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KRIEG/1706: Rüstung - Druck von innen und außen ... (SB)



Druck von innen und außen setzt der Bundesregierung gewaltig zu, ihre Agenda der Aufrüstung in kreativer Prozentrechnung zu servieren. Die ist insofern ganz leicht zu verstehen, als jedes Prozent mehr für den Krieg eines weniger für die naheliegenderen Bedürfnisse der Bevölkerung ist. Dann wird die Sache aber auch schon kompliziert, weil das Wunschniveau der Bundesbürger untrennbar mit deutscher Macht verbunden ist, den als friedliche Kooexistenz getarnten Wirtschaftskrieg auch militärisch zu unterfüttern. Dazu bedurfte es der Einbettung ins westliche Bündnis, dessen überlegene Waffengewalt unter Schirmherrschaft der USA das Fundament garantierte, auch den Siegeszug des hiesigen Kapitals zu beflügeln. Und obgleich die deutschen Eliten längst einen eigenständigen Führungsanspruch formulieren, hinkt das Potential seiner Durchsetzung doch den dafür erforderlichen Kapazitäten noch weit hinterher.

Das Ende der grenzenlosen Alimentierung zeichnete sich bereits in der Amtszeit George W. Bushs ab, der den Verbündeten im weltweiten "Antiterrorkrieg" größere Anstrengungen abverlangte. Der Druck wuchs unter Barack Obama, dem der NATO-Gipfel 2014 in Wales mit der Zielvorgabe entsprach, daß alle Mitgliedsstaaten bis spätestens 2024 zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für ihr Militär ausgeben müßten. Bereits in Wales und dann noch einmal 2016 in Warschau hatte die Bundeskanzlerin gemeinsam mit ihren Fachministern für Äußeres und Verteidigung den Bündnispartnern zugesagt, die deutschen Verteidigungsausgaben in Richtung zwei Prozent des BIP zu steigern.

Um die NATO-Quote zu erfüllen, müßte der aktuelle Etat bis 2024 grob gerechnet verdoppelt werden, nach Berechnungen des Militärökonomen Jürgen Schnell von der Bundeswehruniversität in München auf rund 82 Milliarden Euro. Das wäre jedoch mit gewaltigen Einschnitten in andere Haushalte wie insbesondere Arbeit und Soziales verbunden, die aus heutiger Sicht politisch kaum durchsetzbar wären, da sie absehbar heftigen Widerstand in der Bevölkerung wachrufen würden. Daher hat die Bundesregierung ihr Versprechen auf 1,5 Prozent reduziert, die jedoch nicht mehr durch die Formulierung "in Richtung" relativiert werden, sondern als echte Zielmarke gelten sollen. So wurde es der NATO offiziell übermittelt. [1]

Nun hat das Kabinett die Eckwerte für den Haushalt des Jahres 2019 verabschiedet und den Wehretat um vier Milliarden Euro von 38,9 auf 42,9 Milliarden Euro erhöht. Das entspricht für die NATO-Quote einem Anstieg von 1,24 Prozent auf 1,31 Prozent. Steuert die Bundesrepublik damit tatsächlich die zugesagten 1,5 Prozent an? Der Eindruck täuscht, da auf den signifikanten Zuwachs für 2019 Stagnation folgt. Die Pläne des Finanzministers sehen für 2020 Ausgaben von 42,9 Milliarden Euro für Verteidigung und für 2021 und 2022 jeweils 43,8 Milliarden Euro vor. Da das BIP in dieser Zeit vermutlich steigt, würde die NATO-Quote im Jahr 2022 auf 1,23 Prozent und damit unter den aktuellen Wert fallen.

Wenngleich dieses Rechenbeispiel von Schätzungen ausgeht, die nicht zwangsläufig in der angenommenen Form eintreffen, zeichnet sich doch deutlich ab, daß die Bundesrepublik ihre Zusagen an die NATO unmöglich einhalten kann. Dummerweise steht der NATO-Gipfel in Brüssel vor der Tür, und US-Präsident Donald Trump hat bereits Konsequenzen angedroht, sollten die Bündnisparter seine Forderungen nicht erfüllen. Wie er Angela Merkel schrieb, nehme in den Vereinigten Staaten der Unmut darüber zu, daß einige Verbündete ihre Ausgaben nicht wie versprochen erhöht haben. Das sei für die USA nicht mehr tragbar, womit auch der Kongreß übereinstimme. [2]

Um den US-Präsidenten gnädig zu stimmen, versucht die Bundesregierung, die leidige Prozentrechnung mit einer alternativen Arithmetik zu umgehen. Wie Ursula von der Leyen nicht zum ersten Mal argumentiert, sei eine Prozentzahl als alleiniger Vergleichsindikator unzureichend. Die Bereitschaft, Fähigkeiten auch zur Verfügung zu stellen, gehöre dazu, und Deutschland könne unter diesem Gesichtspunkt selbstbewußt auftreten: "Wenn man die Frage stellt, wer ist der zweitgrößte Truppensteller in der NATO, dann ist die Antwort Deutschland, wer ist der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan, Deutschland, wer ist das einzige kontinentaleuropäische Land, das die wichtige Aufgabe der Bündnisverteidigung als Rahmennation verantwortlich trägt? Deutschland in Litauen!" [3] Zudem richtet die Bundeswehr in Ulm ein neues Hauptquartier ein, das den schnellen Transport von Truppen quer über den europäischen Kontinent optimieren und bei Bedarf organisieren soll.

Daß diese Argumentationslinie eher nicht ausreichen wird, um Washington zu besänftigen, weiß die Verteidigungsministerin: "Wir sind noch lange nicht am Ziel, wir müssen beharrlich weitermachen." Deutschland stehe "ganz klar zum Zwei-Prozent-Ziel in der NATO". Die Bundeskanzlerin stößt ins selbe Horn: "Ich bin sehr dankbar, dass wir im Haushalt Steigerungen unseres Verteidigungsetats haben, aber gemessen an dem, was andere tun, bezogen auf ihr Bruttoinlandsprodukt ist das längst nicht ausreichend." Die Erklärung der Bundesregierung, es werde ein "weiterer deutlicher Schritt innerhalb des NATO-Zielkorridors gemacht", wird von der AfD mit Hohn quittiert. So ätzte Rüdiger Lucassen: "Das wird nicht funktionieren. Unsere Bündnispartner wissen das und das ist auch der eigentliche Grund, warum es fast unüberwindbare Zerwürfnisse im Bündnis gibt, weil die Bundesregierung ihre Partner anlügt und ihren Verpflichtungen nicht nachkommt."

Eingeklemmt zwischen Trump und der Rechten im eigenen Land gibt die Bundesregierung das Bild des gehetzten Wildes ab, das doch nicht entkommen kann. Ist das nicht paradox? Nach Jahren mühseligen Akzeptanzmanagements, mit dem Berliner Regierungen die deutsche Aufrüstung schmackhaft machen und um die Erhöhung des Kriegsetats ringen mußten, steht die Situation plötzlich kopf: Alles prügelt auf die Große Koalition ein, weil sie trotz 4 Prozent Aufstockung der Rüstungsausgaben das Fernziel absehbar verfehlt. Das sollte doch Militaristen jeder Couleur wohlig erschauern lassen, wenn Medienschelte die politische Führung des Landes treibt, beim Rüstungshaushalt in die vollen zu gehen. Das Zwei-Prozent-Ziel macht's möglich, die Debatte auf die Frage zu verengen, ob man mehr oder besser noch mehr für deutsche Waffengewalt ausgeben sollte.

Daß Abrüstung im Diskurs der Bündnisverpflichtung kein Thema ist, liegt auf der Hand. So wurde denn auch der Antrag der Linksfraktion im Bundestag abgeschmettert, den Verteidigungsetat im Sinne des Aufrufs "Abrüsten statt Aufrüsten" um 5,1 Milliarden Euro zu kürzen, insbesondere alle zwölf derzeitigen bewaffneten Auslandseinsätze zu beenden und geplante Beschaffungsvorhaben von Panzern, Kampfdrohnen, Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Militärtransportern einzustellen. [4]

Wohin der Hase laufen soll, deutete Johann Wadephul im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [5] an. Vier Milliarden mehr für das Verteidigungsministerium seien ein guter Start, der aber auch fortgesetzt werden müsse, so der Fraktionsvize der Union. Ohne die NATO könne man viele politische Entscheidungen nicht unabhängig treffen, und deswegen sei jeder Euro da gut ausgegeben. Deshalb bestehe die CDU/CSU-Fraktion auf 1,5 Prozent bis 2021 und 2 Prozent bis 2024, was nicht leicht, aber erreichbar sei. Heißt das noch weniger Geld für Kitas, Schulen und vieles mehr, woran es ohnehin mangelt? Auch Wadephul ist unter die Rechenkünstler gegangen, die ihr Publikum mit billigen Tricks hinters Licht zu führen versuchen: Der Bund müsse sich auf zentrale Bundesaufgaben wie die Verteidigung konzentrieren, das sei die Pflicht, alles andere hingegen Kür. Kitas und Schulen seien hingegen Landesaufgabe, und wenn jeder seine eigenen Hausaufgaben mache, sei die gebotene Priorisierung wiederhergestellt. Frei nach dem Motto, alles ist wichtig, aber der Bund kommt zuerst, soll der Topf für die Bundeswehr geleert werden, als fülle er sich auf wundersame Weise von selbst wieder auf, bevor es an die kommunalen Hausaufgaben geht.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/deutschland/article178780848/Bundeswehr-Etat-Von-der-Leyen-fehlen-17-Milliarden-Euro.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/335451.krieger-mit-harmoniebedürfnis.html

[3] www.deutschlandfunk.de/militaerausgaben-2019-bundestag-streitet-ueber.1783.de.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/335440.sattes-plus-für-aufrüstung.html

[5] www.deutschlandfunk.de/wadephul-cdu-zu-verteidigungsetat-das-stellt-uns-nicht.694.de.html

7. Juli 2018


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