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REPRESSION/1413: Sicherungsverwahrung - Zwangsmittel mit totalitärem Ermächtigungspotential (SB)



Die Verhängung der Sicherungsverwahrung für einen 62jährigen Mann, der für den Handel mit illegalen Cannabisprodukten vor dem Essener Landgericht zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, erinnert daran, daß die erregte Debatte um diese Strafnorm zumindest teilweise unter falschem Etikett geführt wird. Der angebliche Schutz der Öffentlichkeit vor Gewaltverbrechern und Sexualtätern, die auch nach dem Absitzen ihrer regulären Strafe eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen sollen, ist lediglich der Aufhänger für eine Form staatlicher Freiheitsberaubung von unabsehbarer Dimension. Weil der Verurteilte mehrfach rückfällig war, wurde er vom Richter und dem ihm beratenden Gutachter als praktisch nicht belehrbar dargestellt. Selbst wenn dem so wäre, bleibt die Frage, wieso in einem Fall, in dem es um illegale Drogen geht, deren Legalisierung nicht wenige Menschen für überfällig halten, zu einer Form der zeitlich unabsehbaren Inhaftierung gegriffen wird, deren therapeutischer Anspruch ihren strafenden und unterwerfenden Charakter nur notdürftig übertüncht.

So heißt es in der Berichterstattung über das Strafverfahren: "Die SV war ein zentrales Thema des Prozesses. Die Unterbringung war es, die den Knast gewohnten 62-Jährigen wirklich schreckte." [1] Wenn dem so war, so wurde in diesem Fall vor allem deshalb das größte Geschütz aufgefahren, weil der Angeklagte anders nicht von neuerlichen Straftaten abzuhalten gewesen wäre. Damit wäre der angebliche Zweck der Maßnahme, der Schutz der Öffentlichkeit vor notorischen Straftätern, in einer Weise entufert, die die Androhung der Sicherheitsverwahrung zum regulären Bestandteil eines präventiven, den Vorbehalt möglicher Wiederholungstaten zu Lasten der Angeklagten verabsolutierenden Strafrechts machte. Anstatt den Täter nach Verbüßen seiner Strafe zu entlassen und bei Rückfälligkeit erneut zu verurteilen, erwiese sich diese Maßregel der Besserung und Sicherung als ununterscheidbar vom Vollzug der strafrechtlichen Sanktionierung.

Dementsprechend geht in der erregten Debatte um die Anordnung der Maßnahme bei Sexualtätern und den künftigen Umgang mit Fällen, die der nachträglich angeordneten Sicherheitsverwahrung vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 unterlagen, weitgehend unter, daß ihr Anwendungsbereich mit der Änderung vom 22. Dezember 2010 im Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen (SiVerwNOG) sogar noch erweitert wurde. Nun gilt er auch für Ersttäter und für Verurteilte ohne eine nach Ermessen der Gutachter sicheren Wiederholungstäterperspektive. Obwohl jede Prognose auf das künftige Verhalten eines Menschen bei aller noch so umfassenden Berücksichtigung ihn bedingender Faktoren im Endeffekt stets eine Mutmaßung bleiben muß, ist nach § 66a StGB Abs. 1 Nr. 3 die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nun sogar möglich, wenn "nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist", daß laut § 66 StGB Abs. 1 S. 1 Nr. 4 "die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist." [2]. Das Vorhandensein nämlicher Opfer kann, aber muß nicht gegeben sein. Verbindlich ist lediglich der ihm unterstellte Hang zu erheblichen Straftaten, bei denen es sich etwa um Vermögensdelikte, Drogenkriminalität und Betrügereien handeln kann, die ohne die Anwendung physischer Gewalt begangen werden.

So wurde in Folge der Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch das Urteil des EGMR die vorbehaltliche Sicherungsverwahrung bei Personen, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren aufgrund einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, auf eine Weise ausgeweitet, die diese angeblich nur ausnahmsweise anzuordnende Zwangsmaßnahme zu einem regulär eingesetzten Mittel in Strafprozessen machen könnte. Schon jetzt werden die Gerichte von Politik und Medien regelrecht vor sich hergetrieben. Schlagzeilen im bezichtigenden Tenor à la "Keine Sicherungsverwahrung für Killer" [3], mit der die Paranoia der Bürger auf zweckdienliche Weise geschürt wird, dominieren eine Debatte, in der es vorgeblich um die Aufwertung der Rechte der Opfer geht, als hätten die Opfer herrschender Verhältnisse jemals einen Anspruch darauf gehabt, diese zu ihren Gunsten zu überwinden. Wie schon die Kampagne zur Einführung von Internetsperren gegen die Verbreitung von Kinderpornografie zeigt, ist die Instrumentalisierung des Opferdiskurses ein zentraler Hebel zur Verschärfung repressiver Handhabe gegen Freiheiten, deren Inanspruchnahme mit den zu beseitigenden Mißständen bestenfalls indirekt verknüpft ist.

Wo alle Welt über die von angeblich hochgefährlichen Wiederholungstätern ausgehende Bedrohung lamentiert, braucht über die konkreten Mißstände dieser Gesellschaft nicht debattiert zu werden. Richter, die sich später nicht vorhalten lassen wollen, einen rückfällig gewordenen Straftäter falsch beurteilt zu haben, könnten dazu neigen, das ihnen zur Verfügung stehende Mittel der Prävention zu generalisieren und auf Delikte aller Art anzuwenden. Zumindest wird ihre Unabhängigkeit auf eine harte Probe gestellt, wenn Populisten aller Couleur danach schreien, nicht etwa nur Gewalttäter, sondern sogenannte Berufsverbrecher einzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen.

Erschwerend hinzu kommt die mögliche Entuferung der Anwendung dieser Maßnahme auf politisch mißliebige Minderheiten. So haben Unionspolitiker bereits die Forderung erhoben, wegen terroristischer Straftaten verurteilte Personen in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Das Strafgesetzbuch bietet mit dem Organisationsstraftatbestand § 129 a und b sowie dessen Modifizierung in den Paragrafen 89a "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat", 89b "Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" und 91 "Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" ein breit gefächertes Arsenal zur strafrechtlichen Verfolgung von Menschen, denen bereits ihre politische Gesinnung zum Verhängnis werden kann. Denkt man den präventiven Charakter der Sicherungsverwahrung und des politischen Sonderstrafrechts zusammen, dann verfügen die Justizbehörden der Bundesrepublik theoretisch über das Instrumentarium, sogenannte Terrorverdächtige auf unbefristete Zeit festzusetzen, sprich ein deutsches Guantanamo einzurichten.

Doch nicht nur sogenannte extremistische Gruppen könnten ins Visier eines durch die Sicherungsverwahrung aufgerüsteten Staatsschutzstrafrechts geraten. Nimmt man den ein biologistisches Menschenbild propagierenden Diskurs der Neurowissenschaften hinzu, laut dem notorische Straftäter zu einem Gutteil Opfer ihrer Gene seien, dann ist zudem einer prädiktiven Sozialdiagnose der Weg gebahnt, die das Mittel der Sicherungsverwahrung, also einer vorgeblich therapeutischen Schutzmaßnahme, anschlußfähig für die vorsorgliche Internierung sogenannter Fortschrittsverweigerer, notorischer Querulanten und sonstiger Sozialdelinquenten machen, die sich dem zusehends mit Zwang bewehrten Reglement der Arbeitsgesellschaft nicht unterwerfen wollen.

Selbst wenn eine solche Entwicklung abwegig erscheinen mag, gilt schon in Hinsicht auf die deutsche Vergangenheit, bei der Einführung und Verschärfung von Formen staatlicher Freiheitsberaubung, deren Anwendung der Willkür der sie verhängenden Instanzen unterworfen ist, den Anfängen zu wehren. Dies trifft um so mehr zu, als die Durchsetzung derartiger Maßnahmen im Kontext einer populistischen Offensive erfolgt, die eben nicht nur gegen ausgemachte Gewalttäter, sondern besonders leicht zu verunglimpfende Minderheiten gerichtet ist. Allein, daß die als Haft auf Vorrat zu bezeichnende Anordnung der Sicherungsverwahrung den Betroffenen jede konkrete Aussicht auf Entlassung nimmt und damit einem nur durch ihre Unterwerfung zu beschwichtigenden Disziplinarregime aussetzt, belegt, daß eine mit Zwangsmitteln erwirkte Resozialisierung vom Brechen des Menschen durch die der Gesellschaft immanente Gewalt nicht zu unterscheiden ist. Diese Gewalt einzelnen Tätern zuzulasten und ihre Überwindung darin anzusiedeln, daß diese als das personifizierte Böse auf unabsehbare Zeit weggesperrt werden, ist eine Lösung von erheblichem totalitären Ermächtigungspotential.

Fußnoten:

[1] http://www.derwesten.de/staedte/essen/gericht/Sicherungsverwahrung-fuer-Berufsverbrecher-id4190352.html

[2] http://www.buzer.de/gesetz/6165/a85303.htm

[3] http://www.bild.de/BILD/news/telegramm/news-ticker,rendertext=15611920.html

Siehe auch

REPRESSION/1396: Sicherungsverwahrung als "Unterbringung" ... innovative Freiheitsberaubung (SB)

http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/repr1396.html

24. Januar 2011