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KRIEG/1590: Frankreichs neuer Kolonialkrieg nicht ohne Deutschland (SB)




Die von einer anwachsenden Zahl deutscher Politiker und sogenannter Sicherheitsexperten vertretene Ansicht, man müsse verhindern, daß Mali zu einem Rückzugsraum für Terroristen wird, bedient sich des größten gemeinsamen Nenners, mit dem sich der Kriegseintritt der Bundesrepublik vorbereiten läßt. Diesen von einer sogenannten Hilfsmission in einen offenen Kampfeinsatz münden zu lassen ist erforderlich, um den deutschen Hegemonialanspruch in der EU auch auf militärischem Gebiet zu befestigen. Dort versucht Frankreich mit den Mitteln neokolonialer Expansion zu kompensieren, was seinem Anspruch, bei der Führung der EU als primus inter pares anerkannt zu werden, auf ökonomischem Feld zusehends entgleitet. Die erheblichen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in West- und Nordafrika sind ein Grund für die militärische Intervention in einen Konflikt, dessen außerafrikanische Wurzeln in der künstlichen Grenzziehung durch die Kolonialmächte in der Region wie in der Destabilisierung Libyens durch die NATO liegen. Der Kampf um die innereuropäische Hegemonie ist der andere, weit weniger thematisierte Grund für das aggressive Auftreten eines Landes, dessen Streitkräfte in den imperialistischen Kriegen der letzten 20 Jahre meist eine eher nachgeordnete, hinter den USA und Britannien rangierende Rolle gespielt haben.

Was Frankreich und Britannien mit den Luftangriffen auf Libyen vorexerzierten, erweist sich nun als Einstiegspunkt in einen möglicherweise langfristigen Krieg, der die gesamte Region Nord- und Westafrikas in Mitleidenschaft ziehen könnte. Besonnenere Kräfte des außenpolitischen Establishments der Bundesrepublik wie der SWP-Experte Guido Steinberg [1] merken bereits an, daß das in den Massenmedien kolportierte Bild, dieser Konflikt werde maßgeblich von terroristischen Islamisten initiiert, möglicherweise nicht ganz der Realität entspricht. Der sehr viel ältere Kolonialkonflikt mit den Tuareg hat durch deren Vertreibung aus Libyen, wo sie als Verbündete des gestürzten Machthabers Gaddafi verfolgt wurden, neue Brisanz erhalten. Wenn heute historisch mit den arabischen Eroberern in Konflikt stehende Berber gemeinsam mit arabischen Islamisten kämpfen, die wiederum von salafistischen Geldgebern in Katar und Saudi-Arabien finanziert werden, deren Rolle in Syrien eine ganz andere zu sein scheint als im Maghreb, dann ist das nur ein Beispiel für die Komplexität der Gewaltverhältnisse in der Sahelzone.

Die französischen Eliten sehen die eigene Vormachtstellung in dieser geopolitisch aufgrund ihrer Uran-, Gas- und Ölvorkommen immer wichtiger werdenden Region durch die USA und China bedroht, während ihre Handlungsfreiheit innerhalb der EU durch die Bundesrepublik eingeschränkt wird. So hat sich das EU-Projekt Union für das Mittelmeer, das Frankreich als Sprungbrett für seine geostrategischen Pläne in Afrika dienen sollte, nicht zuletzt aufgrund des Einwirkens von Bundeskanzlerin Merkel weitgehend zerschlagen. Noch 2007 hatte der ehemalige Präsident Sarkozy in der Vision geschwelgt, daß Europa über das Mittelmeer "seiner Stimme wieder Gehör verschaffen", daß es gemeinsam mit Afrika "das Schicksal der Welt und den Kurs der Globalisierung bestimmen" werde, ja daß in diesem Prozeß ein "Eurafrika" entstehe, das die Welt verändern werde.

Heute ist der Ton weniger euphemistisch, sondern dem Krisenmodus gemäß von angeblichen Sachzwängen bestimmt. Das Vorhaben, den Terrorismus zu bekämpfen, paßt immer, ob die angeblichen Terroristen nun islamistische Fundamentalisten, radikalökologische Aktivisten oder verzweifelte Opfer kolonialistischer Politik sind. Was gerade das Beispiel der Tuareg, die sich lange dagegen gewehrt haben, sich von weißen Kolonialherren Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit aufherrschen zu lassen, deutlich macht, ist das von vornherein entgrenzte Dispositiv dieses Krieges. Er nahm seinen Ausgangspunkt in Libyen, dessen Regierung nicht nur gute Beziehungen zu den Tuareg unterhielt, sondern auch den wirtschaftlichen Aufschwung in Mali mit libyschen Investitionen förderte, und greift nun über den vermeintlichen Brandherd im Norden Malis auf Algerien und womöglich andere Anrainerstaaten über.

Die umfassende Verschärfung virulenter Konflikte durch die französische Militärintervention ist denn auch alles andere als der Befriedung und Demokratisierung gewidmet, wie in Anbetracht jener Regionen zwischen Algerien und seinen Nachbarn behauptet wird, in denen kaum noch konventionelle Staatlichkeit gegeben ist. Frankreich und seine Verbündeten verfahren ganz wie die USA im Irak nach dem neoliberalen Prinzip der "kreativen Zerstörung", um eine schlußendlich den eigenen Nutzungs- und Hegemonialinteressen widerstandslos ausgelieferte Großregion zu kontrollieren. Das schnelle, von islamistischen Gruppen geradezu systematisch vorbereitete Übergreifen des Krieges auf Algerien gibt zudem zu der Mutmaßung Anlaß, daß der größte strategische Preis in diesem Krieg der europäische Zugriff auf dieses bislang von einst antikolonialistischen Militärs beherrschte Land sein könnte.

Daß dessen autokratische Regierung mitverantwortlich für den blutigen Bürgerkrieg in den 90er Jahren war, indem sie den Wahlsieg der islamistischen Opposition durch Notstandsmaßnahmen verhinderte, und darin von Frankreich unterstützt wurde, ist keineswegs eine Garantie dafür, daß sie nicht selbst nach dem Vorbild Libyens und Syriens an den Pranger einer angeblichen Internationalen Gemeinschaft gestellt werden wird. Die harsche Reaktion der algerischen Machthaber, die sich lange einem französischen Eingreifen in Mali widersetzt haben, auf die Geiselnahme in dem nahe der libyschen Grenze gelegenen Erdgasförderbetrieb spricht dafür, daß man in Algier begründete Sorge darum hat, in seiner souveränen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Die Geiselnehmer stammten aus Libyen, wo die Zusammenarbeit zwischen NATO-Geheimdiensten und Rebellen zum Sturz der Regierung Gaddafi führte. Spekulationen darüber, daß die algerische Regierung unter Mitwirkung westlicher Geheimdienste unter Druck gebracht werden könnte, liegen da nahe.

Auch weil dem Sieger in dem vom EU-Mitglied Frankreich angestoßenen Krieg der Preis einer erweiterten Einflußnahme auf den größten, mit erheblichen Energieressourcen versehenen Flächenstaats Afrikas winkt, geht man mit großem Tempo daran, unumkehrbare Tatsachen für die deutsche Kriegsbeteiligung zu schaffen. Dieser Krieg weist alle Chancen darauf auf, daß er zu einem langwierigen Flächenbrand entufert. Daran dürften die NATO-Staaten allen gegenteiligen Behauptungen zuwider durchaus Interesse haben. So verlangen die Machtverhältnisse in der Region seit dem arabischen Frühling nach einer Konsolidierung, die allein durch Wahlen zu erreichen womöglich Ergebnisse zeitigte, die sich nicht mit dem Hegemonialanspruch der NATO-Staaten decken. Die in Frankreich bereits getroffenen Maßnahmen zur Terrorismusabwehr lassen sich hervorragend als Vorwand für die verstärkte Unterdrückung des sozialen Widerstands und zur Etablierung eines dauerhaften Notstandsregimes in der EU nutzen. Aus ihrem Engagement als Kriegsakteur könnte die durch die Krise der gemeinsamen Währung angeschlagene EU zudem neue Legitimation erwirtschaften. Wer jetzt nicht dabei ist, den straft, wie der lautstark an das angebliche außenpolitische Debakel der Bundesregierung im Libyenkrieg erinnernde Chor vom Geruch frischen Blutes erregter Großmachtstrategen nicht müde wird zu mahnen, die Geschichte selbst.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1983601/

20. Januar 2013