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KRIEG/1717: NATO - Frontalmanöver ... (SB)



Durch die aufwändige Verlegung von Menschen und Gerät wird diese Großübung sicherlich auch eine der in letzter Zeit teuersten werden. Das Bundesverteidigungsministerium hat die Kosten mit 90 Millionen Euro beziffert, allein für Deutschland. Doch dieses Geld ist gut angelegt. Denn die Bündnisverteidigung, das Herz der NATO, bleibt eine leere Hülle, wenn Einsätze von großen Verbänden aus allen Mitgliedsländern des Bündnisses nicht auch ab und zu geübt werden.
Fritz Felgentreu (SPD-Verteidigungsexperte der Bundestagsfraktion) [1]

Vom 25. Oktober bis zum 23. November findet in Norwegen das größte Manöver der NATO seit Ende des Kalten Krieges statt. "Trident Juncture 2018" kann mit Superlativen aufwarten, welche die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung der Großmächte unterstreichen. Geübt wird der sogenannte Bündnisfall in Gestalt eines Angriffs auf einen der 29 Mitgliedstaaten, der daraufhin die Beistandsklausel nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags anruft. Dies verpflichtet die NATO-Partner dazu, militärische Hilfe zu leisten. Getestet wird im Manöver die Fähigkeit des Bündnisses, schnell zu reagieren und Truppen aus anderen Teilen Europas und Nordamerika zügig zusammenzuziehen. Die Übung findet zu Land, in der Luft und auf See statt, Übungsgebiet sind Mittel- und Ostnorwegen, umgebende Gebiete im Nordatlantik und in der Ostsee, einschließlich Island und der Luftraum über Finnland und Schweden. Diese beiden skandinavischen Länder gehören nicht der NATO an, sind aber als Partnerstaaten der Militärallianz beteiligt.

Die Wahl des Manövergebiets kommt nicht von ungefähr, üben die Landstreitkräfte doch in einer Entfernung von nur etwa 500 Kilometer zur russischen Grenze. Kampfflugzeuge operieren im finnischen Luftraum, der unmittelbar an den russischen grenzt. Die Ostsee, in der Teile der Seekriegsübungen stattfinden, werden regelmäßig von russischen Militärflugzeugen überflogen. Obgleich natürlich jeder weiß, gegen wen sich das Großmanöver richtet, folgt man dem gängigen Prozedere, die offensichtliche Drohung zu dementieren. Im Vorfeld des Treffens der Verteidigungsminister zu Monatsanfang erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Übung sei "fiktiv, aber realistisch". Der Leiter des Manövers, US-Admiral James Foggo, sagte, das Manöver richte sich nicht gegen ein bestimmtes Land. Es diene vielmehr dazu, die militärischen Fähigkeiten der NATO "gegenüber jedem Gegner" zu demonstrieren. Als bedürfe es einer Aufklärung, erklärte der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im EU-Parlament Knut Fleckenstein: "Natürlich ist das wegen Russland. Die Soldaten üben nicht für einen Angriff aus Guatemala, sondern von jemandem, der von oben kommt - und da liegt Russland." [2]

Davon abgesehen hatte Foggo Rußland bereits Anfang Oktober aufgefordert, einer Einladung zur Entsendung von Beobachtern nachzukommen. Er rechne mit deren Präsenz, da ihnen sicher daran gelegen sei, durch ihre Anwesenheit bei der Übung mehr über die Fähigkeiten der NATO zu erfahren. [3] Eine grundsätzliche Stellungnahme von seiten Moskaus ließ nicht lange auf sich warten. So verurteilte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, das Manöver als "Säbelrasseln". Die führenden NATO-Länder verstärkten ihre militärische Präsenz in der Region nahe der russischen Grenze. Rußland werde "die notwendigen Gegenmaßnahmen ergreifen, um seine Sicherheit zu gewährleisten".

Die ursprünglichen Planungen der NATO hinsichtlich des Umfangs der Kriegsübung werden durch nachträgliche Aufstockungen in um so riesigere Ausmaße gesteigert. Beim Einsatz unter winterlichen Bedingungen trainieren insgesamt 50.000 Soldaten mit 10.000 Fahrzeugen und über 130 Flugzeugen. An der gleichzeitig stattfindenden Seekriegsübung "Northern Coasts" im Nordatlantik und in der Ostsee sind 70 Schiffe beteiligt. Nach Angaben der norwegischen Armee haben die NATO und Norwegen etwa 157 Millionen Euro für "Trident Juncture 2018" zur Verfügung gestellt. Zur Versammlung dieser gewaltigen Streitmacht bedurfte es eines enormen logistischen Aufwands. Bereits im September hatte die Verlegung von Truppen und Material begonnen. Dabei wurde beispielsweise anhand des Zugs des britischen Konvois durch die Niederlande, Deutschland, Dänemark und Schweden getestet, wie effizient Soldaten und Ausrüstung zwischen den europäischen Ländern bewegt werden können. Geprüft wurde auch, ob Zoll, Grenzvorschriften und Infrastrukturen in der Lage sind, schnelle und schwere Truppenbewegungen zu bewältigen. Die Bundeswehr transportierte Leopard-Panzer und andere Militärfahrzeuge an Bord einer zivilen Frachtfähre ins norwegische Fredrikstad.

Für die Bundesregierung und die deutschen Streitkräfte ist die Teilnahme von besonderer Bedeutung. An der Großübung nehmen 10.000 Soldaten der Bundeswehr teil, von denen mehr als 8000 vor Ort sind. Damit ist Deutschland der zweitgrößte Truppensteller, nur Norwegen hält als Gastgeberland mehr Soldaten bereit. Zudem liefert die Bundeswehr mit insgesamt 4.000 fast die Hälfte aller Fahrzeuge, darunter etwa 100 Panzer. Die Luftwaffe ist mit 500 Soldaten, eigenen Einheiten zur Flugabwehr, zwei fliegenden Kampfverbänden und Transportmaschinen beteiligt. Das ist mit immensen Kosten verbunden, die das Bundesverteidigungsministerium auf 90 Millionen Euro beziffert. Gut die Hälfte der Summe fließt ins Gastgeberland Norwegen, wo unter anderem für die Verpflegung und Bereitstellung von Feldlagern bezahlt werden muß. Der Rest ist für den Hin- und Rücktransport von Personal und Material eingeplant. [4]

Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums zur massiven Beteiligung an "Trident Juncture" erklärte, nehme Deutschland "hier bewusst eine Vorreiterrolle ein". Bei der Übung gehe es ganz wesentlich um die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. "Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe, gerade, wenn Truppen aus sehr vielen Nationen im größeren Maßstab zusammenwirken sollen." Die Rede ist von einem Signal an die Adresse der US-Regierung, daß Deutschland bereit und fähig sei, künftig mehr Verantwortung innerhalb des Militärbündnisses zu übernehmen. Vor allem wird die starke Beteiligung der Bundeswehr offiziell damit begründet, daß diese Anfang 2019 die Führung der schnellen Eingreiftruppe der NATO in Osteuropa übernimmt.

Die auch als Speerspitze der NATO bezeichnete Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) umfaßt inzwischen bis zu 8.000 Soldaten und soll im Prinzip weltweit operieren, doch ist sie faktisch auf den Einsatz gegen Rußland ausgerichtet. Sie wurde 2014 in Reaktion auf die russische Angliederung der Krim ins Leben gerufen und wird insbesondere mit den Befürchtungen unter den Mitgliedsländern Polen, Estland, Lettland und Litauen begründet, die eine Bedrohung durch Rußland geltend machen. Daß sich diese Länder im Fokus möglicher militärischer Auseinandersetzungen sehen, hängt mit ihrer Frontstellung im Zuge der NATO-Osterweiterung bis an die Grenze Rußlands zusammen, das immer enger eingekesselt wird.

Wenn die im Januar veröffentlichte neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA die Konkurrenz zwischen den Großmächten in den Fokus rückt und Rußland und China als "revisionistische Mächte" bezeichnet, welche die von den USA geführte Weltordnung bedrohten, wird damit die seit Jahrzehnten vorangetriebene Strategie der Einkreisung unverhohlen zur offiziellen Doktrin des Krieges erhoben. Auch die Bundesregierung spricht von Verteidigung und Bündnisverpflichtung, während sie im Verbund mit der NATO wie auch eigenständig nach Osten marschiert, um ihre expansionistischen Ansprüche durchzusetzen. Sie trägt die Sanktionen und alle NATO-Beschlüsse gegen Rußland mit, wie sie auch militärisch immer stärker an vorderster Front operiert.

Wie in Strategiepapieren wie der neuen "Konzeption der Bundeswehr" nachzulesen ist, welche die Bundesregierung Ende Juli veröffentlicht hat, soll die Vorbereitung auf das gesamte Spektrum der Kriegsführung von kleineren Einsätzen bis hin zu umfassenden Operationen forciert werden. Die Bundeswehr müsse über "Kräfte und Mittel verfügen, die nach kurzer Vorbereitung an den Grenzen oder jenseits des Bündnisgebiets einsetzbar sind". Wenn dabei von einer "sehr großen, hoch intensiven Operation" die Rede ist, die einen "massiven Ansatz von Kräften und Mitteln hoher Verfügbarkeit" erforderlich mache, wird damit verklausuliert der abermalige Krieg gegen Rußland auf die Tagesordnung hegemonialer Ambitionen gesetzt.


Fußnoten:

[1] www.vorwaerts.de/artikel/nato-manoever-trident-juncture-zwingend-noetig

[2] www.wsws.org/de/articles/2018/10/24/nato-o24.html

[3] www.augsburger-allgemeine.de/politik/Trident-Juncture-2018-Alles-zum-NATO-Manoever-id52471981.html

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-manoever-trident-juncture-kostet-deutschland-90-millionen-euro-a-1234386.html

24. Oktober 2018


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