Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1568: Unterwerfung und Opferbereitschaft - Das harte Brot der Freiheit Gaucks (SB)




Von der Notwendigkeit des Krieges zu sprechen, während eine deutsche Nationalelf auf den Spuren der Panzerketten und Marschkolonnen wandelt, die Tod und Vernichtung über Polen und die Sowjetunion gebracht haben, zeugt gerade nicht von jener historischen Sensibilität, die Bundespräsident Gauck anmahnt, wenn er die Bundeswehr als Ergebnis der Überwindung zweier Diktaturen darstellt. Die Gelegenheit, in seiner Rede vor der Führungsakademie der Bundeswehr daran zu erinnern, was für ein Zerstörungswerk deutsche Soldaten in diesen Ländern vollbracht haben, ließ Gauck ungenutzt verstreichen. Statt dessen zog er es vor, die von ihm gemeinte Freiheit den Einschränkungen gegenüberzustellen, denen er in der DDR ausgesetzt war, ohne daran zu erinnern, daß deren Streitkräfte weder in fremde Ländern eingefallen sind noch auf die eigenen Bürger geschossen haben, wie es bei revolutionären Erhebungen in anderen Ländern oft der Fall ist.

Auch die von ihm so gelobte Kultur der Begegnung von Ost und West in der Bundeswehr nach dem Anschluß der DDR an die BRD verharmlost eine kolonialistische Vereinnahmung, die wesentlich zu Lasten des Personals der NVA ging, weil insbesondere Offiziere nur sehr bedingt übernommen wurden. Wie "notwendig und sinnvoll" Gewalt sein kann, "um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden", könnte der gelernte Pastor aus erster Hand erfahren, wenn er etwa türkische oder usbekische, um nur zwei Beispiele zu nennen, Lehrgangsteilnehmer an der Führungsakademie der Bundeswehr gefragt hätte. Zweifellos trifft zu, daß "Frieden, Freiheit und Achtung der Menschenrechte vielfach nicht von alleine entstehen", doch daraus den Schluß zu zielen, diese Ziele herbeibomben zu müssen, läßt sich auch mit der Aussage, "es waren ausländische Soldaten, die unserem Land die Möglichkeit der Freiheit schenkten, als sie selbst für ihre eigene Freiheit kämpften", nicht erwirtschaften. Angriffe auf die afghanische Zivilbevölkerung gleichzusetzen mit dem Niederringen des NS-Regimes, das vor allem durch sowjetische Truppen erfolgte, was Gauck eher nicht beim Namen nennen will, legitimiert die imperialistische Kriegführung der NATO implizit mit Auschwitz.

Das von den Medien vor allem aufgegriffene Zitat aus der Rede vom 12. Juni befreit den Bundespräsidenten zumindest von dem Verdacht, ein Verfechter jenes mit der US-Gesellschaft assoziierten Liberalismus zu sein, dessen Leitmotiv das Streben nach Glück, der pursuit of happiness, ist. Die Freiheit, die Gauck meint, ist zuallererst eine der Unterwerfung unter diejenigen, die sie entziehen oder gewähren. Die Freiheitsdoktrin dieses Bundespräsidenten ist zutiefst autoritär, denn ihre Inanspruchnahme setzt das Entrichten eines Preises voraus, der unter anderem im Führen von Kriegen zur Erweiterung marktwirtschaftlicher Expansionsräume und zur industriestrategischen Ressourcensicherung besteht. Wenn die Bevölkerung der Bundesrepublik schon zu "glücksüchtig" ist, als daß sie keine Gefallenen mehr ertragen kann, was müssen wohl die Afghaninnen und Pakistanerinnen an moralischen Vergehen auf ihrem Kerbholz haben, wenn ihre Kinder oder sie selbst im Rahmen irreführend targeted killing genannter Mordoperationen ums Leben kommen?

Gauck fragt nicht danach, wie es kommt, daß die einen den angeblichen Preis der Freiheit aus der Portokasse und die anderen ihn mit ihrem Leben bezahlen. Der Opfermythos, daß eine Demokratie "manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben", fordert, und sein positiver Bezug auf den Patriotismus des Bundeswehr-Slogans "Wir. Dienen. Deutschland." - der Bundespräsident bevorzugt die imperative Reinform dieses Bekenntnisses ohne trennende Punkte - unterscheiden sich von dem am Anfang seiner Rede präsentierten Negativbeispiel des Militarismus in der DDR vor allem durch das Ausmaß tatsächlich vollzogener Aggressionen. Die Bundesbürger zu ermahnen, nicht nach persönlichem Glück zu streben, sondern ein martialisches Selbstverständnis zu kultivieren, ist in Anbetracht mehrerer explosiver Krisenherde und der bereits angedachten Szenarios militärischer Aufstandsbekämpfung auch innerhalb der EU von einer prognostischen Qualität, die man nicht so ignorieren sollte, wie es bei Menschenrechtsverletzungen in den Zielgebieten der Bundeswehr und NATO laut Gauck der Fall ist. Seine Unterstellung, den Bundesbürgern sei das Schicksal der Menschen in anderen Weltregionen herzlich egal, wird am besten dadurch widerlegt, daß man ihm in den Arm fällt, wenn er die Waffe des humanitären Interventionismus zieht und den Wolf der NATO zur fürsorglichen Großmutter erklärt.

Während Horst Köhler darüber stolperte, daß er Klartext über die strategischen Beweggründe deutscher Kriegführung sprach, erntet Joachim Gauck wenn nicht ohnehin Zustimmung, dann bestenfalls milde Rügen dafür, daß er die Bevölkerung darauf vorbereitet, klaglos ihren Blutzoll zu entrichten. Man weiß zu schätzen, daß der Bundespräsident mit der Anmahnung von mehr Opferbereitschaft nicht nur die Entbehrungen der Schlacht auf dem Gefechtsfeld, sondern auch bei der Lohnsklavenarbeit an der Fertigungsstraße und im Dienstleistungsjob meint. An der Führungsakademie der Bundeswehr hat Gauck keinen mißverständlichen Formulierungsfehler oder leichtfertigen Ausrutscher abgesondert. Er hat das Fundament für die in die Krise ihres Verwertungskonzepts geratene Arbeitsgesellschaft gelegt, um im Ausnahmezustand des Krieges die nächsthöhere Ebene einer Krisenbewältigung, der allmählich ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Optionen ausgehen, zu betreten.

Fußnote:

[1] Alle Zitate aus der Rede des Bundespräsidenten siehe http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/06/120612-Bundeswehr.html

17. Juni 2012