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KRIEG/1780: SPD - eine Maske mit Rissen ... (SB)



Unsere Außen- und Sicherheitspolitik darf nie ein deutscher Sonderweg sein. Einseitige Schritte, die das Vertrauen unserer engsten Partner und europäischen Nachbarn untergraben, bringen uns dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht näher.
Außenminister Heiko Maas kritisiert SPD-Parteikollegen [1]

Die SPD ist nicht als Partei bekannt, die jemals entschieden gegen Rüstung und Krieg und zu Felde gezogen wäre. Ihr kam in der selbstgewählten Rollenverteilung unter den sogenannten Volksparteien stets die Aufgabe zu, jene Teile der lohnabhängigen Bevölkerung einzubinden und auf Regierungskurs einzuschwören, die sich mitunter gegen die Konservativen sträubten. Zusammen mit den Grünen brachten sie den ersten offiziellen Kriegseinsatz der Bundeswehr auf den Weg, und während Kanzler Schröder im Irakkrieg Zurückhaltung simulierte, half der BND dabei nach Kräften aus und die Bundesrepublik trug nicht unwesentlich zur Finanzierung dieses Angriffskriegs bei. Zusammen mit der Union legte die Sozialdemokratie in der großen Koalition einen Kurs massiver Militarisierung an, der zu ihrem Profilverlust beitrug und ihre Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit beschleunigte. Das Dilemma liegt auf der Hand: Wer nichts von Grund auf ändern will, kann allenfalls Scheinblüten treiben, die Friedensbemühungen vorgaukeln, um die SPD zumindest als das vermeintlich kleinere Übel für Teile der Wählerschaft akzeptabel zu machen.

Regt sich Widerstand gegen einen Aspekt der Aufrüstung, ist das zu begrüßen - sofern diesem Auftakt weitere Schritte folgen, welche eine Gegenposition ausbauen und festigen. Bleibt es jedoch bei plakativen Einwürfen, muß man im Gegenteil von einer Strategie der Einbindung ausgehen, die vorhandene Einwände in der Bevölkerung aufgreift, um sie zu neutralisieren. Dann wäre es fatal, Teilen der SPD "immerhin" die Bereitschaft zu attestieren, alte Fragen der Antikriegsbewegung neu aufzuwerfen, als sei mit den Sozialdemokraten bereits ein zuverlässiger Bündnispartner gewonnen. Wenngleich es innerhalb der Partei rumort, seit sie sich eine neue Führung verpaßt hat, und ein gewisser Machtkampf um die rüstungspolitische Ausrichtung im Raum steht, bleibt es bei einem Sturm im Wasserglas, ehe daraus nicht angemessene Konsequenzen gezogen werden.

Das etwas im Busche ist, zeichnete sich angesichts der überraschenden Nachricht ab, daß die SPD-Fraktionsspitze Hans-Peter Bartels als Wehrbeauftragten des Bundestags absägen will. Wie Fraktionschef Rolf Mützenich in einem Brief an seine Fraktion erklärte, soll die Justizpolitikerin Eva Högl zur im Mai anstehenden Wahl der Wehrbeauftragten antreten. Sie bringe alle Voraussetzungen mit, um dieses Amt erfolgreich auszuüben. Mit Bartels, der in seiner Funktion fast schon eine überparteilich anerkannte Institution geworden ist, hatte offenbar niemand darüber gesprochen, was man durchaus als Affront bezeichnen kann. Mützenich gilt als Befürworter einer weniger rabiaten Militarisierung und hat beispielsweise das Zwei-Prozent-Ziel der NATO als einen "Tanz um das Goldene Kalb" bezeichnet. Als die große Koalition ihre Arbeit aufnahm, hatte maßgeblich er strengere Exportregeln wie insbesondere das vorläufige Exportverbot für Saudi-Arabien in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Nun versucht er offenbar, zusammen mit den Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken Signale zu setzen, die sich als tendentielle Kurskorrektur auslegen lassen.

Bartels hat sich einen Ruf als Anwalt der Soldatinnen und Soldaten gemacht, indem er in seinem alljährlichen Wehrbericht immer wieder einen mangelhaften Ausrüstungsstand der Bundeswehr geltend machte und sich darüber hinaus in übergeordnete Fragen der Verteidigungspolitik einmischte. Er beharrte darauf, daß die Truppe eine volle Ausstattung erhalten müsse und prägte die ideologische Unterfütterung, es handle sich nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung. Die Bundeswehr müsse in die Lage gebracht werden, die vielen Aufgaben, die ihr die Politik auflaste, auch mit einem vollen Arsenal zu erfüllen. Er beschwor den unter Militaristen herrschenden Konsens, daß der Materialzustand der deutschen Streitkräfte schwer zu wünschen übriglasse, und drängte Bundesregierung und Bundestag allenthalben, ihrer Verantwortung gegenüber der Bundeswehr gerecht zu werden. Den profilierten Verteidigungspolitiker durch die Berliner SPD-Abgeordnete Högl zu ersetzen, die zwar als kompetente Rechtspolitikerin gilt, jedoch keinerlei Erfahrung im Rüstungsbereich vorzuweisen hat, wurde denn auch von Leitmedien wie dem Deutschlandfunk als "Kurs ins verteidigungspolitische Nirvana" gegeißelt. [2]

Endgültig eskalieren ließ die Kontroverse dann die Parteispitze der SPD mit ihrer Forderung, die nukleare Teilhabe zu beenden. Mützenich brachte den Abzug der US-Atomwaffen ins Gespräch, welche die Sicherheit Deutschlands nicht erhöhten, und verwies überdies darauf, daß US-Präsident Donald Trump ein unsicherer Kantonist sei. In dieselbe Kerbe schlug Walter-Borjans: "Ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen." Deshalb lehne er es ab, "Nachfolger für die Kampfflugzeuge zu beschaffen, die für den Einsatz als Atombomber vorgesehen sind". Teilhabe klinge "nach harmloser Geselligkeit", in Wahrheit diene sie aber dem Einsatz einer "menschenverachtenden Waffengattung" ohne die Möglichkeit echter Mitsprache Deutschlands und in einer Zeit, in der ein "unberechenbarer US-Präsident das vorbehaltlose Vertrauen in den wichtigsten Bündnispartner sehr in Frage stellt und den Einsatz ,kleiner' Atomwaffen als Option sieht".

Das blieb auch innerhalb der SPD nicht unwidersprochen, deren verteidigungspolitische Sprecher, Fritz Felgentreu, postwendend argumentierte: "Wenn Deutschland sich aus der Abschreckung durch nukleare Teilhabe zurückzieht, dann verlieren wir Einfluss auf die Nuklearstrategie der Nato. Gerade weil wir uns für Dialog, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung einsetzen, wäre das nicht erstrebenswert." Und der Vorsitzende des Unterausschusses Abrüstung, Karl-Heinz Brunner, merkte an, er sei zwar "kein glühender Verfechter der nukleare Teilhabe", halte sie aber für "deutlich besser als keine Teilhabe", denn sie gebe Deutschland "echte Mitsprache". Die letzte Entscheidung über den Einsatz amerikanischer Atomwaffen von deutschem Boden aus liege dadurch "immer beim Bundeskanzler". [3]

Der argumentativen Volte, ein Atomkrieg sei durch nukleare Teilhabe am ehesten zu verhindern, schloß sich auch Außenminister Heiko Maas an: "Unsere Außen- und Sicherheitspolitik darf nie ein deutscher Sonderweg sein. Einseitige Schritte, die das Vertrauen unserer engsten Partner und europäischen Nachbarn untergraben, bringen uns dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht näher. Im Gegenteil: Sie schwächen unsere Bündnisse." Statt bei den Partnern als starke Stimme für Abrüstung und Rüstungskontrolle mitzureden, säße Deutschland bei den entscheidenden Debatten nicht mehr mit am Tisch, so der SPD-Politiker.

Damit Atomwaffen "ein für alle Mal verschwinden, müssen sie überall vernichtet werden". Dafür brauche es internationale Vereinbarungen auf breiter Basis, "und an solchen Vereinbarungen arbeiten wir mit aller Kraft", so Maas. Deutschland habe das Thema nukleare Abrüstung erstmals seit Jahren wieder auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gesetzt und mit den Außenministern der 16 Staaten der sogenannten Stockholm-Gruppe "erst vor wenigen Wochen über weitere Schritte hin zu nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung verständigt, um dringend benötigte Fortschritte bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in diesem Jahr zu erzielen". "Auch die internationale Debatte über die Kontrolle neuer moderner Waffensysteme treiben wir voran." Je unberechenbarer Nuklearmächte sich verhielten, "desto mehr sind wir als Friedensmacht gefragt und dürfen diese Debatte nicht allein anderen überlassen". Die internationalen Rahmenbedingungen dafür seien in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. "Mit umso mehr Energie haben wir konkrete Abrüstungsinitiativen gestartet." [4]

Beim Streit um US-Atomwaffen und die nukleare Teilhabe geht es um weit mehr als nur neue Kampfjets, rührt diese Kontroverse doch an Deutschlands militärischer Bedeutung in der Welt. Im März 1955 brachten die US-Streitkräfte die ersten atomaren Fliegerbomben in die Bundesrepublik, doch der Regierung von Kanzler Konrad Adenauer reichte das nicht. Obwohl sich die Bundesrepublik verpflichtet hatte, auf atomare, biologische und chemische Waffen zu verzichten, verfolgte Adenauer die Idee eines eigenen Arsenals. Er zweifelte an den Sicherheitsgarantien der Amerikaner und wollte gemeinsam mit Frankreich und Italien eine europäische Nuklearbewaffnung vorantreiben, worin ihn Franz Josef Strauß unterstützte, der vom Atom- zum Verteidigungsminister avancierte.

In den USA trachteten hingegen sowohl Präsident John F. Kennedy als auch sein Nachfolger Lyndon B. Johnson danach, die Verbreitung von Atomwaffen zu begrenzen und die NATO zu stärken, auch um den Einfluß der USA in Europa zu wahren und das Entstehen eines europäischen Blocks außerhalb der NATO zu verhindern. Daraus wurde schließlich das Konzept der nuklearen Teilhabe geboren. Dabei blieben die US-Atomwaffen bis zum tatsächlichen Einsatz physisch wie politisch unter der ausschließlichen Kontrolle der USA. Nur der Präsident kann sie mit speziellen Codes freigeben, nur US-Soldaten können die Waffen scharf machen. Sie werden dann aber von Kampfjets europäischer NATO-Staaten ins Ziel getragen, was angeblich die letzte Mitsprache der Alliierten sichert. Zugleich wurde 1966 die nukleare Planungsgruppe bei der NATO eingerichtet, bis heute das zentrale Gremium der Allianz bei der Nuklearstrategie. Die politische Mitbestimmung in diesem Gremium gilt in Berliner Regierungskreisen als zentrales Argument gegen einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe. [5]

In Europa sind derzeit noch etwa 150 taktische Atomwaffen der USA stationiert. Auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern rund 20 Atombomben vom Typ B-61, weitere Stützpunkte gibt es in Belgien, Italien und den Niederlanden sowie in der Türkei. Wie schlecht es um die Teilhabe bestellt ist, dokumentierte der Bericht, daß die Bomben im Herbst 2019 unbemerkt von der Öffentlichkeit für 48 Stunden in die USA ausgeflogen wurden, um sie mit neuer Software zu modernisieren. Dies ist Teil eines aufwendigen Programms der USA, um die Lebensdauer der Bomben bis ins Jahr 2040 zu verlängern. Die Bundesregierung hatte dabei nichts zu sagen, sie wurde nur kurzfristig davon in Kenntnis gesetzt und hielt Kräfte der Bundeswehr für einen Extremfall wie jenen bereit, daß die Frachtmaschine mit den Bomben an Bord über deutschem Staatsgebiet abgestürzt wäre.

Die Forderung nach Abzug der US-Atombomben ist in deutschen Regierungskreisen nicht neu, war doch zur Zeit der schwarz-gelben Koalition Guido Westerwelle als Außenminister mit einer entsprechenden Initiative gescheitert. Im Bundestagswahlkampf 2017 versprach Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat, sich dafür einzusetzen, was bekanntlich folgenlos blieb. Nun greifen Mützenich, Walter-Borjans und Esken das Thema abermals auf, womit sie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in die Parade fahren, die atomwaffenfähige US-Kampfflugzeuge vom Typ F-18 als Ersatz für den in die Jahre gekommenen Tornado beschaffen will. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, mit Blick auf ein später eventuell mögliches Regierungsbündnis mit Linken und Grünen nach Wahlkampfthemen zu suchen, ohne dies offen einzuräumen. Die nukleare Abschreckung sei für die Sicherheit Europas unverzichtbar, erklärte denn auch Johann Wadephul von der CDU. "Wenn Spitzenvertreter von Partei und Fraktion der SPD dies infrage stellen, ist es ein verheerendes Signal für Deutschlands Sicherheitspolitik." Das könne die CDU/CSU-Fraktion nicht akzeptieren. Noch schärfer reagierte die FDP. Die Äußerungen Mützenichs seien "populistisch und einer Regierungsfraktion unwürdig", kritisierte der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Bijan Djir-Sarai. Für ein wenig innenpolitischen Applaus sei er offensichtlich bereit, Deutschland in der NATO zu isolieren und damit die Sicherheitsarchitektur in Europa zu gefährden. [6]

Das Führungstrio der SPD hat also für heftige Turbulenzen in der eigenen Partei wie auch der Koalition gesorgt, doch halten sich die vorgeblich spektakulären Forderungen in engen Grenzen. Wenngleich sie nicht so dick auftragen wie Heiko Maas, der Deutschland zur Friedensmacht und die SPD zu deren erster Garantin erklärt, stellt auch Mützenich den deutschen Einfluß auf dem militaristischen Feld nicht in Frage: "Wir sollten als Deutsche selbstbewusst fordern, die Nuklearstrategie der Nato auch dann mit zu prägen, wenn keine Nuklearwaffen mehr auf unserem Gebiet lagern." Eine substantielle Position gegen Aufrüstung und Krieg sieht anders aus.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/politik/maas-reagiert-auf-muetzenichs-atomwaffen-forderung-unsere-aussen-und-sicherheitspolitik-darf-nie-ein-deutscher-sonderweg-sein/25794166.html

[2] www.deutschlandfunk.de/wehrbeauftragter-bartels-abgesaegt-spd-auf-kurs-ins.720.de.html

[3] www.faz.net/2.1677/spd-streitet-ueber-nukleare-teilhabe-deutschlands-16751148.html

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-gegen-deutschen-sonderweg-bei-atomwaffen-a-52e164f1-5f3a-4d84-8e31-357df9432a18

[5] www.sueddeutsche.de/politik/atomwaffen-atombombe-1.4897147

5. Mai 2020


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