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KRIEG/1418: Offensive Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan zeigt Ergebnisse (SB)



Den Angriff der Taliban auf eine Patrouille der Bundeswehr im südwestlich der Stadt Kunduz gelegenen Bezirk Chahar Dara, dem drei Soldaten zum Opfer fielen und bei dem weitere Soldaten zum Teil schwer verletzt wurden, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel als "verabscheuungswürdig und hinterhältig" verurteilt. Auch andere Politiker wie Außenminister Guido Westerwelle und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bezeichneten den Angriff als "hinterhältig". So werden die Bundesbürger für dumm verkauft, sollen sie doch glauben, die Bundeswehr biete ihrerseits keinen Anlaß für derartige Attacken.

Bei dem Bezirk Chahar Dara handelt es sich um eine Hochburg der Taliban, der bereits häufiger Ziel größerer Angriffe von ISAF-Truppen und afghanischen Regierungstruppen war. Im Juli 2009 führte die Bundeswehr ihre bis dato größte Offensive seit dem Zweiten Weltkrieg in diesem Bezirk durch, ohne die Taliban, die mindestens 16 Tote zu beklagen hatten, dauerhaft vertreiben zu können. So kam es im November 2009 zu einer mehrere Tage währenden Offensive gegen Taliban-Stellungen in der Region, bei der US-Truppen und afghanische Soldaten offiziell 133 angebliche Kämpfer getötet haben. Da es auch zu umfassenden Luftangriffen auf angebliche Talibanstellungen kam, können zivile Opfer keineswegs ausgeschlossen werden. Die Bundeswehr nahm zwar nicht direkt an der Offensive teil, sicherte jedoch das Operationsgebiet und verhinderte Absetzbewegungen der Taliban (siehe HEGEMONIE/1629).

Im Dezember 2009 führten 300 Soldaten eines deutschen Kampfverbandes zusammen mit afghanischen Regierungstruppen eine Offensive im Bezirk Chahar Dara mit dem Ziel durch, dort einen schwer befestigten permanenten Außenposten zu errichten. Dabei wurden mehrere Taliban inklusive ihres Anführers Mullah Ahsanullah getötet. Im Januar wurde eine weitere Offensive mit 470 deutschen und 120 afghanischen Soldaten in der Region durchgeführt, mit der die Operationsfähigkeit der ISAF-Truppen unter Beweis gestellt werden sollte. Dabei wurden offiziell neun Taliban getötet.

Schon der Angriff auf zwei Tanklaster am 4. September 2009 im Raum Kunduz hatte gezeigt, daß die Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet aggressiver denn je vorgeht. Der für den Angriff zuständige Oberst Georg Klein wurde in der Süddeutschen Zeitung (12.12.2009) aus dem ISAF-Untersuchungsbericht mit den Worten zitiert, er "wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge". Spiegel Online (12.12.2009) zitiert aus einer Meldung Klein vom 5. September 2009: "Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Nach allem, was bisher über die Vorgeschichte dieses Massakers bekannt wurde, erfolgte der Luftangriff, ohne daß akute Gefahr für deutsche Soldaten bestand, mit der Absicht einer Schädigung des Gegners, die weiterreichenden strategischen Zielen geschuldet war. Zur Doktrin der Aufstandsbekämpfung gehört auch die Einschüchterung der Zivilbevölkerung, die davon abgehalten werden soll, die feindliche Guerilla zu unterstützen.

Im Rahmen der Strategiedebatte, die nach der Afghanistankonferenz in London im Januar 2010 geführt wurde, kündigte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg an, die Bundeswehr werde nun "Präsenz in der Fläche" zeigen. Die Behauptung, es handle sich dabei um "keine offensive Präsenz", widerlegte er im gleichen Atemzug, indem er fortfuhr, daß es "mit Ausbildung und wiederum mit Schutz der Bevölkerung verbunden ist, Rückzugsräume für die Taliban zu minimieren und sie auch ein Stückweit zu isolieren von der Bevölkerung und selbst für diesen Schutz und diese Sicherheit sorgen zu können" (Deutschlandfunk, 26.01.2010).

In ihrem eigenen Land soll den Taliban und anderen militanten Besatzungsgegnern von ausländischen Truppen die Bewegungsfreiheit genommen werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Verdrängungs- und Isolationsstrategie, die den Taliban ihren wichtigsten operativen Vorteil, die ungehinderte Beweglichkeit im Raum, nehmen soll, offensiver Art ist. Gerade weil die Taliban vor allem in ländlichen Gebieten präsent sind, wird jeder Versuch, dies zu ändern, erbitterten Widerstand provozieren. Wenn die Räume, in die die Taliban ausweichen können, mit militärischen Mitteln geschlossen werden sollen, dann ist die davon betroffene Guerilla in ihrer Existenz herausgefordert. Angriffe auf die Truppen, die dies versuchen, werden absehbar zunehmen, daß weiß auch die Bundesregierung.

Aus einem taktischen Hinterhalt, in den eine Bundeswehrpatrouille am 2. April in Chahar Dara geriet, einen "hinterhältigen" Angriff zu machen ist daher bloße Demagogie. Mit ihr soll den Bundesbürgern das Gift der Vergeltungslogik eingeträufelt werden soll. Die Taliban kompensieren ihre waffentechnische Unterlegenheit, indem sie wie eine Guerilla möglichst wenig Angriffsfläche bieten und die Strategie gesicherter Territorien mit überraschenden Attacken und schnellen Ortsveränderungen kontern. Zudem handelt es sich ebensowenig um ein Zeugnis soldatischen Muts, auf das Politiker mit der moralischen Verurteilung eines solchen Überfalls abheben, wenn die NATO ihre überlegene Feuerkraft vorzugsweise aus der Unangreifbarkeit der totalen Luftüberlegenheit ausspielt. Auch das von Entwicklungshilfeminister Niebel für die Taliban gebrauchte Wort "Terrorist" ist wenig hilfreich, wenn man bedenkt, daß die deutschen Truppen als Besatzer in einem unerklärten Krieg zumindest in dieser Region des Landes vom Gros der Bevölkerung abgelehnt wird.

Der Beschuß eines mit afghanischen Soldaten besetzten Fahrzeugs durch einen Schützenpanzer der Bundeswehr mit der Folge, daß fünf Insassen starben, wird kaum dazu beitragen, daß sich das Ansehen der Bundeswehr bei der einheimischen Bevölkerung verbessert. Nach allem, was man bisher weiß, handelt es sich bei diesem Fall von "friendly fire" um eines der vielen Vorkommnisse, bei dem unschuldige Passanten und Fahrzeuginsassen ums Leben kommen, weil sie sich einem Konvoi zu sehr genähert oder bei einem Checkpoint nicht frühzeitig genug angehalten haben. Offiziell kamen 2008 41 afghanische Zivilisten bei derartigen Vorfällen ungerechtfertigt ums Leben. Für 2009 werden 36 zivile Opfer verbucht, allerdings sind in diesen Zahlen nicht die Toten erfaßt, die von den zahlreichen in Afghanistan arbeitenden Söldnern, die als Begleitschutz bei Konvois und als Sicherheitspersonal ebenfalls häufig zur Waffe greifen, umgebracht wurden.

Durchhalteparolen wie die des ISAF-Kommandeurs für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, laut dem "die Opfer, die gebracht werden, nicht umsonst sein dürfen", eröffnen Aussicht auf eine verlustreiche Eskalation der Gewalt. Die an die Adresse eines Gegners, der Bundeswehr und NATO nicht eingeladen hat, sein Land zu besetzen, gerichteten Schmähungen der Politiker tun ein übriges dazu, daß sich zu den jüngsten Opfern dieses neokolonialistischen Kriegs zahlreiche weitere gesellen werden.

3. April 2010