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REPRESSION/1437: Mit Sicherheit bedroht ... Justizwillkür im Terrorkrieg (SB)



Der aus den USA stammende Sharif Mobley, seine Frau Nzinga Mobley und ihre kleine Tochter leben seit Mitte 2008 im Jemen. Ende 2009 verschlechtert sich die Sicherheitslage in dem arabischen Land drastisch, und die Mobleys beschließen, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Doch der 26jährige Muslim erhält von der Botschaft seines Landes keine konsularische Unterstützung, statt dessen will man von ihm wissen, über welche Kontakte er im Jemen verfügt und was er in dem Land tue. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, Hilfe bei der Rückkehr in die USA bei der diplomatischen Vertretung seines Landes zu erhalten, wird Sharif Mobley am 26. Januar 2010 auf offener Straße in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa von acht vermummten Männern, die aus zwei Lieferwagen springen, verschleppt. Als sich Sharif wehrt, wird ihm zweimal ins Bein geschossen.

Zwar wird seine Wunde in einem von einer deutschen Firma für das jemenitische Innenministerium geführten Polizeikrankenhaus versorgt, doch Sharif steht unter permanenter Bewachung und erhält jedesmal, wenn er verlangt, mit einem Vertreter der US-Botschaft zu sprechen, von den maskierten Entführern Schläge auf den Kopf. Nach seiner Operation wird Sharif in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses, in dem auch andere Personen in Administrativhaft gehalten werden, rund um die Uhr mit einer Kapuze über dem Kopf an beiden Armen an sein Bett gekettet. Nach vier Tagen in diesem Zustand erhält er Besuch von zwei US-Beamten, die, ohne sich weiter auszuweisen, lediglich erklären, vom FBI und Verteidigungsministerium zu sein. Sie verhören Sharif und wiederholen die Befragungen in den nächsten Wochen mehrmals, wobei sie den Eindruck erwecken, seine Frau schwebe in Gefahr, ebenfalls entführt und mißhandelt zu werden. Die Beamten drohen ihm damit, daß er in ein jemenitisches Gefängnis gebracht und dort vergewaltigt werde, und sie lassen ihn im Ungewissen darüber, ob er seine Familie jemals wiedersehen wird.

Bei der Vorbereitung zu seiner Überstellung in das Gefängnis wird Sharif der zwangsweise angelegte Katheter so gewaltsam entfernt, daß er heftig aus seinen Genitalien zu bluten beginnt. Trotzdem wird Sharif mit Kapuze und Ketten in ein Auto geworfen und an einen anderen Ort verfrachtet. Da er fast einen ganzen Monat größtenteils angekettet im Bett verbracht hat, bricht er auf dem Weg in die für ihn vorgesehene Zelle zusammen, woraufhin er brutal getreten wird. Nach diesen Torturen wird der weiterhin blutende Gefangene ohnmächtig. Die nächste Station seiner qualvollen Verschleppung ist das allgemeine Krankenhaus von Sanaa, in dem Sharif weiterhin für mehrere Wochen unter isolierten Bedingungen festgehalten wird, nicht ohne erneut von den US-Beamten verhört zu werden. Am 7. März 2010 versucht der in großer Angst um seine Familie schwebende Gefangene, dem niemals mitgeteilt wurde, weswegen er festgehalten wird und was man ihm vorwirft, zu fliehen. Dabei entwendet er einer seiner Wachen eine Waffe, erschießt einen Wachmann und verletzt einen anderen.

Nun soll Sharif Mobley von einem jemenitischen Gericht zum Tode verurteilt werden. Wie seine Verteidigerin Cori Crider von der britischen Anwälteorganisation Reprieve [1] berichtet, haben die US-Behörden die Tatsache und Umstände seiner Entführung lange Zeit ebenso verschwiegen wie seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Statt dessen machten sie falsche Angaben, um seine Angehörigen in die Irre zu führen und zu verhindern, daß er durch die Einschaltung anderer Behörden freigekommen wäre.

Sharifs grausames Schicksal ist nicht die Regel des Umgangs US-amerikanischer Behörden mit ihren Staatsbürgern im Ausland, doch es ist signifikant für die Aufhebung grundlegender Rechtsgarantien im Terrorkrieg. Der mit Amtsantritt des US-Präsidenten Barack Obama erweckte Eindruck, die von der Regierung seines Vorgängers etablierte Justizwillkür gegenüber sogenannten Terrorverdächtigen sei ein längst überwundener Fehler der Vergangenheit, ist eine zweckdienliche Beschönigung der prinzipiellen Mißachtung geltenden Rechts, die unbescholtene Menschen in Gefahr bringt, ohne Nachweis des gegen sie gerichteten Verdachts eingekerkert, mißhandelt oder ermordet zu werden.

2009 hat Obama mit der Neufassung des berüchtigten Military Commissions Act (MCA) of 2006 zwar einige besonders menschenfeindliche und völkerrechtswidrige Sonderbefugnisse seines Vorgängers George W. Bush und der US-Militärtribunale revidiert, doch mit dem Begriff des "unprivileged enemy belligerent" eine lediglich kosmetische Korrektur hinsichtlich der Rechtlosigkeit der davon betroffenen Gefangenen vorgenommen. So reicht schon die Mitgliedschaft bei Al Qaida - und nicht erst, wie im vorherigen MCA, die Beteiligung an oder Unterstützung von Feindseligkeiten gegenüber den USA - dazu aus, unter diesem Titel der für Angeklagte weit ungünstigeren Verfahren vor US-Militärtribunalen ausgesetzt zu werden. Wie zuvor erstreckt sich die Zuständigkeit der Militärgerichte auch unter Obama nicht nur auf Personen, die in Kriegsgebieten bei Kämpfen gegen US-Truppen oder Anschlägen auf US-Einrichtungen gefangengenommen, sondern auf alle, die an irgendeinem Ort der Welt des Terrorismus verdächtigt werden. Davor sind auch US-Bürger nicht gefeit, wie die von Obama autorisierte extralegale Hinrichtung Anwar al-Awlakis belegt.

Er wird verdächtigt, den vereitelten Anschlag des sogenannten Unterhosenbombers Umar Farouk Abdulmutallab am 25. Dezember 2009 in Auftrag gegeben sowie den Attentäter von Fort Hood, den Armeepsychiater Major Nidal Malik Hasan, durch aufhetzende Predigten zu seiner Tat veranlaßt zu haben. Den im Jemen vermuteten und der Mitgliedschaft bei Al Qaida bezichtigten US-Bürger Awlaki mit einer Rakete, die von einer ferngesteuerten Drohne abgefeuert wird, umzubringen ist Ausdruck eines Regierungshandelns, das so entgrenzt, so zeit- und ortlos ist, daß die exekutiven Vollmachten der Kriegführung von den Konditionen des staatlichen Gewaltmonopols in Friedenszeiten ununterscheidbar werden.

Das Ergebnis dieser Sicherheitsdoktrin besteht in der dauerhaften Zerstörung jeglicher Berechenbarkeit und Verläßlichkeit staatlicher Gewaltanwendung. Um so entschiedener wird die Etablierung einer operativen Freund-Feind-Unterscheidung betrieben, mit der Menschen, die aus ganz anderen Gründen als den unterstellten verfolgt werden, auf unabsehbare Zeit die Freiheit geraubt werden kann, wenn man nicht ohnehin auf der Basis nebulöser Geheimdienstinformationen das Todesurteil über sie fällt.

Die zum zehnten Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 in Erinnerung gerufenen Grausamkeiten des von der US-Regierung proklamierten Global War on Terrorism (GWOT), die unter den technischen Termini Enemy Combatant, Extraordinary Rendition, Administrative Detention und Enhanced Interrogation vollzogene Praxis der Verschleppung in Orte des Schreckens, die, wenn sie nicht mit den Namen Guantanamo, Bagram, Abu Ghraib einschlägige Berühmtheit erlangten, im Nirgendwo der Black Sites angesiedelt waren, haben einen rechtlichen Ausnahmezustand etabliert, der keineswegs aufgehoben ist.

Die 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetze wurden fast vollständig verlängert, nach Guantanamo verschleppte Opfer des Terrorkriegs bleiben auf unabsehbare Zeit inhaftiert, ohne jemals ein Gericht von innen gesehen zu haben, an Folterungen beteiligte CIA-Agenten werden laut Obamas Devise, nun wolle man nach vorne schauen, strafrechtlich nicht belangt, ehemalige Regierungsbeamte, die schmerzhafte Aussageerpressung in Rechtsgutachten legitimiert haben, lehren Rechtswissenschaften an US-amerikanischen Hochschulen oder arbeiten als Richter, das sogenannte Extrajudicial Killing ist reguläre Praxis im Drohnenkrieg, den die CIA in Pakistan führt. Weit über die USA hinaus hat sich eine von den europäischen Verbündeten unterstützte bis adaptierte Norm der Rechtswillkür durchgesetzt, deren unter anderem am Schicksal des schwarzen Muslim Sharif Mobley belegter rassistischer Charakter keineswegs verbürgt, als weißer Bürger nicht in die Fänge eines kafkaesken Apparats der Freiheitsberaubung und Menschenschinderei zu geraten.

Wenn bei der angeblichen Befreiung Libyens die längst bekannte Zusammenarbeit zwischen westlichen Regierungen und dem libyschen Geheimdienst bei der Folterung sogenannter Terrorverdächtiger ruchbar wird, dann können auch die Dementi deutscher Sicherheitspolitiker, daran unbeteiligt gewesen zu sein, nicht darüber hinwegtäuschen, daß die enge Kooperation deutscher und US-amerikanischer Nachrichtendienste auch die Verschleppung in Deutschland lebender Menschen wie Murat Kurnaz oder Bundesbürger wie Haydar Zammar [2] in Folterhaft begünstigt hat. Wer nun, wie es viele Journalisten und Politiker anläßlich des Gedenkens an den 11. September 2001 tun, mit dem Finger auf die Bush-Regierung zeigt und die Justizwillkür des Terrorkriegs als US-amerikanische Ausnahme von der Regel deutscher Rechtstaatlichkeit darstellt, will die eigene Komplizenschaft in der Durchsetzung qualifizierter Formen antidemokratischer Herrschaftssicherung vergessen machen. Tatsächlich ist der Blick zurück ein Blick nach vorn in die nächste Zukunft westlicher Gesellschaften, können deren Eliten ihre Stellung im sozialen Krieg doch nur durch forcierte Sicherheitsstaatlichkeit behaupten.

Fußnoten:

[1] http://www.reprieve.org.uk/cases/sharifmobley/

[2] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-50109971.html

6. September 2011