Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1711: Militär - aufstocken, verlängern, besetzen ... (SB)



Ich kann, wenn ich in die Fraktion zurückkehre, schon berichten, dass die Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten hier machen, ein sinnvoller Beitrag für die Stabilisierung des Iraks ist.
Fritz Felgentreu (SPD-Obmann im Verteidigungsausschuß) [1]

Im Rahmen der Allianz gegen den Islamischen Staat hat das deutsche Einsatzkontingent auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Asrak im Osten Jordaniens etwa 290 Soldaten stationiert. Dort sind vier Tornado-Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug im Einsatz. Auf die Frage eines Soldaten, ob es Überlegungen gebe, sich im Nahen Osten strategisch niederzulassen, erwiderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem jüngsten Besuch vielsagend: "Ich will den Gedanken nicht ausschließen, so will ich es sagen." [2] Wer die maßgeblichen geostrategischen Entwürfe hiesiger Denkfabriken, deutscher Außenpolitik und der militärischen Führung studiert, kann schwarz auf weiß nachlesen, in welchen Weltregionen die Bundesrepublik im Zuge einer expansionistischen Durchsetzung ihrer Interessen Fuß fassen und maßgeblich mitmischen soll. Dazu gehören neben Osteuropa, Afghanistan und dem Balkan insbesondere Nahost und Afrika, wo die Bundeswehr unter verschiedenen Mandaten im Einsatz ist.

Als formelle Parlamentsarmee eines demokratischen Rechtsstaats ist die deutsche Truppe an verfassungsrechtliche und andere gesetzliche Vorgaben gebunden und mithin von politischen Entscheidungen abhängig. Um die militärischen Einsätze auszuweiten, arbeiten die Protagonisten der Waffengewalt systematisch daran, die Grenzen zu verschieben. Da gilt es gewaltige Brocken zu rollen wie einst den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 auf dem Balkan. Afghanistan war ein Paradebeispiel, wie aus einer vorgeblichen Aufbaumission sukzessive ein Kriegseinsatz und schließlich dessen offizielles Ende durch einen Ausbildungsauftrag verschleppt wird, so daß die Bundeswehr immer noch am Hindukusch sitzt. Einen regelrechten Dammbruch brachte die sogenannte Schutzverantwortung, die fortan Interventionen zum Zweck des Regimewechsels unter humanitärem Deckmantel legitimierte. Ob Piraten am Horn von Afrika, Schlepper im Mittelmeer, der IS im Irak, ein "Diktator" in Syrien oder diverse andere "terroristische" Gruppierungen, an Vorwänden und Anlässen herrscht keine Mangel, deutsche Ambitionen auch mit militärischen Mitteln zu unterfüttern und voranzutreiben.

Einiges davon muß den Bundestag passieren, anderes wird am Parlament vorbeigeschleust. Vieles wird offiziell ausgeführt, manches aber auch klammheimlich vor Ort praktiziert. Diverse Details erfährt die Bevölkerung nie, eine Menge will sie aber auch gar nicht wissen. Wollte man in der Gemengelage dieser fortgesetzten Aufweichungen, Umdeutungen und Verschiebungen von einer Konstanten sprechen, so wäre das unablässige Ringen um Deutungsmacht zu nennen, die unter den politischen Fraktionen ausgehandelt und im Abtausch mit der medial vermittelten Öffentlichkeit gängig gemacht wird. Wie parlamentarische Beteiligung und Einbeziehung der Medien irgendwo zwischen simulierter Kontrolle und eingebetteter Hofberichterstattung inszeniert wird, demonstrierte der aktuelle dreitägige Besuch Ursula von der Leyens in Al-Asrak, Bagdad und Erbil. In der Entourage der Ministerin, die für eine Verlängerung des Irakeinsatzes über den Ablauf des Mandats am 31. Oktober hinaus warb, reisten sieben Abgeordnete sowie etliche Journalisten mit.

Auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Asrak in Jordanien gab die Ministerin die Parole aus, der Einsatz müsse fortgesetzt werden. Nachdem die Extremisten militärisch geschlagen seien, gelte es nun zu verhindern, daß sie Rückzugsräume bildeten. Kaum war dieser Pflock im Rahmen der obligatorischen Truppeninspektion eingeschlagen, als es auch schon weiter nach Bagdad zu einem Treffen mit dem irakischen Amtskollegen Al-Hayali ging. Das Bundestagsmandat war erweitert worden, um außer den kurdischen Peschmerga auch Spezialisten der irakischen Armee auszubilden. Im Militärkomplex Tadschi nordwestlich von Bagdad bilden deutsche Soldaten unter der Rubrik "Fähigkeitsaufbau" erstmals auch im Zentralirak Soldaten aus. Dazu hat am 11. August als Pilotprojekt ein Lehrgang in der ABC-Abwehr begonnen, an denen irakische Militärausbilder teilnehmen. Lehrgänge in der Entschärfung von Sprengsätzen, Logistik und der Sanitätsausbildung sollen folgen.

Dort forderte Von der Leyen einen "langen Atem", um für Sicherheit, Reformanstrengungen und die Absicherung des Wiederaufbaus zu sorgen. "Der akute Kampf um das ehemals vom IS besetzte Territorium ist vorbei. Jetzt kommt es unter anderem darauf an, unter einem neuen Mandat den Wiederaufbau des Landes zu gestalten und zu schützen." Deutschland habe seit 2014 bereits 1,4 Milliarden Euro in den Irak investiert und sei bereit, dem Land weiterhin zu helfen, auf die Beine zu kommen: "Deswegen bin ich hier", so die Ministerin, die damit den Schutz beim Wiederaufbau als zweites zentrales Argument für die Fortschreibung der Bundeswehrpräsenz im Irak verankerte.

Zum Abschluß reiste die deutsche Delegation ins kurdische Erbil, wo Von der Leyen den Peschmerga dafür dankte, "dass sie hervorragend ihr Land verteidigt haben, die Flüchtlinge geschützt haben und für uns alle stellvertretend sich gegen den IS gestellt haben". Die Bundeswehr hatte in den vergangenen Jahren Peschmerga-Kämpfer ausgebildet und ihnen auch Waffen geliefert. Nun konzentriere sich die Hilfe der Bundeswehr auf Bereiche wie Logistik, Minenabwehr und medizinische Versorgung, so die Ministerin. Sie besuchte Ausbildungsstätten für die Peschmerga, darunter eine Werkstatt und eine Klinik. An diesen Projekten könne "man sehr exemplarisch sehen, dass es bei der Hilfe nicht nur darum geht, Material zu liefern oder Geld zu geben". Ganz entscheidend sei die Nachhaltigkeit und Langfristigkeit der Hilfe. Mit Geld und Material auszuhelfen steht für die deutsche Interventionspolitik von gestern, heute ist die Präsenz der Bundeswehr an der Front ein Gebot der Nachhaltigkeit, welche die Ministerin nicht missen möchte.

Der Bundestag hatte nach den Anschlägen in Paris vom November 2015 beschlossen, Frankreich und die internationale Koalition gegen den IS militärisch zu unterstützen. Zunächst half die Bundeswehr vor allem den kurdischen Peschmerga im Nordirak mit Ausbildung und Waffen gegen den IS aus. Die Erweiterung des Mandats um die neuen Aufgaben im gesamten Irak war im März 2018 mit den Stimmen der großen Koalition beschlossen worden. Damals stand ein Konflikt zwischen den Kurden und der irakischen Zentralregierung im Raum, weshalb die Opposition im Bundestag befürchtete, deutsche Soldaten könnten zwischen die Fronten geraten. Dies führte dazu, daß 359 Abgeordnete für das Mandat und 218 dagegen stimmten, während sich 79 enthielten. Linke, Grüne und AfD waren dagegen, die FDP enthielt sich. Wenngleich der Vorsprung der Befürworter komfortabel ausfiel, geht es für das unionsgeführte Verteidigungsministerium darum, die mitunter wankelmütige SPD bei der Stange zu halten, die Freidemokraten einzubinden und womöglich auch jene Teile der Grünen zu gewinnen, die für aus ihrer Sicht sinnvolle und humanitäre Kriege durchaus zu haben sind. Zwar ging es in diesem konkreten Fall um den Einsatz im Irak, in der Kette einer zunehmend militarisierten deutschen Außenpolitik aber natürlich um viel mehr.

Die sieben mitreisenden Bundestagsabgeordneten folgten der Ministerin auf Schritt und Tritt, sahen alle Präsentationen vor Ort und waren größtenteils angetan. Das galt nicht für Alexander Neu von der Linken, da seine Partei Auslandseinsätze grundsätzlich ablehnt, und Rüdiger Lucassen von der AfD, die befürchtet, es würden womöglich die Falschen ausgebildet. Ansonsten aber hatte Von der Leyen diesen Teil ihrer Mission offenbar erfolgreich über die Bühne gebracht. Grüne und FDP zierten sich zwar, hielten aber keine grundsätzlichen Einwände vor. Die Union ist sowieso dafür, und der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuß, Fritz Felgentreu, bilanzierte: "Ich kann, wenn ich in die Fraktion zurückkehre, schon berichten, dass die Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten hier machen, ein sinnvoller Beitrag für die Stabilisierung des Iraks ist."

Wie wichtig die Einbindung der Sozialdemokraten ist, zeigt der Koalitionsstreit um die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im Syrienkrieg. Die Bundeskanzlerin kritisierte das klare Nein von SPD-Chefin Andrea Nahles zu einer deutschen Beteiligung an einem Vergeltungsschlag beim Einsatz von Giftgas. "Einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein", tadelte Angela Merkel in der Haushaltsdebatte im Bundestag. Von der Leyen legte nach und forderte eine "glaubhafte Abschreckung" gegen einen erneuten Einsatz von Chemiewaffen, ganz im Sinne des US-Sondergesandten für Syrien, James Jeffrey, der bei einem Besuch in Berlin sagte: "Die beste Art und Weise, politische Unterstützung zu zeigen, ist nicht eine Rede, sondern militärische Solidarität." [3]

Indessen hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bereits eine deutsche Beteiligung als verfassungs- und völkerrechtswidrig eingestuft. In einem weiteren Rechtsgutachten verwirft er nun auch eine nachträgliche Abstimmung über einen solche Einsatz im Parlament. Diese sei nur bei "Gefahr im Verzug" gesetzlich vorgesehen, während dieser "Notfallcharakter" bei einem möglichen Vergeltungsschlag in Syrien nicht gegeben sei, wie die seit Tagen anhaltende Debatte darüber zeige. Wenngleich dieser Angriffsvorwand verschiedener westlicher Mächte durch die jüngste Vereinbarung zwischen Putin und Erdogan in Sotschi vorerst entfällt, hat das Verteidigungsministerium doch mit dem Anstoßen dieser Diskussion ein weiteres dickes Brett vorgebohrt. [4]

Wie weit die Kriegsführung vor Ort von dem offiziellen Diskurs des Berliner Politikbetriebs abweichen kann, belegen aktuelle Berichte aus Mali. Laut vertraulichen UN-Protokollen unterstützt die Bundeswehr den französischen Antiterroreinsatz dort mit Drohnen. Die Franzosen stehen mit der Operation Barkhane eindeutig in einem Kampfeinsatz, die Deutschen übernehmen hingegen Aufgaben bei der europäischen Trainingsmission EUTM und der UN-Mission MINUSMA. Ihre Aufgabe lautet, "den Friedensprozess zu begleiten", wie es Von der Leyen ausdrückt. Demnach schließt ihr Mandat einen Kampfeinsatz aus. Nun ist natürlich die Annahme absurd, ein Kampfeinsatz lasse sich eindeutig von einer Friedensmission in ein und demselben Gebiet trennen. [5]

Das Verteidigungsministerium bestätigte einen Drohneneinsatz, der Barkhane Aufklärungsbilder lieferte. Zu Hinweisen, wonach deutsche Hubschrauber französische Truppen transportiert haben, wollte die Bundeswehr aus "operativen Gründen" keine Auskunft geben. Auch über die Häufigkeit der Kooperationen schweigt sich das Wehrressort aus. Nach dessen Auffassung sind Kooperationen mit Barkhane vom Mandat gedeckt, sofern sie von den UN gebilligt und "zum Schutz der eigenen Kräfte" durchgeführt werden. Da jeder Gegner, den die französischen Soldaten ausschalten, auch die Sicherheit der Bundeswehr in Mali erhöht, wäre das ein ausgesprochen weites Mandat. Was den Eindruck einer Unschärfe oder Grauzone erwecken mag, hat System: Ausbildung, Logistik und Sanitätsdienst der deutschen Truppe sind Etappen des Kriegseintritts, worüber auch ein fiktives Friedensmandat nicht hinwegtäuschen sollte.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/von-der-leyen-und-die-abgeordneten-ueberzeugungsarbeit-im.1773.de.html

[2] www.stern.de/politik/ausland/besuch-im-irak-und-jordanien-von-der-leyen-fuer-fortsetzung-des-einsatzes-gegen-den-is-8360248.html

[3] www.focus.de/politik/deutschland/unter-druck-der-amerikaner-koalition-streitet-weiter-ueber-moeglichen-syrien-einsatz-doch-der-waere-juristisch-kaum-durchsetzbar_id_9597439.html

[4] www.n-tv.de/politik/Gutachten-gegen-nachtraegliche-Abstimmung-article20625870.html

[5] www.welt.de/politik/deutschland/article181561684/Mali-Einsatz-der-Bundeswehr-Opposition-verlangt-Aufklaerung.html

19. September 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang