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KRIEG/1696: Eurosicherheit - im Westen nichts Neues ... (SB)



Im letzten Jahr ist die Welt zu nahe an einen großen zwischenstaatlichen Konflikt gerückt
Wolfgang Ischinger im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz [1]

"An den Abgrund - und zurück?" Das Motto der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz bringt eine Stimmung weltweit wachsender Ungewißheit zum Ausdruck, ob sich die Eskalation der Krisen zum großen Krieg noch aufhalten läßt. Was die Konfrontation der westlichen Mächte mit Rußland betrifft, zeichnet sich als Schlachtfeld Mitteleuropa ab, das unter Einsatz konventioneller Waffen verwüstet oder atomar entvölkert und auf lange Zeit unbewohnbar gemacht würde. Angesichts dieses apokalyptischen Szenarios muteten jegliche Anstrengungen unverzichtbar an, einer Deeskalation höchste Priorität einzuräumen und die gegenseitige Bedrohung zurückzufahren. Obgleich die Bundesregierung im Interesse der deutschen Bevölkerung an der Spitze aller Bemühungen um Abrüstung, vertrauensbildende Maßnahmen und belastbare Abkommen stehen müßte, scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Langgehegte hegemoniale Pläne, auch dem militärischen Führungsanspruch in Europa Geltung zu verschaffen, werden rigoros umgesetzt.

Der von der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz herausgegebene jährliche Munich Security Report gibt einen Überblick über die wichtigsten sicherheitspolitischen Themen und bietet Hintergrundsinformationen. Als Impulsgeber für die Konferenz dient er als Lektüre für die Teilnehmer, wird aber auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Diese Bestandsaufnahme liest sich düster: Anhaltende Erosion der sogenannten liberalen internationalen Ordnung, eine unberechenbare US-Außenpolitik, Gefahr einer nuklearen Konfrontation um Nordkorea, zunehmende Spannungen in aller Welt, Kriegsrhetorik und steigende Rüstungsausgaben. Im letzten Jahr sei die Welt viel zu nah an die Schwelle eines großen zwischenstaatlichen Konfliktes gerückt, und die internationale Gemeinschaft müsse alles tun, um sich von dieser Schwelle wegzubewegen. [2]

Unter diesen Umständen hört es sich fast schon plausibel an, wenn Wolfgang Ischinger als Vorsitzender der Sicherheitskonferenz hervorhebt, daß es jetzt um so wichtiger sei, den Austausch zwischen wichtigen Akteuren zu stärken. Die Konferenz sei dafür genau das richtige Forum, und gäbe es sie nicht, müßte sie bei der momentanen Weltlage neu erfunden werden. Das Teilnehmerfeld ist in der Tat so hochrangig besetzt, daß man sich des Eindrucks kaum erwehren kann, die weltweit bedeutendste Tagung in Sachen Sicherheit sei der maßgebliche Schauplatz, an dem das Schicksal der Menschheit verhandelt wird. Zumindest aber gilt sie als Seismograph für die Krisen weltweit und insbesondere den strategischen Entwurf der westlichen Mächte, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden.

Jedenfalls lassen die dem aktuellen Sicherheitsbericht vorangestellten ausgewählten Inhalte keinen Zweifel daran, wo die Feinde verortet werden und wie man sie in die Knie zu zwingen gedenkt. In Zusammenarbeit mit einschlägigen Denkfabriken und Forschungsinstituten wurden exklusive Studien produziert, die den Blick vom europäischen Feldherrnhügel in den Rang der einzig relevanten Sichtweise erheben. So steht da zu lesen, daß eine Mehrheit der Europäer ihre Streitkräfte über die nationalen Grenzen hinaus, vorzugsweise weltweit, einsatzfähig haben möchte. Vergleiche man die militärische Stärke der NATO und Rußlands in den baltischen Staaten im Falle einer unvorhergesehenen Konfrontation, übertreffe Rußland die schnell einsatzfähigen Kampfeinheiten der NATO in bezug auf Artillerie und Infanterie bei weitem, während die NATO Luftüberlegenheit besitze. Weiter heißt es, daß die russischen INF-Raketen wahrscheinlich alle wichtigen NATO/US-Basen und -Atomwaffenlager in Europa erreichen könnten. Neue Daten zeigten den signifikanten Ausbau der Infrastruktur Chinas im Südchinesischen Meer sowie die steigende globale militärische Präsenz der Chinesen. Genannt werden zudem die Aufrüstung afrikanischer Länder, das Atomprogramm Nordkoreas und das Abkommen mit dem Iran sowie die Korrelation zwischen Dürren und Konflikten mit geringer Intensität.

Kein Wort von der Expansion der NATO bis an die russische Grenze und dem Vormarsch der EU gen Osten, keine Rede von der Einkreisung Chinas oder der wirtschaftlichen Ausbeutung der afrikanischen Länder, von der maßgeblichen Verantwortung für den Klimawandel ganz zu schweigen. Es geht um die Sicherheit der westlichen, namentlich der europäischen Mächte, ihre Vorherrschaft fortzuschreiben und die Konkurrenz in die Schranken zu weisen. Daß die deutschen Interessen dabei nicht zu kurz kommen, soll erstmals eine geschäftsführende Regierungsdelegation gewährleisten. Vertreten wird sie durch Sigmar Gabriel, Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière und Gerd Müller, mehr als 30 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen werden bei der Konferenz erwartet. Wenn diese Abordnung in München aufschlägt, hat sie ihr jüngstes sicherheitspolitisches Sturmgeschütz bereits in Stellung gebracht.

So wird das neue NATO-Hauptquartier, das künftig die Verlegung von Truppen und Material in Europa optimieren soll, in Deutschland angesiedelt. Die wichtigste Aufgabe dieses Planungs- und Führungszentrums wird darin bestehen, den schnellen Aufmarsch westeuropäischer und US-amerikanischer Streitkräfte in unmittelbare Nähe zur russischen Grenze zu gewährleisten. Unter Federführung der Bundeswehr sollen die Mängel behoben werden, die in den letzten Jahren bei Manövern zutage getreten waren. Indem Infrastruktur und Gesetzgebung an die Erfordernisse der Streitkräfte angepaßt werden, schreitet die Militarisierung Europas mit eindeutiger Stoßrichtung der Kriegsvorbereitung voran. [3]

Nachdem die Bundesregierung im vergangenen Jahr ihr Interesse bekundet hatte, verständigten sich die Bündnisstaaten grundsätzlich darauf, ein entsprechendes Angebot von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen anzunehmen, zumal es keine anderen Kandidaten für das Hauptquartier gab. Standort könnte die Region Köln-Bonn werden, wo bereits die Streitkräftebasis und das Streitkräfteamt der Bundeswehr ihren Sitz haben. Ein zweites neues Hauptquartier wird den Planungen zufolge in den USA aufgebaut. Es soll die Luft- und Seewege zwischen Nordamerika und Europa über den Atlantik sichern.[4] Als Besonderheit des neuen Hauptquartiers in Deutschland ist hervorzuheben, daß es nicht in die bestehende Kommandostruktur der NATO integriert wird. Es soll vielmehr in deutscher Hoheit betrieben und nur bei Bedarf dem nordatlantischen Bündnis unterstellt werden. Daher können dort auch Militäreinsätze außerhalb des Rahmens der NATO wie etwa einer "Armee der Europäer" geplant und geführt werden. Diese europäische Armee will die künftige Bundesregierung laut ihres Koalitionsvertrags aufbauen, und sie könnte sich insbesondere dann als nützlich erweisen, wenn es zu einem Dissenz mit Washington kommen sollte. Deutschland hat sich also für ein Hauptquartier stark gemacht, das die gesamte Palette künftiger deutscher Kriege offenhält.


Fußnoten:

[1] www.securityconference.de/aktivitaeten/munich-security-conference/msc-2018/

[2] www.securityconference.de/debatte/munich-security-report/munich-security-report-2018/

[3] www.jungewelt.de/artikel/326966.für-kriege-der-zukunft.html

[4] www.sueddeutsche.de/politik/sicherheitspolitik-bundeswehr-soll-neues-nato-hauptquartier-in-deutschland-aufbauen-1.3858907

9. Februar 2018


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