten Verfalls und agrarindustrieller Verödung würde mit einer Sicherheitsarchitektur, die die Menschen anhand sozialer Kriterien als mehr oder minder große Bedrohung qualifiziert, auf die Verkehrsinfrastruktur ausgedehnt. So wird miteinander verbunden, was für Produktion und Reproduktion erforderlich ist, und voneinander getrennt, was zu sozialer Konfrontation führen könnte. Der Feind wird nicht erst als solcher erkannt, wenn er in den Menschenschlangen vor den Sicherheitschleusen steht, er wird anhand seiner Klassenzugehörigkeit zu einem solchen erklärt, um soziale Segregation und ökonomische Mobilität störungsarm miteinander vereinbaren zu können.

28. Dezember 2010