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KRIEG/1507: NATO-Aggression gegen Libyen ... ins Unrecht gesetzt, zur Ohnmacht verdammt (SB)



Die Ermordung des Militärchefs der libyschen Rebellen, Abdel Fattah Junes, durch Rebellenmilizionäre düpiert die breite Koalition deutscher Kriegstreiber von der Springer-Presse bis zu Grünen und SPD. "War er ein Spion Gaddafis?" mutmaßt die Bild-Zeitung [1], um ihren von der Glorifizierung der Rebellen als mutige Freiheitskämpfer verwöhnten Lesern die Möglichkeit zu bieten, sich einen Reim auf diesen vermeintlichen Widerspruch zu machen. Man entdeckt plötzlich, daß Junes als ehemaliger Innenminister und zweiter Mann hinter Muammar al Gaddafi lange Jahre maßgeblich für die Repression der libyschen Staatsgewalt verantwortlich war. Wie ein solcher Mann in eine führende Position angeblich Freiheit und Demokratie verpflichteter Rebellen geraten konnte, verschwindet ebenso im Nebel des Kriegs wie all die anderen Ereignisse, die an der Gleichsetzung der libyschen Rebellen mit den Demokratiebewegungen in anderen arabischen Ländern zweifeln lassen. Brutale Übergriffe auf schwarzafrikanische Libyer und MigrantInnen, Plünderungen privaten Eigentums in eroberten Städten, Forderungen nach der Wiedereinführung der Burka und die angebliche Nähe einiger Rebellen zu Al Qaida sind Informationen, die so gar nicht zu dem hierzulande verbreiteten Bild passen, in Libyen unterdrücke ein brutaler Diktator ein freiheitsliebendes Volk, weshalb der dagegen gerichtete Widerstand von der NATO unterstützt werden müsse.

Nun werden derart dem eigenen Angriffsvorwand abträgliche Ereignisse in der westlichen Berichterstattung ebenso kurz gehalten wie Analysen zu den Gründen, die die NATO-Staaten über den längst der Haltlosigkeit überführten "Schutz der Zivilbevölkerung" hinaus dazu veranlassen könnten, einen Regimewechsel in Tripolis anzustreben. Nachdem die Intervention legitimierenden Angaben über Massenvergewaltigungen und Bombenangriffe, die die libysche Führung angeordnet habe, keine unabhängige Bestätigung erhalten konnten, wäre es auch für deutsche Politiker und Journalisten an der Zeit, einmal über den hohen Lebensstandard nachzudenken, den die libysche Bevölkerung bei aller politischen Einschränkung zu schätzen weiß. Während in westlichen Gesellschaften immer tiefer ins Fleisch sozialer Überlebensgarantien geschnitten wird, genehmigen sich die Libyer auf Kosten "unseres" Öls Versorgungsleistungen, von denen Bundesbürger nur träumen können. Unmittelbar verknüpft damit ist die Politik Libyens, den Zugriff auf die Ressourcen des Landes nicht auf eine Weise dem Zugriff transnationaler Konzerne auszuliefern, wie es das kapitalistische Weltsystem verlangt. Weitere Gründe, die Gaddafi seit Beginn der Revolten in der arabischen Welt zum Popanz Freiheit verheißender Mimikry des Westens gemacht haben, bestehen in der unzureichenden Unterstützung der Mittelmeerpolitik der EU durch Libyen, in der offensiven Verurteilung der israelischen Siedlerpolitik durch Tripolis und vor allem der massiven Unterstützung afrikanischer Unabhängigkeitsbestrebungen durch den libyschen Machthaber [2].

Wie in dem viele Parallelen zum Libyenkrieg aufweisenden Überfall der NATO auf Jugoslawien soll die Personalisierung eines komplexen internationalen Konflikts dafür Sorge tragen, daß die mit massenmedialer Indoktrination erzeugte Zustimmung der Bevölkerungen der NATO-Staaten zu dieser Aggression nicht erodiert. Streicht man den libyschen Revolutionsführer aus der Rechnung und fragt nach den Interessen der Bürger des Landes, dann zeigt sich, daß diese so oder so verraten und verkauft werden. Ein Sturz der Regierung in Tripolis wäre das Ende sozialer Vergünstigungen, die durch die dann vollends verwirklichte Freiheit des Kapitals nicht nur eliminiert, sondern durch ein neues Regime sozialer Unterdrückung ersetzt würden. Zwar geben sich die Repräsentanten des Nationalen Übergangsrates in Bengasi alle Mühe, dem ihnen zugeschriebenen Status vorbildlicher Herolde universaler Werte rhetorisch zu genügen. Mit der Ermordung von Junes und dem dadurch ins grelle Licht der internationalen Aufmerksamkeit gerückten Machtkampf unter den Fraktionen der Rebellen hat sich dieser Anspruch als so fadenscheinig erwiesen, daß man in den Hauptstädten der NATO-Staaten zusehends darauf verzichtet, sich seiner als Feigenblatt zu bedienen.

So erklärte der britische Verteidigungsminister Liam Fox am 31. Juli, daß die Rebellen nach dem Sturz Gaddafis "marginalisiert" werden müßten. Sie wären, wenn die NATO "sich in die Entwicklungsphase bewegt und die Demokratie in Libyen wachsen läßt" [3], auszugrenzen, sprich den Bedingungen der Sieger zu unterwerfen. Ginge man einmal davon aus, daß die Rebellen trotz der innerhalb weniger Tage vollzogenen Verwandlung eines friedlichen bürgerlichen Protests in einen bewaffneten Aufstand legitime Interessenvertreter der libyschen Bevölkerung wären, dann handelt die britische Regierung schon jetzt mit dem Vorsatz, deren Selbstbestimmung ebensowenig zu dulden wie die der Regierung des Landes. Dies liegt auf der Linie der Strategie, Vermittlungsversuche Dritter an der Forderung scheitern zu lassen, daß Gaddafi zuvor jedes politischen Einflusses beraubt werden müsse, oder Verhandlungsangebote der Regierung in Tripolis mit nämlichem Argument zurückzuweisen. Eine Konfliktlösung, die der libyschen Bevölkerung die Möglichkeit läßt, sich auch gegen die neuen Herren im Wartestand zu entscheiden, wird ebensowenig gestattet wie in Afghanistan, im Irak oder in Jugoslawien.

Unter einem Regimewechsel und der sich daran anschließenden Neuordnung Libyens nach Bedingungen der Eroberer will es die NATO nicht machen. Die Militärallianz genügt ihrer Aufgabe eines politische Ziele mit massiver Gewalt durchsetzenden Instruments imperialistischer Interessensicherung voll und ganz, inklusive der Inszenierung demokratischer Glaubwürdigkeit. Hört man genauer hin, dann welkt das Ornament universaler Werte schnell unter dem eisigen Wind des Willens zur Tat dahin. So kündigte der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet an, die Angriffe während des Fastenmonats Ramadan keineswegs zu unterbrechen. Es gebe "keine Zukunft für Libyen mit Gaddafi. Die Situation in Tripolis muss sich schneller bewegen" [4], unterstrich er die bereits von seinem britischen Kollegen Fox erhobene Forderung, Gaddafi müsse von seinen eigenen Anhängern und Vertrauten gestürzt werden.

Indem man in London und Paris auf einen Palastcoup setzt und den Rebellen gleichzeitig die Funktion einer nur vorübergehend nützlichen Fußtruppe zuweist, hat man sich vollends in die Position kolonialistischer Vormundschaft manövriert. Dem Objekt eigener Suprematie wird auferlegt, die Verhältnisse so zu ordnen, daß der Eroberer bei seinem Eintreffen wenig Aufwand mit seiner neuen Okkasion hat und so viel Gewinn wie möglich aus ihr schlagen kann. Dazu bedient er sich einer Demagogie, wie sie im Buche jener Verworfenen steht, die alle Schuld für ihre gewaltsame Beseitigung auf sich nehmen müssen, um die Gerechtigkeit des Täters zu heiligen.

Die Bombardierung von Sendeanlagen des libyschen Staatsfernsehens durch die NATO zwecks Verhinderung der Ausstrahlung von "Terrorsendungen" ist, wie entsprechende Angriffe im Jugoslawienkrieg gezeigt haben, Ausdruck des Primats einer Wahrheit, die ihre Gültigkeit daraus schöpft, daß die andere Seite mund- oder überhaupt tot gemacht wird. Dies mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zu begründen, weil die libysche Regierung den Rundfunk "als Mittel zur Einschüchterung des Volkes und zu Aufrufen zur Gewalt gegen Zivilisten" [5] benutze, liegt auf einer Linie mit den irreführenden Behauptungen, mit denen dieser Krieg begonnen wurde. Nur gut, daß die BürgerInnen der NATO-Staaten nicht auf die Frage kommen, wie es ihnen erginge, in ohnmächtiger Lage infamen Bezichtigungen ausgesetzt zu sein. Um so besser, daß sie nicht wahrhaben wollen, wie sehr die Realität sozial ausgegrenzter EuropäerInnen bereits heute von diesem Gewaltverhältnis bestimmt ist.

Die Dämonisierung des Opfers projiziert die Grausamkeit des Aggressors auf dieses, um vergessen zu machen, wer sich ins Unrecht setzt. Das westliche Militärbündnis arbeitet einmal mehr mit der im Terrorkrieg umfassend etablierten Dichotomie von Gut und Böse. Mit der Willkür des Scharfrichters, die unhinterfragbar ist, weil ein abgeschlagener Kopf sich nicht verteidigen kann, läßt sich so ziemlich jede Schandtat ins Licht einer so unabdinglichen wie gerechten Maßnahme rücken. Die Ankündigung des NATO-Sprechers Roland Lavoie, man werde aufgrund des angeblichen Mißbrauchs ziviler Einrichtungen durch libysche Truppen künftig zivile Ziele wie "frühere Ställe, landwirtschaftliche Einrichtungen, Lagerhäuser, Fabriken und Produktionsanlagen für Lebensmittel" [6] bombardieren, legt eine Strategie der Vernichtung lebenswichtiger Ressourcen nahe, um den Widerstand der loyal zur Regierung in Tripolis stehenden Bevölkerung gegen die NATO-Aggression zu brechen. Sachzwänge geltend zu machen, um Menschen auszuhungern, ist schließlich keine Erfindung dieses Krieges.

Der Run auf die Beute, dokumentiert etwa durch die Finanzhilfe der Bundesregierung für den klammen, von ihr als Vertretung Libyens anerkannten Übergangsrat in Bengasi in Höhe von 100 Millionen Euro, scheint jedoch verfrüht. So wirbt Verteidigungsminister Longuet vor der französischen Bevölkerung um das Plazet für mehr Willkür in der Kriegführung und stimmt sie auf einen langen Winter ein: "Wir dürfen uns nicht durch einen Zeitplan oder durch technische Zwänge einsperren lassen. Wir zeigen unsere Fähigkeit, durchzuhalten" [4]. Seine Forderung an die Adresse anderer europäischer NATO-Staaten wie Deutschland, sich endlich an dem Krieg zu beteiligen, erfolgt nicht nur aufgrund der anwachsenden Kosten dieser Aggression, die den von Spardiktaten zum Engerschnallen des Gürtels genötigten Bevölkerungen immer schwieriger zu vermitteln sein dürften.

Es geht den in bester Kolonialtradition handelnden Regierungen in London und Paris auch darum, ihre Kriegführung in größerem Ausmaß zu legitimieren. Schließlich soll nicht nur Libyen wenn schon nicht heim ins EU-Imperium geholt, dann doch zumindest zu einem nützlichen Vasallen degradiert werden. Der nächste Kandidat für die kriegerische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens steht bereits Schlange. Syrien ist zwar eine militärische Herausforderung größeren Kalibers, doch schließlich drängt es die Militärallianz seit dem Niedergang der Sowjetunion mit aller Macht dazu, ihre Unverzichtbarkeit und Handlungsfähigkeit als führende globale Ordnungsmacht unter Beweis zu stellen. Staatliche Verfügungsgewalt im sozialen Krieg über die verbliebenen Lebensgarantien zu maximieren ist gerade vor dem Hintergrund einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Souveränität staatlicher Akteure zutiefst in Frage stellt, eine so naheliegende wie attraktive Option. Sie ist um so leichter zu verwirklichen, da die europäischen Bevölkerungen sich kaum passiver zu den längst zur alltäglichen Begleiterscheinung gewordenen Kolonialkriegen verhalten könnten. Die Vermutung, es ginge dabei um die Sicherung ihres Wohlstandes, könnte sich allerdings als grausamer Irrtum erweisen.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/politik/ausland/libyen-krise/war-der-chef-der-rebellen-armee-ein-spion-gaddafis-19117526.bild.html

[2] siehe ausführlich dazu die zweiteilige Serie von Joachim Guillard:
http://www.jungewelt.de/2011/07-27/021.php
http://www.jungewelt.de/2011/07-28/015.php

[3] http://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-14358869

[4] http://www.faz.net/artikel/C32315/frankreich-im-libyen-krieg-keine-pause-im-ramadan-30477489.html

[5] http://www.n-tv.de/politik/NATO-feuert-auf-Staatsfernsehen-article3938166.html

[6] http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/nato_will_mehr_ziele_angreifen_1.11641411.html

2. August 2011