Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1672: Besuch bei den Saudis - Am deutschen Wesen genesen? (SB)



Am deutschen Wesen wird zwar auch der Nahe und Mittlere Osten nicht genesen, wohl aber nach dem Willen hiesiger Eliten die Bundesrepublik. Daß so etwas schiefgehen kann, haben zwei verlorene Weltkriege gezeigt, was die Berliner Führungsetage aber nicht daran hindert, in Verfolgung ihrer hegemonialen Ambitionen einen dritten zu riskieren. Einheimische Denkfabriken haben bereits zum Auftakt des neuen Jahrtausends unmißverständlich den anzulegenden Kurs vorformuliert. Grundlegende deutsche Interessen in dieser Region seien eine Stabilisierung der dortigen Staaten, um eine Gefährdung der Sicherheit in Europa zu verhindern, eine reibungslose Rohstoffversorgung und Exportmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft. Es gelte, "daher einen Beitrag zur Sicherung der Absatzmärkte zu leisten, einen möglichst ungehinderten Marktzugang zu gewährleisten und sich der Konkurrenz der USA, der osteuropäischen Staaten, aber auch der ostasiatischen Industrieländer zu stellen", heißt es in einem Strategiepapier der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung von 2001. [1]

Wer die Latte eigener Führerschaft so hoch hängt, darf in der Wahl seiner Mittel und Partner nicht wählerisch sein. Das gilt auch im Falle Saudi-Arabiens, das unbestritten auf der Rangliste übelster Regime einen der Spitzenplätze belegt. Da die Aufzählung sämtlicher Greuel und Grausamkeiten der saudischen Herrschaft zu Hause und in der Nachbarschaft abendfüllend wäre, seien an dieser Stelle nur einige besonders hervorstechende Merkmale genannt, die selbst bundesdeutschen Leitmedien sauer aufstoßen. Der Bombenkrieg im Jemen töte Zivilisten und zerstöre die Infrastruktur des ärmsten arabischen Landes, moniert die Süddeutsche Zeitung. Saudi-Arabien sei eine streng islamisch regierte Monarchie, in der ähnlich wie beim IS politische Gegner enthauptet und Frauen wegen Ehebruchs gesteinigt werden, gibt die ARD zu bedenken. Mehr als 150 Hinrichtungen allein im letzten Jahr, öffentliche Auspeitschungen, Frauenrechte und Meinungsfreiheit werden massiv eingeschränkt, wie die FAZ bilanziert.

Damit nicht genug, unterstützt Saudi-Arabien finanziell und politisch die Miliz Ahrar al-Scham, laut dem Generalbundesanwalt eine "ausländische terroristische Vereinigung" und "eine der größten und einflussreichsten salafistisch-jihadistischen Gruppierungen der syrischen Aufstandsbewegung". Sie verfolge das Ziel, "das Regime des syrischen Machthabers Assad zu stürzen und einen allein auf der Scharia gegründeten Gottesstaat zu errichten". Wie diese Widerspruchslage aus deutscher Sicht unter einen Hut zu bringen ist, erklärt uns Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen anläßlich ihres Besuchs in Riad: Saudi-Arabien sei ein Land, das "entschlossen den Terror bekämpft und sich auch darüber im klaren ist, dass es beim Kampf gegen den muslimisch-arabischen Terror in der Islamischen Welt eine herausgehobene Rolle hat". Weiter so, aber bitte nicht über die Stränge schlagen, reicht die Mutter der deutschen Truppe den Saudis ihren mit Baumwolle umwickelten Eisenarm.

Ein wenig heikel ist die Sache schon. Der weltweit größte Waffenimporteur nach Indien wollte Deutschland, der Nummer fünf unter seinen Lieferanten, jede Menge Kampfpanzer abkaufen. Daraus wird nichts, weil die Bundesregierung ihre eigene Bevölkerung für die Kriegführung noch braucht und daher nicht vorzeitig verprellen will. Zudem kann die Firma Heckler und Koch, die in Saudi-Arabien Gewehre in Lizenz fertigt, seit geraumer Zeit keine Bauteile mehr dorthin schicken, weil die Genehmigungen dafür verzögert werden. Ansonsten sieht der geheim tagende Bundessicherheitsrat aber kein Problem darin, Rüstungsgüter an ein Land zu liefern, das in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt ist, was die offiziellen Exportgrundsätze der Bundesrepublik eigentlich untersagen. Man behilft sich mit der absurden Ausflucht, es würden keine "Offensivwaffen" mehr an Saudi-Arabien verkauft. [2]

In den Jahren 2010 bis 2015 hat Deutschland laut Rüstungsexportbericht unter anderem Gewehre, Maschinenpistolen und Mörsermunition im Gesamtwert von 2,37 Milliarden Euro an Saudi-Arabien verkauft. Anfang dieses Jahres kam die Auslieferung des ersten von 48 bestellten Patrouillenbooten hinzu, im ersten Halbjahr 2016 Rüstungsexporte im Wert von knapp 484 Millionen Euro, darunter Hubschrauber und Teile für Kampfflugzeuge, da die saudische Luftwaffe Tornados und Eurofighter aus EU-Produktion nutzt, nicht zuletzt für die Angriffe im Jemen. Erst kürzlich genehmigte der Bundessicherheitsrat zudem den Export von 41.644 Artilleriezündern. [3] Überdies sollen künftig einzelne saudische Offiziersanwärter in Deutschland ausgebildet werden. Umgekehrt wünschen sich die Saudis einen deutschen Verbindungsoffizier für ihr neues Anti-Terror-Hauptquartier.

Waffengeschäfte waren jedoch gar kein Thema, zumal dafür nicht von der Leyen, sondern Sigmar Gabriel als Wirtschaftsministerin zuständig ist. Das Königshaus hatte die Verteidigungsministerin eingeladen, um ihr das wirtschaftliche Reformprogramm "Vision 2030" vorzustellen, mit dem sich Saudi-Arabien vor allem aus der Abhängigkeit von den Öleinnahmen lösen will. Das ist bitter nötig, steckt das Land doch in einer multiplen wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und sozialen Krise: Ölpreisverfall, steigende Arbeitslosigkeit, Widerstände gegen die repressive Staatlichkeit und der Rückzug der USA lauten einige Schlüsselbegriffe. Aus deutscher Sicht eine wunderbare Gelegenheit, in die Bresche zu springen, das Regime beim Machterhalt mittels Modernisierung zu unterstützen und darüber den Einfluß in dieser Weltregion zu beflügeln.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/09/saud-d09.html

[2] http://www.heute.de/von-der-leyen-in-saudi-arabien-zuhoeren-statt-kritisieren-46070708.html

[3] https://www.jungewelt.de/2016/12-09/001.php

9. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang