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KRIEG/1436: Krisenmanagement à la Gauck ... die Bundeswehr wird's schon richten (SB)



Nachdem die Sprachregelung, laut der es sich bei den Aussagen des Altbundespräsidenten Horst Köhler zu den Zielen deutscher Kriegspolitik um ein Mißverständnis handelte, durch ständige Wiederholung kodifiziert wurde, tritt dessen Nachfolger in spe, Joachim Gauck, an, um alles wieder gradezurücken. Am 22. Mai stellte Christopher Ricke in seinem historischen Interview dem damaligen Bundespräsidenten die Frage: "Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?" [1] Eben diese Frage stellte Stephan Detjen am 20. Juni im Deutschlandfunk dem Präsidenschaftskandidaten Gauck, woraufhin dieser alles richtig machte:

"Dass wir in Afghanistan sind, folgt einer völlig anderen Logik als jeder andere Militäreinsatz, den andere deutsche Armeen von früher befolgt haben. Früher zogen deutsche Soldaten aus, um andere Länder zu erobern, andere Menschen zu unterdrücken, Land und Ressourcen zu gewinnen. Heute sind sie im Auftrag der Vereinten Nationen unterwegs, um den Terror zu bekämpfen. Und deshalb sind die dort. Nicht, weil sie dort Bodenschätze für Deutschland gewinnen wollen. Es kostet uns Geld, wir gewinnen nichts. Und das ist neu, dass deutsche Soldaten für Bürgerrechte, für Menschenrechte und für Menschensicherheit streiten, ohne dass es der eigenen Nation direkt Vorteile bringt. Es bringt mittelbar Vorteile, aber doch nicht direkt." [2]

Köhler plauderte in zwar holpriger Diktion, aber mit klarer Linie aus dem Nähkästchen einer in verteidigungspolitischen Grundsatzerklärungen und militärstrategischen Konzepten längst dokumentierten, von nationalen Interessen geleiteten Kriegspolitik. Fast hätte er damit den vorgeschlagenen Diskurs in Gang gesetzt. Nur mit dem Ablenkungsmanöver, ihm ganz andere Gründe für seinen Rücktritt zu unterstellen, gelang es, die Wogen zu glätten und das Offenkundige zu dementieren. Nun zeigt Gauck mit seinem Beitrag zur Konsensproduktion, daß er die Unterstützung, die ihm angeblich in wachsendem Ausmaß zuteil wird, allemal verdient. Er versieht die Büchse der Pandora mit einem neuen Deckel, auf dem die berühmten drei Affen die Dreifaltigkeit erfolgreicher Ignoranz praktizieren. Völlig ungerührt ob der massiven Widersprüche, von denen die Bekämpfung des Terrorismus mit Massakern wie dem vom 4. September 2009 bei Kunduz gezeichnet ist, unter Verzicht auf jegliche Empathie, mit der üblicherweise Bürger- und Menschenrechte propagiert werden, predigt Gauck die Staatsräson des humanitären Interventionismus, als der die unerklärten Kriege der Bundesrepublik daherkommen.

Gauck weiß sehr genau, daß sie unerklärt bleiben müssen, weil ansonsten kaum lösbare völkerrechtliche Probleme aufträten. Heute tritt die Nation nicht mehr automatisch in den Krieg ein, wenn deutsche Soldaten in Ländern, die die Bundesrepublik nicht angegriffen haben, "unterwegs" sind. Mit einer Selbstlosigkeit, zu der staatliche Akteure im kapitalistischen Weltsystem nur in der Lage sind, wenn ihr Auftrag besonders kritikwürdig ist, verrichten sie dort einen Dienst an der Menschheit, der der Nation lediglich das karge Brot "mittelbarer Vorteile" verschafft. Daß diese als Chiffre für deutschen Einfluß auf supranationale Entscheidungsprozesse, für den weiteren Ausbau der NATO zur globalen Ordnungsmacht und die Mehrung deutschen Gewichts in der transatlantischen Waffenbrüderschaft zu verstehen sind, ohne den nämliche Kapitalinteressen, von denen Köhler sprach, nicht weltweit durchzusetzen wären, hat den Bürger nicht zu interessieren.

Wieso die Bundeswehr vor allem mit der Streichung von Personalausgaben zum Sparpaket beitragen soll, ihre Aufrüstung mit Waffen für den globalen Kriegseinsatz im Umfang von fast 50 Milliarden Euro jedoch so gut wie gar nicht thematisiert wird, wäre eine interessante Anschlußfrage gewesen. Einkommensarme Bundesbürger werden kaum zur Kasse gebeten, damit die Bundeswehr gewaltsam in aller Welt eine "Menschensicherheit" durchsetzen kann, die der eigenen Bevölkerung zusehends vorenthalten wird. In einer von Vorteilsstreben bestimmten, unter akuten Refinanzierungsproblemen ihrer staatlichen Garantiemacht leidenden Marktwirtschaft eine Armee zu finanzieren, die dieser keine Vorteile bringt, während humanitäre Arbeit zu sehr viel geringeren Kosten schon im eigenen Land praktiziert werden könnte, erscheint nicht halb so rational wie Köhlers Bekenntnis zu einer imperialistischen Außenpolitik.

Gauck empfiehlt sich als Sachwalter einer Symbol- und Beschwichtigungspolitik, die in Zeiten anwachsender sozialer Konflikte unentbehrlicher denn je ist. Die von ihm als Daseinszweck der Bundeswehr in Afghanistan genannte Bekämpfung des Terrorismus muß nicht immer am Hindukusch stattfinden, sondern kann auch Aufgabe jenes Heimatschutzes nach US-Vorbild sein, den Mitglieder der Unionsparteien für ein probates Mittel der inneren Sicherheit erachten und dem die Verwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee zuarbeitete. Die von Gauck propagierte und von der Bundesregierung offiziell vertretene Begründung für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan ist mithin auch als Angebot zur Güte zu verstehen. Akzeptiert man sie, dann ist für Frieden zumindest in der eigenen Mangelordnung gesorgt, verwirft man sie, dann stolpern nicht nur Präsidenten, dann geraten ganze Bevölkerungen aus dem Tritt der ihnen eingeimpften Einheitsmeinung.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/aktuell/1191138/

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/idw_dlf/1206886/

21. Juni 2010