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REPRESSION/1510: Urteil mit abschreckender Symbolkraft (SB)




Im Namen einer Staatsräson, für die insbesondere antikapitalistischer Widerstand gleichbedeutend mit Linksterrorismus und Verfassungsfeindlichkeit zu sein scheint, wurde die 80jährige Sonja Suder am 12. November vor dem Frankfurter Landgericht zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Da sie bereits 25 Monate in Untersuchungshaft verbracht und damit mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte, wurde deren Vollzug außer Kraft gesetzt und die Gefangene in Freiheit entlassen. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Suder in den Jahren 1977 und 1978 an einem ausgeführten und einem versuchten Sprengstoffanschlag auf zwei Unternehmen der Atomindustrie und am Versuch einer schweren Brandstiftung auf das Heidelberger Schloß in exponierter Rolle als Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) beteiligt gewesen sei. Freisprechen mußte das Gericht die Angeklagte jedoch vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord und Beteiligung am Attentat auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien, bei dem drei Menschen zu Tode kamen. Der als Hauptbelastungszeuge der Anklage vor Gericht aufgetretene Hans-Joachim Klein, der wegen seiner Mittäterschaft am OPEC-Überfall 2001 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, konnte das Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Barbara Stock jedenfalls nicht von der Schuldhaftigkeit Suders überzeugen. Vielmehr verstrickte sich Klein in seinen Auslassungen wiederholt in Widersprüche, wobei sich reale Ereignisse mit subjektiven Erinnerungslücken kreuzten.

Während die Glaubwürdigkeitsdefizite beim ehemaligen Kronzeugen Klein kaum mehr zu leugnen waren und sich selbst die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlußplädoyer für einen Freispruch Suders hinsichtlich ihrer mutmaßlichen OPEC-Beteiligung aussprach, könnte sich der Urteilsspruch dennoch, wie bereits im Vorwege des Gerichtsurteils namhafte Organisationen wie die Liga für Menschenrechte, das Komitee für Grundrechte und Demokratie und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. anmahnten, als fatal für die demokratischen Verfassungsgrundsätze und Rechtstraditionen der Bundesrepublik erweisen. Denn Grundlage der Verurteilung Suders waren jene bis heute höchst umstrittenen, 1978 auf rechtswidrige Weise von Hermann Feiling abgepreßten Protokolle.

Feiling, der nach der Explosion einer selbstgebastelten Bombe beide Beine und das Augenlicht verloren hatte, war bereits am Tag nach seiner Operation und ohne Rücksichtnahme auf seinen schwersttraumatisierten Zustand, zudem ohne einen Rechtsbeistand seiner Wahl und der Verkündigung eines Haftbefehls gegen ihn, in Polizeigewahrsam genommen worden. In seiner mehrmonatigen Isolation stellte die Polizei so eine über tausendseitige Akte zusammen, in der Feiling unter Einfluß schwerer Schmerzmedikamente phantasierte Traumwelten mit realen Ereignissen und Personen aus seinem Lebensumfeld vermischte. Die Protokolle hatte Feiling später widerrufen und auf ihr rechtswidriges Zustandekommen in aller Deutlichkeit verwiesen. Weil er selbst Jahrzehnte nach seinem Explosionsunfall aufgrund einer anhaltenden posttraumatischen Störung nicht als Zeuge vor Gericht aussagen konnte, wurden Teile dieser Aussagen an verschiedenen Gerichtstagen verlesen. Damit hat das Gericht den Verhörprotokollen nicht nur eine Gerichtsverwertbarkeit bescheinigt, sondern im Nachwege auch die gemäß der UN-Folterkonvention nicht zulässigen Verhörmethoden zumindest legitimiert.

In Frankfurt ist ein Kapitel bundesdeutscher Justiz geschlossen worden, das fragwürdiger nicht sein kann. Bedenkt man den Verfolgungseifer der Staatsschutzorgane, die Sonja Suder und ihren Lebensgefährtin Christian Gauger nach Jahrzehnten per Internationalem Haftbefehl aus ihrem Asyl in Frankreich wieder in die Bundesrepublik zurückholten, um beide für Strafdelikte zu verurteilen, die nach französischem Recht längst verjährt waren, dann muß man sich in der Tat die Frage stellen, ob das Verfahren nicht, wie Unterstützerkreise anklagen, politisch motiviert war. Die Sprengstoff- und Brandanschläge, die in Frankfurt zur Verhandlung standen, hatten außer Sachschäden keine Menschenleben gefordert und waren Ausdruck einer gesellschaftlichen Empörung, weil bundesdeutsche Unternehmen die nukleare Aufrüstung des südafrikanische Apartheidstaates betrieben. Obwohl eine direkte Verbindung dieser Anschläge zu Sonja Suder bis auf die fragwürdigen Protokolle Feilings weder aus anderen Polizeiakten noch aus ermittlungstechnischen Untersuchungen der Anschlagsorte hervorgeht, wurde eine nunmehr 80jährige Frau für eine Abrechnung des Staates mit einer historischen Phase des revolutionären Aufbruchs stellvertretend sanktioniert.

Wie sonst sollte die Ahndung so lange zurückliegender Straftaten erklärt werden, zumal wenn dies nur unter dem hartnäckigen Eifer möglich war, mit dem Staatsanwaltschaft und Polizei die Akte über die allgemeinen Verjährungsfristen hinaus als strafrechtlichen Anlaß zur Anklageerhebung sicherten? Während das ungleich folgenreichere Bombenattentat auf das Oktoberfest 1980 trotz vielfacher Forderungen nach Wiederaufnahme der Ermittlungen nicht weiter untersucht wird, der behördliche Wille zur Aufklärung der NSU-Mordserie ausgesprochen schwach entwickelt ist und sogenannte Weiße-Kragen-Verbrecher auch bei millionenschweren Delikten alle Vorteile Eigentum und Ansehen schützender Verjährungsfristen in Anspruch nehmen können, wird Aktivistinnen und Aktivisten der radikalen Linken mit einer Insistenz nachgestellt, als werde an ihrer Person eine persönliche Rechnung beglichen. Es wäre jedoch leichtfertig, dies allein als Folge unabgegoltener Herausforderungen des Staates zu verstehen. Was heute auf der Agenda politischer Repression steht, ist die Einschüchterung und Unterdrückung antikapitalistischer sozialer Bewegungen, wie etwa die Aushöhlung des Demonstrationsrechts bei den Frankfurter Blockupy-Protesten und anderswo belegt. Von daher kommt dem Urteil im RZ-Prozeß eine weit über den Horizont dieser Episode revolutionärer Geschichte hinaus reichende Bedeutung zu.


Fußnoten:

Berichterstattung des Schattenblick zum RZ-Prozeß siehe
INFOPOOL-RECHT--> http://www.schattenblick.de/infopool/recht/redakt/rerp0001.html
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/redakt/rerp0002.html
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/redakt/rerp0003.html
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/redakt/rerp0004.html

13. November 2013