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KRIEG/1655: Schwarze Staatspädagogik (SB)



Ganz so hintergrundslos, wie einige Oppositionspolitiker meinen, ist die "Panikmache" der Bundesregierung nicht, wenn sie die Bevölkerung zur Einlagerung von Lebensmitteln für Katastrophensituationen und Notstandszenarios auffordert. Die Einbeziehung der Bundesbürger in ihre geostrategischen Ambitionen, die im aktuellen Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands in hinlänglicher Deutlichkeit ausgeführt sind, gelingt am besten, wenn der Mensch ganz persönlich mit den möglichen Problemen des Ernstfalls in Berührung kommt. Auch nur mit der theoretischen Möglichkeit einer Unterbrechung der permanenten Verfügbarkeit fast aller Konsumgüter konfrontiert zu sein führt automatisch zu einer höheren Wertschätzung der Rundumversorgung mit allen essentiellen Lebensmitteln.

Die Angreifbarkeit der zivilen Infrastruktur bekannt zu machen ist nicht nur für den Ausnahmezustand von Belang, sondern stärkt die mehrheitliche Zustimmung zu den herrschenden gesellschaftlichen und politische Verhältnissen. Was der Blick in die Elends- und Armutsregionen der Welt seit jeher für die Befriedung sozialer Widersprüche hierzulande leistet, wird durch die Erinnerung daran, daß die Sicherung der Versorgung mit Energie und Nahrungsmitteln nicht umsonst zu haben ist, in neue Dimensionen staatsbürgerlicher Affirmation getrieben. Dabei geht es nicht nur, wie propagiert, darum, durch präventive Maßnahmen quasi schicksalhaft über das Land hereinbrechenden zivilen und militärischen Katastrophen vorzubeugen, um folgenschwere Kontrollverluste zu vermeiden. Souveränes Regierungshandeln beweist sich dem Schmittschen Diktum gemäß darin, über den Ausnahmezustand zu verfügen. Das betrifft weniger die prognostische Sicherheit, mit der sich Stör- und Schadensfälle vorhersagen lassen, als vielmehr das Kalkül, mit dem die absehbaren Folgen eigener geostrategischer Aktivitäten antizipiert und in Gebrauch genommen werden.

So ist die Unübersichtlichkeit einer angeblich "hybriden" Kriegführung, wie im aktuellen "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr" [1] erklärt, kein ausschließlich passiv erlittenes Kriterium der Bedrohung Deutschlands durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Auch staatliche und privatwirtschaftliche Agenturen in der Bundesrepublik wissen "Informationsoperationen (zum Beispiel Propaganda), wirtschaftlichen und finanziellen Druck sowie Versuche zur politischen Destabilisierung" einzusetzen, wie der Konflikt um die Ukraine oder die Inszenierung "bunter" Revolutionen in den Transformationsstaaten Osteuropas zeigt. Auch eine Bundesregierung "verwischt die Grenze zwischen Krieg und Frieden und kann gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen", wie etwa die Beteiligung der Bundeswehr am Überfall der NATO auf Jugoslawien belegt. Zudem haben diverse NATO-Staaten und außenpolitische Partner Deutschlands bei militärischen Interventionen und Aggressionen - exemplarisch die Eroberung des Iraks 2003 - "die Rolle als Angreifer und Konfliktpartei gezielt verschleiert" mit der Absicht, "die sofortige und entschlossene Reaktion des angegriffenen Staates" zu unterminieren.

Die Militarisierung des Zivil- und Katastrophenschutzes findet denn auch nicht erst mit dem aktuell im Kabinett verabschiedeten Zivilschutzkonzept statt. So steht ein weithin auslegbarer Begriff von "Katastrophe" im Mittelpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 2012, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern auch unterhalb des Inkrafttretens der Notstandsverfassung als verfassungskonform zu erachten. Das Konzept der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), der Aufbau Regionaler Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) durch Reservisten der Bundeswehr und andere Formen des sogenannten Heimatschutzes sind ebenso integraler Bestandteil des Aufbaus "staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Resilienz" [1] wie das aktuell diskutierte Zivilschutzkonzept. Resilienz wiederum hält sich nicht mit demokratischen und emanzipatorischen Möglichkeiten auf, der Entstehung von Konflikten durch die Schaffung sozialer Gerechtigkeit vorzugreifen, sondern setzt den Ausnahmezustand als konstitutives Element der Schadensbegrenzung und des Krisenmanagements voraus [2].

Die Aufkündigung des Rundum-Sorglos-Paketes zivilgesellschaftlichen Friedens durch Bedrohungsszenarios, die den Komfort umfassender Versorgung, Mobilität und Kommunikation mit dem Preisschild versehen, dieses Privileg nicht nur militärisch durchsetzen, sondern auch einen individuellen Beitrag zu seiner Verteidigung leisten zu müssen, könnte denn auch als Lehrbeispiel für schwarze Staatspädagogik verstanden werden. Um Widerstand gegen die Kontrollgewalt kapitalistischer Vergesellschaftung zu unterbinden, scheint die virulente Angst vor sozialem Absturz und privatem Scheitern nicht mehr zu genügen. Die krisenhafte Entwicklung verlangt nach stärkeren Mitteln der Einbindung und Ausgrenzung. Die Rückkehr zum Selbstverständnis der Nation als Not- und Schicksalsgemeinschaft und eine für Vorkriegszeiten signifikante Freund-Feind-Differenzierung sind Beispiele für ideologische Rezepturen, die allemal Anlaß geben, sie als Signale einer Bedrohung eigener Art ernst zu nehmen.


Fußnoten:

[1] https://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NzE3MzM0Nzc2YzYyMzcyMDIwMjAyMDIw/Weissbuch2016_barrierefrei.pdf

[2] Resilienz - Chiffre sozialer Kapitulation
http://www.schattenblick.de/infopool/sozial/report/sorb0031.html

24. August 2016


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