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REPRESSION/1412: Prügelt Die Linke! - Kommunismusschelte im Bundestag (SB)



Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Auflösung des Ostblocks und dem Ende der DDR wurde der Kommunismus für tot und begraben erklärt. Die Geschichte habe die Überlegenheit des als freie Marktwirtschaft apostrophierten kapitalistischen Gesellschaftssystems zweifelsfrei bewiesen. Nur ewig Gestrige und Unbelehrbare könnten dem untergegangenen Unrechtsregime nachtrauern, das seine Bürger durch massive Zwangsmaßnahmen davon abhielt, in den Westen überzulaufen. Angesichts des Triumphs der Sieger und ihrer überbordenden Häme für die Verlierer mutet es allerdings merkwürdig an, mit welchem Ingrimm sie jeden positiven Bezug auf den für überwunden erklärten Irrweg drangsalieren und repressive Maßnahmen einfordern, um das als illegitim diskreditierte Gedankengut einzudämmen und auszurotten.

Dieser eklatante Mangel an Souveränität läßt darauf schließen, daß aus Perspektive der Sicherung herrschender Verhältnisse und insbesondere deren innovativer Fortschreibung in die Zukunft noch beträchtliche Lücken verbliebener Unwägbarkeit zu schließen sind. Soll die Phase konkurrierender Gesellschaftsentwürfe unwiderruflich in ein finales Stadium unumkehrbarer Konsolidierung des neofeudalen Ständestaats samt einer verfestigten Zuteilungsordnung der Überlebenssicherung überführt werden, gilt es die Denkkontrolle zu perfektionieren. Solange Repression, Bellizismus und Rassismus vorzugsweise im konservativen bis reaktionären Lager Urstände feierten, war dessen Doktrin als Propaganda zu identifizieren. Wenn aber im Namen von Freiheit, Menschenrechten und Liberalität Kriege geführt, Massaker verübt, Hungerregimes errichtet und Minderheiten verfolgt werden, wie das längst der Fall ist, zeugt dies von einer beispiellosen Verengung des Denkens auf zementierte Bahnen, die ausbruchssicher perfektioniert werden sollen.

Charakteristisch für diesen Prozeß der im Feuer von Repression und Propaganda geschmiedeten Denkkonstrukte ist die Produktion von weithin unhinterfragten Bezichtigungsmustern, deren verwerflicher Charakter dem dadurch in seinen Möglichkeiten beschnittenen Denken gewissermaßen eingebrannt ist. Zu den Prototypen dieser Fesseln gesellschaftlicher und geistiger Bewegungsfreiheit zählte der Sektenbegriff, mit dem man alle erdenklichen Arten alternativer Lebensformen als rückständig, unterdrückerisch und strafbar denunzierte. Weit über die jedem unbenommene Auffassung hinaus, daß man selbst so nicht leben möchte, ging man dazu über, diese Entwürfe mit wachsender Aggressivität und insbesondere unter Einsatz kirchlicher, sozialer und administrativer Institutionen bis hin zur Strafverfolgung zu drangsalieren. Bezeichnenderweise setzten sich Individuen und Gruppen an die Spitze derartiger Kampagnen, die für sich explizit eine freiheitliche, aufgeklärte und nicht selten sogar linkspolitische Gesinnung geltend machten.

Wenngleich noch vergleichsweise rudimentär und auf bestimmte gesellschaftliche Sektoren beschränkt war damit die Saat gesät, die massenhafte Rückkehr ins Lager der Sieger und die Teilhabe an den Pfründen erfolgreicher Reintegration zu forcieren. Wenig später erklärte man es bereits zu einem Akt der Humanität, Sanktionen zu verhängen, denen Hunderttausende zum Opfer fielen, und Angriffskriege zu führen, andere Länder zu besetzen und zu einem weltweiten Feldzug ohne absehbares Ende aufzubrechen. Der zu diesem Zweck von langer Hand konzipierte und implantierte Terrorbegriff hat inzwischen eine Konsistenz angenommen, die der der Sünde im religiösen Kontext entspricht. Man mag noch an dieser oder jener Stelle darüber streiten, ob jemand tatsächlich ein "Terrorist" sei, doch daß es solche Un- oder Untermenschen gibt, die man reflexartig aufs Entschiedenste ablehnt, verachtet und für vogelfrei erklärt, gilt weithin als unbestritten.

Daß dieser Tage erbitterter Antikommunismus um sich schlägt, ist unter den genannten Voraussetzungen ein weiterer Schritt, gesellschaftliche Widerstandspotentiale einzudämmen und präventiv in ihrer Entstehung zu verhindern. Kommunismus soll dem Arsenal jener Konzepte hinzugefügt werden, die man fortan nicht nur verwerfen, sondern als undenkbar nicht mehr in Erwägung zieht. Wenngleich es sich dabei natürlich auch um eine klassische Auseinandersetzung zwischen einander widersprechenden politischen Konzepten und verfeindeten Lagern handelt, darf man doch den innovativen Charakter dieser strategischen Offensive nicht übersehen.

Mag die Linkspartei auch in überwiegenden Teilen mit ihrer Vorsitzenden Gesine Lötzsch insgeheim hadern oder sie sogar öffentlich rügen, weil sie die Kommunismus-Debatte wiedereröffnet hat, so wird auf diesem Feld doch eine sehr viel bedeutendere Schlacht als eine ausschließlich wahltaktische geschlagen. Wer wollte ausschließen, daß eine junge Generation, die nicht im Klima antikommunistischer Dauerpropaganda aufgewachsen oder durch gescheiterte Ansätze der Linken immunisiert ist, die Idee des Kommunismus oder Sozialismus wiederentdeckt und mit unverhoffter Frische und Dynamik entwickelt? Die Protagonisten der Herrschaftssicherung unterschätzen diese Möglichkeit offenbar nicht, zumal sie wissen, daß die sozialen Grausamkeiten gegen rapide wachsende Teile der Bevölkerung gerade erst begonnen haben und die Hungerrevolte jederzeit ausbrechen kann.

Entsprechend heftig verlief die Aktuelle Stunde des Bundestags, in der über den Kommunismus debattiert wurde. Unwirsch prügelte man auf Die Linke ein, machte vor persönlicher Diffamierung nicht Halt und drohte ihre harsche Sanktionen an. "Das ist eine menschenverachtende Ideologie, die ihrer Partei noch immer anhängt", wetterte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Ins selbe Horn stieß Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse von der SPD, der an die "blutige Spur" des Kommunismus erinnerte und Aussagen widersprach, wonach die Äußerungen Gesine Lötzschs böswillig interpretiert werden. "Sie sind bewußt an Anhänger der Partei gerichtet", erklärte Thierse. Wer am Traum einer gerechten Gesellschaft festhalte, der könne das nach der furchtbaren Geschichte kommunistischer Herrschaft nur mit anderen Wegen versuchen, "ansonsten diskreditiert er sich moralisch und politisch". Der FDP-Politiker Jens Ackermann bezeichnete Lötzsch als geistige Brandstifterin, die Linksextremisten ermutige, demokratische Werte mit Füßen zu treten. Wolfgang Wieland von den Grünen kanzelte den Redebeitrag Ulrich Maurers von der Linkspartei als "Heuchelei" ab, wofür er Beifall aus der Union erhielt. [1] Diese Einlassung sei ja wohl "unterirdisch" gewesen. Sie stehe exemplarisch für die Weltsicht der heutigen Linkspartei. Die "Kommunistin" Gesine Lötzsch und der "Porschefahrer" Klaus Ernst seien doch "Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf geistigem Mindestregelsatz". [2]

"Sie haben das Bekenntnis zum Kommunismus erneuert und das im deutschen Bundestag", rief CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erbost in Richtung Maurers: "Antidemokratisch, verfassungsfeindlich und feige, das ist die Realität der Linke in Deutschland". Nachdem die Linkspartei bislang bereits in fünf Bundesländern vom Verfassungsschutz überwacht wird, bekräftigten die Generalsekretäre von CDU und CSU, Gröhe und Dobrindt, nun ihre Forderung nach einer flächendeckenden Beobachtung im gesamten Bundesgebiet. Am Ende sei zu prüfen, so Dobrindt, ob nicht gar ein Parteiverbot angeregt werden sollte. An Grüne und SPD erging die Aufforderung, nicht mit der Linken in den Ländern zu koalieren und jede Zusammenarbeit aufzukündigen, so lange sich diese nicht von Lötzsch distanziere.

Jetzt geht es also darum, ob der kommunistische Gesellschaftsentwurf in welcher Spielart auch immer entsorgt und damit der Sphäre des denk- und vorstellbaren entzogen oder als menschheitsgeschichtliche Errungenschaft - und sei es auch als bislang unerreichte Vision - zugänglich gehalten wird. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung, die auch Gesine Lötzsch, geschweige denn die Linkspartei als ganze nicht in dieser Tragweite gesucht hat. Der Fehdehandschuh ist geworfen, doch es kam kein Ritter, ihn sittsam aufzuheben und sich zum ritualisierten Duell zu stellen. Statt dessen brach ein Monster aus dem Gebüsch, das dort offenbar nur auf eine günstige Gelegenheit gelauert hatte, seiner Beute den Garaus zu machen.

Anmerkungen:

[1] Kommunismus-Debatte. Lötzsch fehlte, als über ihre Thesen diskutiert wurde (21.01.11)
http://www.welt.de/politik/deutschland/article12284536/Loetzsch-fehlte-als-ueber-ihre-Thesen-diskutiert-wurde.html

[2] Kommunismus-Debatte im Bundestag. Die Linke und die Toten des Kapitalismus (21.01.11)
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-01/linke-kommunismus-bundestag?

22. Januar 2011