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KRIEG/1444: "Gezielte Tötungen" ... Bundeswehr will mit von der Partie sein (SB)



Wer wollte sich in Anbetracht von Sondereinheiten wie der Task Force 47 (TF 47) der Bundeswehr, zu der unter anderem Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) und Agenten des Bundesnachrichtendienstes gehören, deren "autonome Aktionen" unter hoher Geheimhaltungsstufe stehen und deren Befehle außerhalb der üblichen Kommandokette vermittelt werden, sicher sein, daß die Bundeswehr nicht an der Praxis der "gezielten Tötungen" beteiligt ist. Die Bombardierung der zwei Tanklaster bei Kunduz am 4. September 2009 hat der verantwortliche Befehlshaber in der vom übrigen Lager getrennten Befehlsstelle der TF 47 und in Anwesenheit von drei Mitgliedern dieser Eliteeinheit veranlaßt. Die These, daß es sich bei diesem vernichtenden Luftangriff um eine Aktion gehandelt hat, die die Bevölkerung davon abschrecken sollte, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, oder daß sie als besonders brutale Präventivmaßnahme gedacht war, die die Taliban von weiteren Angriffen auf die wichtige Nachschubroute der NATO-Truppen abhalten sollte, konnte durch die offiziell angegebenen Gründe für das Massaker nicht widerlegt werden.

Auch wenn Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg behauptet, die Bundeswehr betreibe nur die Verhaftung und nicht die Erschießung von Taliban, ist auf derartige Angaben schon aufgrund der hermetischen Geheimhaltung und der engen Zusammenarbeit der KSK und TF 47 mit US-amerikanischen Killerkommandos im nordafghanischen Einsatzbereich der Bundeswehr kein Verlaß. Indem Guttenberg auf dem Fernsehsender Phoenix zur weiteren Entwicklung der Kriegführung in Afghanistan ankündigt, daß "man international abgestimmt verstärkt mit Geheimdiensten wird vorgehen müssen, daß man - wenn man eine saubere Rechtsgrundlage hat - auch auf Spezialkräfte wird zurückgreifen können müssen" [1], gesteht er ein, daß kein Mangel an politischem Willen zum Einsatz von Sondereinheiten zur gezielten Tötung von Taliban, sondern lediglich an Rechtsgrundlagen zur Absicherung derartiger Operationen besteht. Die "müssen auch mal formuliert werden" [1], reklamiert Guttenberg Handlungsbedarf für die Rechtsabteilung seines Ministeriums.

Um im Rahmen einer angeblichen Schutz- und Wiederaufbaumission Angriffsoperationen, die die offensive Vernichtung des Gegners bezwecken, durchführen zu können, wird regierungsamtlichen Winkeladvokaten einiges abverlangt. Während sie sich bis ins letzte Komma durchdachter Formulierungen bedienen müssen, um das Offensichtliche der aggressiven Kriegführung in die defensive Flankierung eines zivilen Projekts des Nation Building umzuwidmen, macht der Verteidigungsminister eher auf Gutsherrenart deutlich, worum es beim Einsatz von Spezialkräften wie der KSK und der TF 47 geht: "Ich glaube, dass Spezialkräfte ja nicht alleine dafür da sind, dass gezielte Tötungen vorgenommen werden. Im Gegenteil: Sie sind ja auch dafür da, dass man an der einen oder anderen Stelle ... für Ruhe sorgen kann oder dass man auch mal Festnahmen vornimmt." [2]

Sorgte Altbundespräsident Horst Köhler noch für Empörung, als er die geostragischen Motive der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg offenlegte, da findet Guttenbergs kaum verhohlenes Plädoyer für die Praxis der gezielten Tötung und ihre legalistische Einbindung ins offizielle Einsatzprofil der Bundeswehr nur wenig Beachtung. Wo gehobelt wird, fallen Späne, bei denen es sich vor allem um Zivilisten handelt, wie die von Wikileaks freigesetzten Dokumente zum Afghanistankrieg belegen. Das von den US-amerikanischen Truppen praktizierte Targeted Killing ist ein ebenso irreführender Euphemismus wie die behaupteten chirurgischen Luftschläge, denen 1991 Zehntausende von Irakern zum Opfer fielen, während die Überlebenden noch lange unter der Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes leiden sollten.

Zivilisten werden beim Einsatz von Spezialstreitkräften und bei Luftangriffen mit Lenkwaffen geradezu programmatisch in Mitleidenschaft gezogen. Der gezielten Tötung des Talibanführers Baitullah Mehsud durch einen Drohnenangriff in Pakistan im August 2009 letzten Jahres sollen 15 Angriffe auf seine Person vorausgegangen sein, bei der über 300 Menschen getötet wurden. Man greift auf Verdacht an, um das Ziel irgendwann zu treffen, und hat im Ergebnis kein anderes Zerstörungswerk angerichtet, als wenn man mit einer Maschinenwaffe in eine Menschenmenge hält, um eine in ihr vermutete Person zu treffen. Ob deutsche Sondereinheiten in Afghanistan uneingeschränkt mit von der Partie sind, wenn die US-Verbündeten bei der Jagd auf Taliban den Befehl "capture or kill" erhalten, oder ob sie sich tatsächlich, wie behauptet, auf Festnahmen beschränken, kann man nicht definitiv wissen. Die strikte Geheimhaltung, unter der diese Operationen stehen, und der erklärte Wille zu dieser Form von aggressiver Kriegführung lassen vermuten, daß zwischen der Praxis auf dem Gefechtsfeld und den offiziellen Verlautbarungen eine interpretationsbedürftige Lücke klafft.

Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2010/07-30/047.php

[2] http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews%5Btt_news%5D=84438&tx_ttnews%5BbackPid%5D=23&cHash=533be25ab3

31. Juli 2010