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KRIEG/1670: Je schwerer die Zeiten, desto deutscher die Führung (SB)



Je schwerer die Zeiten, desto deutscher die Führung. Diese ideologische Leitlinie, seit langem von den Denkfabriken hiesiger Eliten geschmiedet, beherrscht den aktuellen politischen Diskurs und findet ihren Niederschlag im soeben verabschiedeten Bundeshaushalt 2017. Vor drei Jahren hatten Bundesregierung und Bundespräsident das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet, nun steht eine massive Aufrüstung nach innen und außen im Zentrum der Haushaltsplanung. Wie die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung ankündigte, nähere man sich dem an, was man als Beitrag zur NATO versprochen habe. Gemeint sind damit jene zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, auf die sich die Mitglieder des nordatlantischen Militärbündnisses geeinigt hatten. Um diese Vorgabe zu erfüllen, müßte Deutschland 23 Milliarden Euro mehr für seine Rüstung ausgeben, wofür nun mit einer Erhöhung um fast 2,5 Milliarden ein Anfang gemacht wurde.

Merkel stellte explizit eine größere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik in Aussicht und erklärte, die Bundesrepublik könne "selbstverständlich nicht alle Probleme lösen". Es stehe jedoch die Frage im Raum, ob wir dazu bereit sind, "mit unserer Erfahrungsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft, einer gesellschaftlichen Ordnung, von der ich nach wie vor glaube, dass sie ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Stärke und sozialer Gerechtigkeit mit sich bringt, in diesem Sinne für eine Schärfung, für eine Gestaltung der Globalisierung einzutreten. Oder sind wir dazu nicht bereit und ziehen uns auf uns selbst zurück?" [1]

Dank sprudelnder Steuereinnahmen und Niedrigzinsen sollen die Mehrausgaben ohne neue Schulden finanziert werden, der Finanzminister peilt das vierte Jahr in Folge die "Schwarze Null" an. Das wird sich künftig ändern, denn wie Schäuble warnt, würden die Ausgaben größer und die Spielräume kleiner. [2] Daß diese Prognose nicht der notorischen Schwarzmalerei des Zuchtmeisters staatlicher Sparpolitik entspringt, zeigt die enorme Kluft zwischen den aktuellen Militärausgaben und der angestrebten Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels, für das die Bundesbürgerinnen und -bürger den Gürtel noch enger schnallen müssen.

Daß Kriege nach außen nicht ohne Kriege nach innen zu führen sind, weiß niemand besser als eine deutsche Regierung, die nun den dritten Anlauf nimmt, die Vorherrschaft in Europa durchzusetzen und die Frage des Lebensraums mit einem zeitgenössischen Vokabular und modernsten Mitteln neu zu stellen. Folgerichtig werden neben dem aufgestockten Verteidigungshaushalt auch die Gelder für militärische Beschaffungen, für das Auswärtige Amt und nicht zuletzt das Bundesinnenministerium erhöht. Damit sollen in den kommenden Jahren unter anderem Tausende neue Stellen bei Bundespolizei und Bundeskriminalamt geschaffen, zudem die Geheimdienste finanziell gestärkt werden. Dazu merkte die Kanzlerin an, sie sei "sehr froh, dass im Bereich der inneren Sicherheit erhebliche Anstrengungen gemacht wurden". Die Regierung ist sich durchaus bewußt, daß erhebliche Teile der Bevölkerung trotz jahrelanger ideologischer Kampagnen, Bundeswehreinsätze in aller Welt und Propaganda für die Truppe die beiden Weltkriege nicht aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht haben und die Ablehnung von Militarismus und Krieg, zumal im Kontext sozialer Auseinandersetzungen angesichts wachsender Ausbeutung und Verarmung jederzeit in Gestalt politischer Opposition hervorbrechen kann.

Der offizielle "Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020" nimmt ausdrücklich auf "die im Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr identifizierten sicherheitspolitischen Werte, Interessen und Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland" bezug, die "den strategischen Rahmen für Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr als Instrument deutscher Sicherheitspolitik" bilden. Deutschland müsse "einen aktiven Beitrag zu politischen Konfliktlösungen" leisten, "der dem politischen Gestaltungsanspruch und dem Gewicht Deutschlands in der Welt angemessen ist". Um diesen Ambitionen deutscher Führung zur Durchsetzung zu verhelfen, wird die Nutzung militärischer Instrumente explizit in die Handlungsoptionen eingeschlossen.

Wenn überdies von "Stabilisierungsoperationen bis hin zu hochintensiven Kampfeinsätzen" die Rede ist, unterstreicht dies, daß die Bundeswehr befähigt werden soll, militärische Interventionen nach dem Muster der USA durchzuführen. Das entspricht dem im wegweisenden Strategiepapier "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) und im "Weißbuch" (2016) formulierten geostragischen Entwurf, Zug um Zug militärische Aufgaben in Afrika wie auch im Nahen und mittleren Osten zu übernehmen, die infolge des tendenziellen Abzugs der US-Streitkräfte in Richtung des pazifischen Raums eine Ablösung erforderlich machen.

Diese von langer Hand geplante deutsche Hegemonie weit über Europa hinaus bedurfte keineswegs der Präsidentschaftswahlen in den USA, dessen Ausgang ihre Protagonisten jedoch in Verfolgung ihrer Interessen ausschlachten. So nimmt unter vielen anderen auch Manfred Weber, der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, den Wahlausgang zum willkommenen Anlaß, konkrete Schritte hin zu einer Europäischen Verteidigungsunion anzumahnen. "Wir können uns nicht länger an der Schulter Amerikas ausruhen", erklärte er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [3]. Die EU müsse nach der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten mehr Selbstverantwortung übernehmen und in der Frage der Selbstverteidigung "erwachsen werden". Weber nennt zum einen den Einsatz von Drohnen als Schlüsseltechnologie: "Wer die beherrscht, wird morgen militärische Konflikte auch bewältigen können." Zum anderen würden die künftigen Kriege auch im Internet als Cyberwars geführt, worauf man sich europaweit vorbereiten müsse.

Wie die Geschichte der europäischen Einigung lehre, sei bei großen Schritten stets Führung gefragt, für die Staatsmänner wie Kohl und Mitterrand gestanden hätten, die "einfach voran marschiert sind und große Entscheidungen gefällt haben". Deshalb würde er dafür werben, daß nach den französischen Präsidentschaftswahlen und der deutschen Bundestagswahl 2017 Grundsatzfragen in Angriff genommen werden, um die derzeitige "Führungslosigkeit des Kontinents" zu beenden. Er glaube daran, daß die Menschen in Europa bereit seien, Führung zu akzeptieren. Daß Weber von deutscher Vorherrschaft spricht, verdeutlicht seine Warnung, daß den Deutschen die politische Stabilität und der wirtschaftliche Wohlstand "in den nächsten Monaten und Jahren wie Sand auf den Fingern wegrutschen" könnten. Als Exportweltmeister sei Deutschland dringend darauf angewiesen, daß andere Länder seine Produkte abnehmen. Jede Form von Protektionismus, wie sie etwa der Front National in Frankreich propagiere, bedrohe daher auch deutsche Interessen.

Ins gleiche Horn stößt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion vorantreiben möchte. [4] Musterbeispiele auf NATO-Ebene seien die Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Deutschland oder die sogenannten EU Battle Groups. Die EU habe bei den Sanktionen gegen Rußland, bei der Energieversorgungssicherheit, beim Grenzschutz und Kampf gegen den Terror in allen Schlüsselfragen zusammengehalten. Die Kernbotschaft müsse lauten: "Es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit in Europa geben." Für Kiesewetter schließt diese Forderung sogar die Notwendigkeit ein, eine europäische atomare Abschreckung zu organisieren. Verlangten die USA künftig eine höhere finanzielle Beteiligung der Europäer oder zögen sich gar aus Europa zurück, dürfe es keine Denkverbote geben, macht der Obmann für Außenpolitik der Unions-Fraktion deutlich, daß die Vorwärtsverteidigung deutscher Interessen keine Grenze mehr gelten läßt.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/11/26/bund-n26.html

[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/haushalt-2017-bundestag-billigt-ausgaben-von-330-milliarden-euro-a-1123109.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/europa-und-die-usa-wir-koennen-uns-nicht-laenger-an-der.868.de.html

[4] http://www.deutschlandfunk.de/eu-verteidigungspolitik-nach-der-us-wahl-wir-werden-mehr.694.de.html

26. November 2016


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