Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1421: Zustimmung für "Afghanistan-Mission" schaffen ... (SB)



Der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt, versteht die Entscheidung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, an der Trauerfeier für die drei am Karfreitag in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten teilzunehmen, als Aufforderung an die gesamte Gesellschaft, sich mehr mit der "Afghanistan-Mission" auseinanderzusetzen. Will er damit sagen, daß es falsch war, schweigend zuzuhören, wenn Politik und Medien behaupten, die Anwesenheit der Bundeswehr in dieser fernen Weltregion diene lediglich als flankierende Sicherheitsmaßnahme beim Wiederaufbau des Landes? Hätten sich die Bundesbürger etwa nicht damit zurückhalten sollen, ihren Mißmut über diese Verhöhnung ihres Verstandes auf der Straße zu artikulieren? War es den Politikern nicht gerade recht so, daß das Thema des Afghanistankriegs selbst dann, als die Bundeswehr am 4. September 2009 ein Massaker anrichtete, nach kurzer öffentlicher Erregung wieder zu einem Nebenschauplatz wurde?

Der CSU-Politiker erhebt diese Forderung nicht, weil er sich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Für und Wider dieses Bundeswehreinsatzes erhofft. Nichts käme der Bundesregierung ungelegener als die ernsthafte Beschäftigung der Bürger mit der Ratio dieses Krieges, mit den angeblichen Gründen dafür, daß die Bundeswehr bereits acht Jahre als angebliche Stabilisierungskraft in Afghanistan fungiert, und der realen Entwicklung, die das Bild einer Besatzungsmacht zeichnet, die einen Zustand des Bürgerkriegs und der Überlebensnot zu Lasten der dort lebenden Menschen fortschreibt.

Die nach jeweiliger politischer Wetterlage wechselnden Begründungen dafür, daß die Bundesrepublik die grundgesetzliche Festlegung auf die Landesverteidigung mit aberwitziger Sprachregelungen überwunden hat und bewaffnete Kräfte in alle Welt schickt, demonstrieren vor allem, daß über die zentralen Gründe für diese Politik ausgiebig geschwiegen wird. So erweist sich die Behauptung, man habe in Afghanistan eine Front gegen den internationalen Terrorismus eröffnet, um auf diese Weise dafür zu sorgen, daß in Deutschland keine Anschläge begangen werden, auf doppelte Weise als fadenscheinig. Zum einen liegt es auf der Hand, daß die wachsende Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen Opfer zur Folge hat, die eine Vergeltungsspirale in Gang setzen könnte, die diese Gefahr eher vergrößert denn verringert. Außerdem wird mit der zunehmenden Zahl gefallener Soldaten ein Blutzoll entrichtet, der den abzuwehrenden Schaden de facto anrichtet.

Schließlich sind als weitere Kosten dieser Abwehrdoktrin die Freiheitsverluste zu verbuchen, die bei der Aushöhlung der Bürgerrechte im Kampf gegen den Terrorismus in der Bundesrepublik anfallen. Die durch die Aufrüstung zum Sicherheitsstaat erfolgende Einschränkung der Freiheit, seinen täglichen Aktivitäten weitgehend unbeobachtet nachgehen zu können und keinerlei Bedenken haben zu müssen, politisch mißliebige Positionen zu beziehen, ist vielleicht der größte Schaden, der durch die staatsautoritären Tendenzen in Politik, Ideologie und Justiz langfristig angerichtet wird.

Der Kriegstheoretiker Herfried Münkler verzichtete im Deutschlandfunk (09.04.2010) bei dem Versuch, eine Begründung für die Anwesenheit der Bundeswehr in Afghanistan zu liefern, gänzlich auf die angebliche Bedrohung durch den Terrorismus. Als erstes nannte er "Bündnissolidarität", was als Chiffre für den relevantesten Kriegsgrund zu verstehen ist. Um die Gewaltdienstleistungen der US-Militärmacht weiterhin in Anspruch zu nehmen, um die NATO zu einem globalen militärischen Akteur aufzubauen, um die Militarisierung der EU fortzusetzen und den Anspruch Deutschlands, im imperialistischen Kartell der Neuen Weltordnung Sitz und Stimme eines unverzichtbaren Mitglieds zu haben, unter Beweis zu stellen, müssen auch Kriege geführt werden, die vordergründig keinen Nutzen erkennen lassen. Im mindesten Fall geht es darum, die Einsatztauglichkeit der Bundeswehr zu entwickeln und der Bevölkerung die Normalität des Krieges nahezubringen.

Ganz und gar unglaubwürdig - und daher von Münkler kunstvoll relativiert - ist seine Behauptung, es ginge in diesem Krieg um die Interessen der Bevölkerung Afghanistans. Auf die Frage, ob die vom Regionalkommandeur Nord der ISAF, Frank Leidenberger, ausgegebene Durchhalteparole, daß die Opfer der Soldaten "nicht umsonst gewesen sein" dürften, bedeute, daß sie "für eine, für die gute Sache gestorben" wären, antwortet Münkler, es gebe "sicherlich auch eine Wahrnehmung, dass es da ein Problem gibt und es sinnvoll ist, dafür zu sorgen, dass in Afghanistan so etwas wie eine Minimalstaatlichkeit existiert, und drittens, aber ganz wesentlich ist ja ihr Einsatz im objektiven, wenn nicht immer auch subjektiven Interesse der afghanischen Bevölkerung".

In der feinen Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Interesse der Afghanen liegt die Crux einer "Mission", die mit zerstörischen Mitteln das "Gute" erwirtschaften soll. Was objektiv gut für Afghanistan sein soll, liegt zuersteinmal im Interesse eines geopolitischen Entwurfs, der den Einfluß der NATO-Staaten auf den zentralasiatischen Raum in Konkurrenz zu Rußland und China erweitern und verstetigen soll. Dem Interesse der afghanischen Bevölkerung an einer Staatlichkeit, die ein Leben in Frieden und relativer Versorgungssicherheit gewährleistet, wird durch die Besatzungspolitik der NATO bislang nicht entsprochen, wie die breites materielles Elend dokumentierenden Sozialindikatoren und die in den letzten Jahren deutlich zunehmenden Kriegsaktivitäten im Land belegen. Das "subjektive" Interesse einer wachsenden Zahl von Afghanen besagt, daß die NATO lieber heute als morgen abziehen soll, um den Befriedungsprozeß auch unter Inkaufnahme einer Beteiligung der Taliban an der Regierung endlich zum Abschluß bringen zu können.

Politische Selbstbestimmung auch unter den gegebenen schlechten Bedingungen ist einer Vasallenherrschaft, gegen die sich ein Teil der Bevölkerung dauerhaft auflehnt, zweifellos vorzuziehen. Das entspräche dem demokratischen Credo der Bundesrepublik, selbst wenn die afghanische Gesellschaft von ganz anderen Werten und Normen strukturiert wird. Sollten sich die Bundesbürger ernsthaft mit der Anwesenheit der Bundeswehr in Afghanistan auseinandersetzen, dann kämen sie nicht umhin, die eigenen politischen und gesellschaftlichen Werte und Ziele zu hinterfragen. Käme die Frage auf, welcher Zusammenhang zwischen dem exportorientierten und rohstoffabhängigen Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik und einer Kriege begünstigenden Außenpolitik besteht, und würde sie mit der wachsenden sozialen Polarisierung im eigenen Land in Zusammenhang gebracht, dann könnte der Widerstand gegen weitere Auslandseinsätze und Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr um einiges zunehmen.

Da dies nicht im Interesse der Bundesregierung liegt, verfolgt der Aufruf, dem Geschehen in Afghanistan mehr Aufmerksamkeit zu schenken, das Ziel, Zustimmung zu einer aggressiven und expansiven Außenpolitik zu generieren. Münkler hält den aus der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts resultierenden "Glauben" daran, daß Demokratie und Krieg nicht zusammenpaßten, für "eine Nahperspektive, die für ein paar Generationen in Deutschland so plausibel ist, die aber sicherlich historisch nicht zutrifft". Um die Bevölkerung kriegsbereit zu machen, "müssen wir uns jetzt allmählich herantasten an eine neue Symbolik, bei der solche Opfer, die nicht sozusagen aus eigenem Antrieb gebracht werden, sondern die gleichsam der Staat, das Gemeinwesen von den Soldaten einfordert, auch anerkannt werden, und zwar symbolisch und demonstrativ". Was heute bei der Trauerfeier im niedersächsischen Selsingen stattfand, dient eben diesem Zweck. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bot in seiner Traueransprache ein praktisches Beispiel dafür, wie man eine kritische Debatte um den Afghanistankrieg von vornherein unterbindet: "Eine meiner kleinen Töchter, der ich versuchte, diesen Karfreitag und meine Trauer zu erklären, fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden unseres Landes gewesen seien und ob sie stolz auf sie sein dürfe. Ich habe beide Fragen nicht politisch, sondern einfach mit Ja beantwortet."

9. April 2010