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KRIEG/1578: Klaviatur gestaffelter Aggression - Damaskus und Teheran sturmreif schießen (SB)




Eine gemessen an der Zahl beteiligter Staaten und ihrer Bevölkerungen relativ kleine Minderheit, die sich auf Grundlage ihrer beispiellosen Waffengewalt und ökonomischen Übermacht dennoch irreführend internationale Gemeinschaft nennt, intensiviert ihren Angriffskrieg gegen Syrien und bereitet den folgenden gegen den Iran vor. Nur gebremst durch das Veto Rußlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat drängen die westlichen Mächte auf einen Regimewechsel in Damaskus und Teheran. Im Zusammenspiel der beteiligten Regierungen wird die Klaviatur politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Drucks wechsel- und schubweise bedient, um vorzutäuschen, es handle sich um etwas anderes als einen hegemonialen Übergriff zur Okkupation und Neuordnung dieser Weltregion. Daß die syrische und iranische Führung gewaltsam gestürzt werden müsse und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu zertrümmern seien, ist das erklärte Ziel dieser Aggression, die ihre Opfer dämonisiert, um nicht zuletzt an der Heimatfront alle Einwände gegen das Morden, Vertreiben und Zerstören aus dem Feld zu schlagen.

Vorbei die Zeit, da man Kanada noch als liberalen Kontrast zu den kriegslüsternen Vereinigten Staaten wahrnehmen mochte. Die Regierung in Ottawa hat Soldaten nach Afghanistan geschickt und gehörte zu den glühenden Befürwortern der Luftangriffe auf Libyen im vergangenen Jahr. Nun hat Kanada die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen, seine Botschaft in Teheran mit sofortiger Wirkung geschlossen und die iranischen Diplomaten aufgefordert, innerhalb von fünf Tagen das Land zu verlassen. Außenminister John Baird sagte zur Begründung in Ottawa, man betrachte die Regierung des Irans als bedeutendste Bedrohung für den weltweiten Frieden und die Sicherheit der heutigen Welt. Teheran versorge das syrische Regime mit Waffen, befolge die Resolutionen der UN zu seinem Atomprogramm nicht, bestreite das Existenzrecht Israels und stachele zum Genozid auf. [1]

Wenige Stunden später legte Baird nach und präzisierte, daß man auch Syrien auf die Liste der "Terrorunterstützer" gesetzt habe. Kanada sei entschlossen, gegen den internationalen Terrorismus zu kämpfen und die Verantwortlichen für Terrorakte sowie ihre Unterstützer zu zwingen, für ihre Taten geradezustehen. In der Vergangenheit hatte Ottawa bereits Sanktionen gegen die iranische Zentralbank verhängt und Bankkonten iranischer Staatsbürger eingefroren. Berücksichtigt man, daß in Kanada fast eine halbe Million Iraner leben und Teheran deswegen in Toronto ein Konsulat eröffnen wollte, ist die jüngste Verschärfung der Maßnahmen eine klare Absage an jede Verständigung und Lösung des Konflikts. Die kanadische Regierung übernimmt den Part, weiter vorzupreschen als der Rest des Rudels und mit dem Terrorvorwurf den Angriffskrieg unmittelbar auf die Tagesordnung zu setzen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu lobte die Maßnahme Ottawas als "mutig", und ein Sprecher des US-Außenministeriums bestätigte, daß Washington im Vorfeld über die Entscheidung informiert worden sei. "Wir wollen, dass sich uns jedes Land dabei anschließt, den Iran zu isolieren", sagte er. "Es gibt verschiedene Arten, dies zu tun." Im Kielwasser dieses offenen Aufrufs zur Eskalation des Konflikts bereitet die Europäische Union eine neue Runde von Sanktionen vor. Wie Guido Westerwelle bei einem Treffen der EU-Außenminister auf Zypern erklärte, sei er "in großer Sorge über die mangelnden Fortschritte in den Nuklearverhandlungen". "Das bedeutet, dass wir gegebenenfalls in Bälde eine weitere Sanktionsrunde gegen den Iran einleiten und beschließen müssen." Die EU hat bereits weitreichende wirtschaftliche Sanktionen verhängt, seit Anfang Juli ist ein Öl-Embargo gegen Teheran in Kraft. [2]

Auf eine schnellere Gangart und eine stärkere Beteiligung der USA am Umsturz in Syrien drängen die drei einflußreichen Senatoren Joe Liebermann, John McCain und Lindsey Graham. Sie fordern die Regierung in Washington auf, die syrischen Rebellen mit Waffen zu unterstützen und eine Sicherheitszone zu schaffen, innerhalb derer eine Übergangsregierung die Arbeit aufnehmen könne. Dabei warnten die Senatoren insbesondere davor, daß Islamisten zunehmend an Einfluß in dem Konflikt gewönnen, sofern der Westen sich weiter zurückhalte. [3]

Unbegründet ist diese Sorge nicht, betreibt man doch den Regimewechsel unter Rückgriff auf Gruppierungen, die man anderswo als "terroristisch" brandmarkt, in Syrien jedoch zu Freiheitskämpfern erklärt. Das unterstreicht nicht nur den Willkürcharakter des Terrorbegriffs, dessen Wesensgehalt die bedarfsgerechte Prägung entmenschlichter Feindbilder ist. Diese Vorgehensweise zeugt zugleich von der Bereitschaft, zur Verschleierung eigener Interventionen Stellvertreterkriege auch auf die Gefahr hin zu munitionieren, daß deren erstarkende Akteure künftig auf eigene Faust operieren und Flächenbrände entfachen.

Daß solche Strategien, andere die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen und dies zu einer demokratischen Erhebung der syrischen Bevölkerung gegen die Regierung in Damaskus zu erklären, aus Sicht der Drahtzieher ihre Tücken haben, beunruhigt auch die europäischen Führungsmächte. Die Außenminister Laurent Fabius aus Frankreich und Giulio Terzi aus Italien fordern in einem Brief an die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton eine "substanzielle Diskussion über die Rolle und das Handeln der EU in Syrien", um sicherzustellen, "dass alle Mitglieder an einem Strang ziehen". Man müsse die syrische Opposition ermutigen, "geeinter aufzutreten und unterschiedliche politische Richtungen einzuschließen". Falls man in Syrien versage, sei die Sicherheit Europas "ernsthaft gefährdet". "Wir alle wissen, dass die Frage, wie die Regierung nach Assad aussehen wird, Bedeutung für die Stabilität des gesamten Nahen Ostens haben wird."

Unter den Folgen, die Europa im Falle eines diesbezüglichen Scheiterns drohten, werden "Terrorismus, die Verbreitung von Waffen, illegale Einwanderung und gefährdete Energiesicherheit", vor allem aber wachsende Flüchtlingszahlen genannt. Verdeckte und offene Angriffskriege im Nahen und Mittleren Osten zu führen, sich jedoch die kaum einzuhegenden Konsequenzen vom Leib zu halten, lassen sich die europäischen Kriegstreiber etwas kosten. Die EU-Kommission will ihre finanzielle Hilfe für die Opfer der blutigen Kämpfe in Syrien um 50 Millionen Euro auf 119 Millionen Euro aufstocken, während das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) seine Hilfsgelder für Vertriebene innerhalb des Landes selbst auf etwa 33 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Seit Beginn des Aufstands im März vergangenen Jahres wurden laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bereits mehr als 26.000 Menschen getötet. UN-Angaben zufolge sind im Lande selbst weit über eine Million Menschen auf der Flucht, mehr als 246.000 Syrer vor den anhaltenden Kämpfen zwischen Aufständischen und den Truppen von Präsident Baschar al-Assad aus ihrer Heimat nach Jordanien, in den Libanon, den Irak und in die Türkei geflohen. Die humanitäre Lage in Syrien verschlechtere sich fast täglich, warnt EU-Nothilfekommissarin Kristalina Georgieva in Brüssel.

Der türkische Botschafter in Deutschland Hüseyin Avni Karslioglu weist darauf hin, daß sein Land in den eingerichteten Aufnahmelagern über 80.000 syrische Flüchtlinge beherberge und Hilfen im Wert von 300 Millionen Euro mobilisiert habe, mehr als alle EU-Staaten zusammen. Benötigt werde jedoch nicht nur Geld: "Deutschland und die anderen europäischen Länder müssen sich auch stärker für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge öffnen." In Syrien gehe es nicht nur um Christen, sondern um Menschen in Bedrängnis, denen dringend geholfen werden müsse, egal welcher Religion sie angehören. Demgegenüber hatte die Bundesregierung bislang der Aufnahme syrischer Flüchtlinge eine Absage erteilt. Zwar schloß Außenminister Westerwelle vor kurzem nicht mehr aus, daß Deutschland künftig Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen könnte, doch wiederholte er erneut, daß die Hilfe vor Ort Priorität habe.

Während die EU weiter versucht, die von ihr sehenden Auges mitgeschaffene humanitäre Katastrophe unter Geldzahlungen in Lagern der Nachbarländer Syriens einzupferchen, drängt sie zugleich auf eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, in der die Hauptverantwortung für die Gewalt in Syrien der Regierung Staatspräsident Baschar al-Assads zugewiesen wird. Dem widersetzen sich China und Rußland, wobei der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einem Sondertreffen mit Hillary Clinton die geplante Bildung einer Übergangsregierung durch die Opposition als "konfrontativen Schritt" scharf kritisiert hat. Er warf dem Westen erneut vor, die Rebellen aufzuhetzen, und verurteilte die US-Sanktionen gegen Syrien und den Iran. Diese Strafmaßnahmen schädigten zunehmend auch russische Unternehmen und Banken, deutete Lawrow an, daß ihm die langfristige Stoßrichtung der Angriffe auf Syrien und den Iran nur allzu bewußt ist.

Fußnoten:

[1] http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/3112162/fuer-kanada-sind-iran-syrien-jetzt-terrorunterstuetzer.story

[2] http://derstandard.at/1345166460633/Paris-und-Rom-fordern-EU-Sondersitzung-zu-Syrien

[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-us-senatoren-fordern-waffen-fuer-rebellen-a-854648.html

8. September 2012