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KRIEG/1492: NATO forciert Raketenangriffe auf Libyen - Kriegsziel Regimewechsel (SB)



Menschen, die bereits getötet wurden, können nicht mehr angegriffen werden. Nach dieser perfiden Logik scheint der NATO-Militärpakt die UN-Resolution 1973 interpretiert und seine Angriffe auf die libysche Regierung "zum Schutz der Zivilisten" forciert zu haben. Am frühen Dienstagmorgen wurden binnen einer Stunde bis zu 18 Luftangriffe auf die Hauptstadt Tripolis geflogen. Nach Regierungsangaben wurden dabei drei Menschen getötet und 150 verletzt. In einer NATO-Erklärung zu der Attacke hieß es, daß die "Gaddafi-Truppen nach wie vor eine Bedrohung für Zivilisten darstellen" und daß man die Ziele, von denen diese "Gewalt" ausgeht, weiterhin angreifen werde [1].

Wer "Bedrohung" mit "Gewalt" gleichsetzt, kann natürlich das UN-Mandat sehr freizügig auslegen - abgesehen davon, daß die Länder, die jetzt hauptsächlich am Angriff auf Libyen beteiligt sind, sich im Sicherheitsrat das Mandat selbst erteilt haben. Mit den wütenden Attacken auf Tripolis versucht die NATO, ein rasches Ende des Kriegs herbeizubomben. Denn die ostlibyschen Milizen, die gegen die Regierung in Tripolis instrumentalisiert werden, sind militärisch nicht dazu in der Lage, Gaddafi zu stürzen. Die bisherigen Luftangriffe genügten ebenfalls nicht, um einen Regimewechsel - das augenscheinliche Ziel der Intervention - einzuleiten. Also werden noch mehr Raketen abgefeuert. Darüber hinaus führt Frankreich bereits Kampfhubschrauber heran, auch die Briten wollen ihre Apache-Hubschrauber in Marsch setzen, und Berichten zufolge markieren französische Bodentruppen an der Seite der Milizen schon seit längerem Raketenziele. Ein Einsatz von Bodentruppen ist nicht geplant, hat es bislang aus den NATO-Zentralen geheißen ... bekanntlich sind Planänderungen häufig nicht geplant.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der britische Premierminister David Cameron, Italiens Machthaber Silvio Berlusconi und letztlich auch US-Präsident Barack Obama stehen allesamt innenpolitisch ziemlich unter Druck und hätten deshalb aus Machterhaltsgründen ein Motiv, Krieg zu führen und dabei mutmaßliche Stärke zu zeigen. Die deutsche Regierung hingegen hatte im Sicherheitsrat nicht für den Krieg gestimmt - in der deutschen Öffentlichkeit wäre eine massive militärische Beteiligung am Angriff auf die libyschen Regierungssoldaten auch nicht gut angekommen. Die aktuelle Eskalation an der Libyenfront dürfte damit zu tun haben, daß in Frankreich ein Militäreinsatz, der länger als vier Monate dauert, der Zustimmung des Parlaments bedarf. Endlose Debatten über Für und Wider den Krieg kann Sarkozy nicht gebrauchen. Ein weiteres Motiv, die Endschlacht herbeizuführen, dürfte darin liegen, daß die NATO-Paktstaaten den Libyenkrieg nicht so in die Länge ziehen wollen wie die Kriege in Irak und Afghanistan.

Gaddafi soll weg, auf dieses Ziel hat sich die NATO eingeschossen. Der libysche Machthaber, wie er in den hiesigen Medien gern genannt wird, steht einer Erweiterung des hegemonialen Raums des Westens und einer Vertiefung seiner Verfügungsgewalt im Wege. Libyen hat zwar ein System aus Auffanglagern eingerichtet, um afrikanische Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten, und war auch Anlaufpunkt für die berüchtigten CIA-Folterflüge, zudem wurde es vor rund fünf Jahren von der US-Terrorliste gestrichen, aber das Gaddafi-Libyen war kein Wachs in den Händen der NATO-Staaten. Das Regime hat mit den Flüchtlingslagern, den Folterflügen und der wirtschaftlichen Expansion durchaus eigene Interessen verfolgt und eine Emanzipation von den westlichen Hegemonialkräften angestrebt. Deshalb waren die Aufstände in der arabischen Welt eine passende Gelegenheit, ostlibysche Milizen, die in früheren Jahren schon mal den Aufstand erprobt haben, zu unterstützen. Den Zivilisten jedenfalls, um deren Schutz die Weltgemeinschaft angeblich besorgt ist, wäre es ohne Putschversuch und ohne NATO-Intervention sehr viel besser ergangen als heute.

Anmerkungen:

[1] "Qadhafi's forces still represent a threat to civilians and we will continue to strike targets that carry out this violence."
(Commander of Operation Unified Protector, Lieutenant-General Charles Bouchard)
zitiert aus:
NATO strikes Pro-Qadhafi vehicle storage facility in Tripoli, Nato-Presseerklärung, 24. Mai 2011
http://www.nato.int/cps/en/natolive/news_74673.htm

24. Mai 2011