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KRIEG/1389: Bewertung des Luftangriffs auf Tanklaster von politischen Interessen bestimmt (SB)



Mit dem Zurückrudern der Bundesregierung im Fall der Bombardierung der zwei Tanklaster in Afghanistan ist es nicht mehr erforderlich, das Geschehen zu vernebeln. Nun berichten Zeitungen wie Spiegel und FAZ darüber, daß sogar die US-Piloten in den angeforderten Kampfbombern ein zurückhaltendes Vorgehen empfahlen. Was bereits kurz nach dem Luftangriff vom 4. September in der internationalen Presse zu lesen war, erhält neuen Nachrichtenwert. Als habe man nicht stets gewußt, daß der deutsche Befehlshaber das warnende Überfliegen der Tanklaster ablehnte, werden die entsprechenden Auszüge aus dem weiterhin geheimgehaltenen Untersuchungsbericht der NATO nun als Enthüllung behandelt, die eine Neubewertung des Vorgangs ermögliche.

Weitgehend unkommentiert bleibt dagegen die Tatsache, daß Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sich hinter den befehlshabenden Offizier Oberst Klein stellt, obwohl er nun nicht mehr der Ansicht ist, daß der Angriff "militärisch angemessen" war. Auch das strikte Verdikt der Bundeskanzlerin, die sich Kritik an dem Vorgehen der Bundeswehr in ihrer Regierungserklärung kategorisch verbat, wird nicht zum Anlaß genommen, die Frage nach der Tauglichkeit derartiger Politiker für Entscheidungen über Leben und Tod aufzuwerfen. In beiden Fällen geht es nicht um jene Mängel der "Informationspolitik", über die Minister Franz-Josef Jung gestolpert sein soll. Die Frage, welcher Politiker was zu welchem Zeitpunkt wußte, täuscht über die Tatsache hinweg, daß von Anfang an Bewertungen verhandelt wurden, deren Faktengrundlage stets als ausreichend erachtet wurde und dies auch war.

Debattiert werden müßte über die Frage, wie ein Akt aggressiver Willkür überhaupt als "militärisch angemessen" beurteilt werden kann. Nicht mehr bewegungsfähige Fahrzeuge zu bombardieren, die in einem für die Taliban günstigsten Fall erst nach einem Zeitraum von mehreren Stunden eine akute Bedrohung hätten darstellen können, entspricht bestenfalls einer militärischen Präventivlogik, die stets aggressiven Charakters ist. In ihr spiegelt sich die Logik einer Besatzungspolitik wieder, mit der die Ausschaltung einer hypothetischen Gefahr betrieben wird, für die nicht einmal der Beweis vorliegt, daß Al Qaida für die Anschläge des 11. September 2001 verantwortlich ist, was für die Taliban erst recht nicht gilt. Der Bombenangriff vom 4. September ist gewissermaßen der Appendix einer von Anfang an dogmatisch durchgesetzten Kriegsbegründung, die einer formalrechtlichen Überprüfung nicht standhalten könnte. Wollte man ernsthaft darüber diskutieren, nach welchen Kriterien über "militärisch angemessene" oder "unangemessene" Maßnahmen befunden wird, dann scheiterte schon die Legitimation dieses Krieges an den dazu angeführten Gründen.

Schlimmstenfalls handelt es sich bei diesem Luftangriff, der sich in nichts von den Massakern unterscheidet, die US-amerikanische Streitkräfte dutzendfach in Afghanistan begangen haben, um die gezielte Vernichtung eines wehrlosen Feindes, an dem ein Exempel statuiert werden soll. Daß dabei zivile Opfer einkalkuliert werden, um die Bevölkerung von der Unterstützung der Taliban abzubringen, wird in keinem dokumentierten Befehl und keiner offiziellen Militärdoktrin zur Aufstandbekämpfung nachzulesen sein. Dennoch beweist die die Geschichte der Kolonialkriege, daß die militärische Abstrafung einer Zivilbevölkerung, die zumindest teilweise eine aus ihren Reihen gebildete Guerilla unterstützt, zur Ratio der Counterinsurgency gehört.

Das geht auch aus der für jeden Strategen unverzichtbaren Nutzung des Überraschungsmoments hervor. Kriege werden vielleicht am Reißbrett geplant, aber dort nicht geführt und sind schon gar keine chirurgischen Operationen, bei denen der bewaffnete Kombattant fein säuberlich aus seinem sozialen Umfeld herausgetrennt wird. Die Wandlung, der die Bewertung dieses Luftangriffs trotz seiner weitghend bekannten Bedingungen ausgesetzt ist, ist politischer Art und hat mit militärischer Logik nichts zu tun. Diese setzt unter allen Umständen auf Sieg und entfaltet sich daher immer vor dem Horizont zerstörerischer Optionen, durch die das Lebensinteresse der Zivilisten im Operationsgebiet tangiert, wenn nicht negiert wird.

So hat die öffentliche Debatte um die militärische Bewertung des Luftangriffs vom 4. September vor allem den Zweck, die Bevölkerung daran zu gewöhnen, daß Krieg ohne Tod und Zerstörung nicht zu haben ist. Daß die politischen Bedingungen dieser Debatte als militärische ausgegeben werden, führt zu einem Übertrag der Ratio des Krieges auf die Politik, um Bevölkerung wie Regierung der Bundesrepublik an den immer häufigeren Einsatz der Waffen als Mittel der Politik zu gewöhnen.

7. Dezember 2009