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KRIEG/1605: Mythos USA droht zu platzen - Obama will heiße Luft ablassen (SB)




Die Eliten der Vereinigten Staaten gebieten über Mentalität und Mittel, wie selbstverständlich ihre Interessen über die der restlichen Welt zu stellen. Um deren Gemengelage aus Bewunderung, Gleichgültigkeit und Haß ob dieser Suprematie halbwegs auszusteuern, bedarf es eines gewissen Pendelschlags im Weißen Haus. So folgte auf den Holzhammer namens George W. Bush ein Schönredner in Gestalt Barack Obamas, der mit schwindender Überzeugungskraft die unbegründete Hoffnung beschwört, Scherbenhaufen seien nicht das Ziel, sondern lediglich Kollateralschäden einer von den USA dominierten Epoche. Die Konsolidierung und Fortschreibung dieses waffengestützten Vormachtsanspruchs, auf den der einzige Entwurf hinausläuft, den diese Nation zu bieten hat, erfolgt zwangsläufig in Windungen und Wendungen, wie sie innovative Prozesse der Herrschaftssicherung nun einmal erfordern. Von einer Kehrtwende kann indessen keine Rede sein.

Barack Obamas Rede an der National Defense University in Washington DC war weder eine Abkehr von der Kriegspolitik, noch das Eingeständnis begangener Untaten, die nie wieder geschehen dürften. Es handelte sich vielmehr um eine Kampagne zur Normalisierung und Legalisierung eben jener Machtmittel, die längst für unverzichtbar erklärt worden sind, will man die konsumtiven und hegemonialen Standards der USA unablässig befeuern. Der vom US-Präsidenten halluzinierte Scheideweg proklamiert denn auch nichts anderes als eine reibungsärmere Prolongation US-amerikanischer Legitimität in den Augen der Weltbevölkerung:

Vom Einsatz von Drohnen bis hin zur Verhaftung von Terrorverdächtigen, definieren unsere Entscheidungen, welche Nation und welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen. Amerika steht also am Scheideweg. Wir müssen den Charakter und das Ausmaß dieses Kampfes definieren, oder er wird uns definieren. Wir müssen uns an die Warnung von James Madison erinnern, dass keine Nation ihre Freiheit bei andauernder Kriegsführung bewahren kann. [1]

Wie das Ausmaß des Kampfes zu definieren, das heißt, aus Sicht der USA auf andere umzulasten sei, hat bereits die im November 2010 in Lissabon festgeschriebene neue NATO-Doktrin umrissen: Stärkere Beteiligung der Bündnispartner, Verpflichtung der Europäischen und Afrikanischen Union, Instrumentalisierung der UNO und anderer überstaatlichen Organisationen, Einbindung der NGOs und weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure weltweit.

Obama sagte nicht, daß der Einsatz von Drohnen über amerikanischem Boden zur Ermordung amerikanischer Bürger verfassungswidrig sei, sondern nur, daß der Präsident sie seiner Meinung nach nicht verwenden sollte. Anfang des Jahres hatte bereits Justizminister Holder erklärt, daß Militäreinsätze zur Tötung amerikanischer Staatsbürger innerhalb der USA nicht rechtswidrig seien. Was solche außergerichtlichen Exekutionen im Ausland betrifft, erklärte Obama nun:

Aber wenn ein amerikanischer Staatsbürger ins Ausland geht, um Krieg gegen Amerika zu führen, und aktiv daran arbeitet, amerikanische Staatsbürger zu töten, und wenn weder die USA noch unsere Verbündeten in der Lage sind, ihn festzunehmen, bevor er diese Pläne umsetzt, sollte seine Staatsbürgerschaft ihn genauso wenig schützen wie sie einen Heckenschützen vor der Polizei schützt, wenn er in eine unschuldige Menschenmenge schießt. Anwar al-Awlaki war eine solche Person.

Dann führte der US-Präsident ein ganze Liste von Anschuldigungen gegen Awlaki aus, die eines gemeinsam haben: Sie sind nicht bewiesen. Die US-Verfassung schreibt eindeutig vor, daß illegale Aktivitäten vor einem Gericht bewiesen werden müssen. Indessen hat bislang kein Gericht die Vorwürfe gegen Awlaki bestätigt, womit seine Ermordung verfassungswidrig ist. Um solche Schleichwege an der Verfassung vorbei zu Schnellstraßen auszubauen, schlug Obama vor, ein Verfahren zu etablieren, das die Entscheidungen des Präsidenten kontrolliert und das bereits Geschehene nachträglich legalisiert. Ob man das "Sondergericht" nennt, das "tödliche Aktionen bewertet und autorisiert", oder als "unabhängiges Aufsichtsgremium für die Exekutive" bezeichnet, es bliebe in jedem Fall eine außerparlamentarische und bei der Exekutive angesiedelte Institution, die das Regierungshandeln durchwinken soll.

Obamas erstmaliges Eingeständnis, daß er Awlakis Ermordung angeordnet hatte, ist Teil des Versuchs, das Mordprogramm "an die Öffentlichkeit" zu bringen, um es zu institutionalisieren und in ein dauerhaftes politisches Werkzeug zu verwandeln. Wie um der Gefahr vorzubeugen, eines Tages allein zur Rechenschaft gezogen zu werden, erinnerte Obama daran, daß seine Regierung die entsprechenden Ausschüsse des Kongresses über alle Militäraktionen außerhalb des Iraks und Afghanistans informiert habe. Mithin sei der Kongreß über jede solche Aktion unterrichtet gewesen, so auch über die Tötung Anwar al-Awlakis und dreier weiterer US-Bürger.

Unmittelbar nach dem 11. September 2001 hatte die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte Artikel fünf zur Anwendung gebracht und dabei Gegnern pauschal den Krieg erklärt, deren Identität nie eingegrenzt, geschweige denn eindeutig geklärt wurde. Der UNO-Sicherheitsrat bestätigte damals das Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51. Jetzt, zwölf Jahre später, ist Obama keineswegs gewillt, diesen Blankoscheck entufernder Kriegsführung aus der Hand zu geben. Wie der Präsident betonte, sei das Handeln der USA rechtmäßig, weil sie am 11. September 2001 angegriffen worden seien. Innerhalb einer Woche habe der Kongreß damals mit überwältigender Mehrheit die Anwendung von Gewalt beschlossen. Nach nationalem und internationalem Recht befänden sich die USA im Krieg mit Al Qaida, den Taliban und ihren Verbündeten.

Die Obama-Regierung hat den Drohnenkrieg forciert, wobei die Haupteinsatzgebiete Pakistan, Jemen und Somalia sind. Allein in Pakistan wurden seit 2003 nach Angaben der Organisation New America Foundation mehr als 3300 Menschen auf diese Weise getötet. Die Drohneneinsätze wurden in jüngerer Zeit reduziert, und Obama erklärte in seiner Rede, sie sollen fortan nur erlaubt sein, wenn der Verdächtige nicht verhaftet werden könne und von ihm eine unmittelbare Gefahr ausgehe. Zudem müsse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein, daß Zivilisten verletzt oder getötet werden könnten. Da die ferngesteuerte Exekution jedoch per se ein Willkürakt fern jeder wie auch immer gearteter Kontrolle bleibt und mit den Tötungen der Zielpersonen bekanntermaßen ein wesentlich höherer Blutzoll unter Unbeteiligten einhergeht, läuft die Aussage Obamas auf eine fugenlose Legitimierung des Drohnenkriegs hinaus, den er denn auch als grundsätzlich "effektiv und legal" bezeichnete.

Bereits an seinem zweiten Tag im Amt, im Januar 2009, hatte Obama die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo binnen eines Jahres versprochen. Nun wiederholte er seine Forderung, die Anlage zu schließen:

Die Geschichte wird ein hartes Urteil über diesen Aspekt unseres Kampfes gegen den Terrorismus fällen, und über diejenigen von uns, die ihn nicht beenden können. Stellen Sie sich eine Zukunft in zehn oder zwanzig Jahren vor, in der die Vereinigten Staaten immer noch Menschen, denen kein Verbrechen zur Last gelegt wird, auf einem Stück Land gefangen halten, das nicht zu unserem Staat gehört... Sind das wir?... Ist das das Amerika, das wir unseren Kindern hinterlassen wollen? [2]

Wie der US-Präsident erklärte, gebe es in Anbetracht der rastlosen Jagd seiner Regierung nach den Al-Qaida-Führern von der Politik des Kongresses abgesehen keine Rechtfertigung, "die uns davon abhalten darf, eine Einrichtung zu schließen, die nie hätte eröffnet werden sollen". Wenngleich es zutrifft, daß die Republikaner den taktischen Winkelzug verhindert haben, mit Guantánamo eines der sichtbarsten und mithin am heftigsten kritisierten Instrumente US-amerikanischer Willkür aus dem Blickfeld zu schaffen, springt Obama doch keineswegs in die Bresche, um den endgültigen Bruch mit der bürgerlichen Demokratie abzuwenden. Legitimität, die sich aus der Fähigkeit speist, sie gewaltsam durchzusetzen, kommt nie ohne die Akzeptanz der herrschenden Verhältnisse aus. Grassierende Verelendung im eigenen Land und unablässige Kriegsführung in anderen Weltregionen haben den aufgeblasenen Mythos USA militärisch, ökonomisch, politisch und ideologisch an den Rand des Platzens gebracht. Barack Obama will heiße Luft ablassen, um die Fortexistenz der Blase zu sichern.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/05/25/dron-m25.html

[2] http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article116504117/Ausstieg-aus-dem-endlosen-Krieg.html

26. Mai 2013