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KRIEG/1446: Friedenstheater am Hindukusch - Die nächste Wahlfarce kommt bestimmt (SB)



Mit Blick auf die Parlamentswahlen in Afghanistan am 18. September ist die mit demonstrativen Sorgenfalten erörterte Frage, ob es sich erneut um eine Farce erster Güte handeln wird, rein rhetorischer Natur. Da der Angriffskrieg der westlichen Mächte gegen die Afghanen und das dauerhaft konzipierte Okkupationsregime am Hindukusch nicht das geringste mit den vielzitierten Vorwänden des Feldzugs zu tun haben, kann man schwerlich erwarten, daß irgendein Detail dieser Scharade wie etwa der kommende Urnengang plötzlich Wirklichkeit werden läßt, was man bislang lediglich als Täuschungsmanöver vorgehalten hat. Weder die USA und ihre Verbündeten, noch deren Marionettenregierung in Kabul oder deren Helfershelfer können sich ernsthaft wünschen, daß der Mehrheitswillen der Afghanen Gestalt annimmt, würde dies doch zuallererst darauf hinauslaufen, die ausländischen Truppen ebenso zum Teufel zu jagen wie das weithin verhaßte Regime in der Hauptstadt. Folglich geht es bei dem bevorstehenden Wahlgang einmal mehr darum, die Besatzung zu legitimieren, den Karsai-Clan zu stabilisieren und an der Heimatfront Fortschritte in Sachen Demokratie vorzugaukeln. Da der letztjährige Wahlbetrug des afghanischen Staatschefs ebenso maßlos wie unverfroren war, bleibt allenfalls die fragwürdige Hoffnung, daß der Betrug diesmal besser verschleiert werden kann.

Daß die Wahlen rechtsstaatlichen und demokratischen Standards auch nur entfernt entsprechen werden, ist unmöglich, wobei sich zu den angedeuteten prinzipiellen Gründen auch eine ganze Reihe situativer Momente gesellen. Die New York Times (11.08.10) zitiert einen afghanischen Kandidaten, der für den gesamten Süden des Landes freie, faire und akzeptable Wahlen ausschließt, weil man dort so gut wie keine Wahllokale öffnen und für deren Sicherheit garantieren könne. Hinzu kämen die Provinzen Kundus und Baghlan im Nordosten, wo die Kämpfe massiv zugenommen haben, sowie diverse Zonen der Instabilität im Nordwesten. Da sich die Gefahrenlage seit dem vergangenen Jahr weiter verschärft hat, kann vielerorts von Wahlkampf ebensowenig die Rede sein wie von Wahlbeobachtern oder irgendeinem anderen Verfahren, das den regulären Ablauf des Urnengangs gewährleisten und seine Ergebnisse sicher dokumentieren könnte.

Folglich werden erneut fiktive Resultate produziert, die man nicht existierenden Wahllokalen zuschreibt, aus kistenweise gefälschten Stimmen für ein- und denselben Kandidaten extrahiert oder durch andere mehr oder minder plumpe Täuschungsmanöver zustande bringt. Im für die Besatzungsmächte günstigsten Fall werden die Fragwürdigkeiten und Ungereimtheiten so vielfältig und gestreut in Erscheinung treten, daß man den Wahlgang scheinheilig tadeln, doch sein Ergebnis als reales Votum des afghanischen Volkes ausgeben kann. Karsais Wahlbetrug, der im Prinzip nur das durchsetzte, was sich die westlichen Mächte erhofft hatten, war so offensichtlich, daß sich eine heftige Kontroverse um die Legitimität des Ergebnisses nicht vermeiden ließ. Aus Schaden klug geworden, betonen Vertreter der Besatzungsmächte diesmal allenthalben, die Wahlen fänden unter afghanischer Führung statt, was offenbar dem Wunsch geschuldet ist, sich von vornherein von allen Manipulationen zu distanzieren.

Während man im Falle Karsais über den Daumen peilen und eine Million Stimmen für ungültig erklären konnte, ohne seinen Sieg zu gefährden, sind solche durchsichtigen Rechtfertigungsmanöver bei den Parlamentswahlen nicht möglich. Da es um zahlreiche Kandidaten geht und die Abstände zwischen den einzelnen Bewerbern mehr oder minder gering ausfallen, kann ohne weiteres der Fall eintreten, daß eine "Volksvertretung" von Wahlbetrügern installiert wird, in der man regulär gekürte Abgeordnete mit der Lupe suchen müßte, wenn man denn Prüfkriterien hätte.

Notgedrungen stimmen alle Beteiligten in den vergeblichen Ruf ein, die Sicherheit der Wahl genieße höchste Priorität, wobei zwangsläufig niemand erklären kann, wie das funktionieren soll. Karsais Sprecher Waheed Omar rief im Namen des Präsidenten die einheimischen Sicherheitskräfte und die "internationalen Partner" dazu auf, den Urnengang bestmöglich zu schützen. Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, Staffan de Mistura, gab zum besten, daß man es hier nicht mit der Schweiz zu tun habe. Wichtig sei jedenfalls, daß man sensibles Wahlmaterial von Anfang bis Ende bewachen und offen zugeben müsse, welche Wahllokale man nicht sichern könne. Außerdem wünscht die UNO, daß sich Polizei und Streitkräfte diesmal nicht am Wahlbetrug beteiligen, sondern Neutralität wahren. Und nicht zuletzt soll die Wahlkommission in letzter Instanz entscheiden, welche Wahllokale geöffnet werden. Dazu bedarf es allerdings vorangegangener Garantien der Sicherheitskräfte, dies in den betreffenden Fällen tatsächlich zu gewährleisten. Die Polizei hat bereits eine Liste mit 6.800 Wahllokalen vorgelegt, die sie angeblich schützen kann. Da es im vergangenen Jahr noch tausend weniger waren und sich die Verhältnisse seither deutlich verschlechtert haben, ist die genannte Zahl offensichtlich völlig aus der Luft gegriffen.

So dreht und wendet man Probleme, schmiedet Pläne, gibt Erklärungen ab, erhebt Forderungen, erläßt Vorschriften - und macht die Rechnung ohne den Wirt: Im überwiegenden Teil des Landes sind weder die Besatzungstruppen, noch die einheimischen Sicherheitskräfte in der Lage, einen regulären Wahlgang zu gewährleisten. Fortschritte des Friedensprozesses mitten im eskalierenden Krieg zu inszenieren, bleibt zwangsläufig ein überaus peinliches Theater, was die Betreiber der Kampagne am Hindukusch freilich noch nie gestört hat, solange sich ihr Wahlvolk an der Heimatfront bereitwillig für dumm verkaufen ließ.

12. August 2010