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KRIEG/1781: Nie wieder Krieg - es sei mit anderen Mitteln ... (SB)



Unsere Bundeswehr ist tatsächlich eine Friedens-Streitmacht. Sie ist keine Eroberungs-Armee, die andere Länder unterwirft. Sondern unsere Soldatinnen und Soldaten setzen das um, was wir alle aus der Geschichte gelernt haben: Verantwortung für die Menschenrechte zu übernehmen - auch und gerade dort, wo deutsche Armeen in der Vergangenheit Terror und Verbrechen über die Völker gebracht haben.
Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Öffentlichen Gelöbnis von Rekruten der Bundeswehr am 20. Juli 1999 in Berlin [1]

Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes werden einst bedeutsame Aussagen wie diejenige, "dass von unserem Land nie wieder Krieg und Unterdrückung ausgehen" (Rheinpfalz-Zeitung) dürfe, noch einmal aus dem Schrank geholt und abgestaubt, bevor sie auf immer in ihm verschwinden. Elegant umschifft werden nicht nur der Überfall auf Jugoslawien unter Beteiligung der Bundeswehr, sondern zahlreiche Kriegseinsätze in aller Welt. Schon die in den 1950er Jahren von Millionen Menschen betriebene Opposition gegen die Wiederbewaffnung der BRD, gerade einmal 10 Jahre nach den Schrecken des von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieges, lief gegen die Wand imperialistischer Realpolitik, die sich um die Blockbildung im Rahmen der NATO zentrierte. Bis heute prallen die Rufe nach einem Ende des Krieges, der Abschaffung der Bundeswehr und der Einstellung der Rüstungsproduktion an Interessen ab, über die auch an einem Gedenktag wie dem 8. Mai 2020 lieber geschwiegen wird.

Warum werden Kriege unter Beteiligung der Bundeswehr geführt? Weil die Bundesrepublik ein auf den Weltmarkt angewiesener Akteur ist, dessen Industrieprodukte und Güter nicht ohne erhebliche Ressourcenlieferungen aus und Ausbeutung billiger Arbeitskraft in anderen Ländern produziert werden könnten. Die Welthandelsordnung ist in den letzten Jahren ausgiebig analysiert und kritisiert worden, so in den Kampagnen gegen die Freihandelsverträge CETA und TTIP, aber auch im Zusammenhang mit der Beschränkung der Klimakrise. Die von transnationalen Konzernen mit Standort in Nordamerika und Westeuropa betriebene Extraktion agrarischer und mineralischer Rohstoffe im Globalen Süden, mit denen die industrielle Produktion von Tierprotein, Gebrauchsgütern und Industrieanlagen in Deutschland angefeuert wird, ist in ihrer ökologischen und sozialen Zerstörungskraft wohlbekannt.

Meist reicht die Kritik jedoch nicht weiter als zur Einführung "fairer" Handelspraktiken aufzufordern, als könne es in der kapitalistischen Verwertungslogik so etwas wie ein moralisches Neutrum der Vergleichbarkeit von Arbeit und Kapital geben. Hapert es schon an fundamentaler Kapitalismuskritik, so wird die Frage, was eigentlich die Bereitschaft mittelloser Bevölkerungen begründet, sich ausbeuterischen und verelendenden Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, erst recht gemieden. Die Kette der Abhängigkeitsverhältnisse ein wenig weitergedacht zeigt sich schnell, daß alle ökonomische Gewalt militärischer Durchsetzung bedarf, auch wenn es sich um die letztinstanzliche Androhung kriegerischer Aggression handelt.

Die Klimaschutzbewegung hätte aufgrund der primären Destruktivkraft hochgerüsteter Streitkräfte, ihres immensen Rohstoffverbrauchs, der erheblichen Freisetzung von Treibhausgasen und der Bombardierung mit viel Arbeit und Materialeinsatz errichteter Städte und Industrien allen Grund, ihre Forderungen um ein antimilitaristisches Credo zu erweitern. Das gilt um so mehr, als die Rolle der Streitkräfte bei der Durchsetzung sozialökologisch destruktiver Gesellschaftsordnungen nicht zu unterschätzen ist. Die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung und die von ihr in Gang gehaltene Kapitalakkumulation um ihrer selbst willen wäre ohne Waffengewalt längst Geschichte, wenn hungernde und notleidende Menschen nicht durch die Läufe der Gewehre daran gehindert würden, das Naheliegende zu tun.

Was den am 8. Mai bekräftigten Schwur "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" (Braunschweiger Zeitung) betrifft, so sei aus aktuellem Anlaß unter den vielen Beispielen für das realpolitische Dementieren der Gültigkeit dieser Formel an die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland erinnert. Am 7. Mai verstarb Ibrahim Gökcek, Bassist der Musikgruppe Grup Yorum [2], in Istanbul an den Folgen eines 323 Tage währenden Hungerstreiks, mit dem unter anderem eine Auftrittserlaubnis für die populäre linksradikale Band erkämpft werden sollte. Den Despoten in Ankara treibt die Angst vor revolutionären Liedern und der Begeisterung, die sie in der Bevölkerung hervorrufen können, um. Dafür scheint die Bundesregierung großes Verständnis zu haben, wurde den aus der Türkei zu Konzerten hierzulande anreisenden MusikerInnen der Band seit 2014, als ihr letztes großes Konzert gegen Rassismus und Faschismus in Oberhausen stattfand, doch immer wieder die Einreise verwehrt.

Das faktische Auftrittsverbot Grup Yorums sowie die politische Verfolgung von UnterstützerInnen der Gruppe, über die zum Teil mehrjährige Haftstrafen für ihre Mitarbeit an der Organisation von Konzerten nach dem Gesinnungsparagraphen 129 b verhängt wurden, berufen sich auf die angebliche Nähe Grup Yorums zur DHKP/C, was die Mitglieder der Band immer bestritten haben. So betreibt die Bundesregierung in Sachwalterschaft des Kampfes der türkischen AKP/MHP-Regierung gegen die innere linke Opposition die Unterdrückung freier linksradikaler Kultur in der Türkei und in Deutschland. Das ist ein Teil eines Gesamtpaketes, das insbesondere der Flüchtlingsabwehr gewidmet ist, die das maßgeblich von der Bundesregierung verhandelte EU-Türkei-Abkommen zum Gegenstand hat. Gleichzeitig lassen Deutschland und die NATO der Türkei freie Hand, wenn sie in die kurdischen Gebiete in Nordsyrien einfällt und das dort von InternationalistInnen aus aller Welt unterstützte Autonomiegebiet Rojava bedroht.

Sogenannte doppelte Standards in der Politik sind nichts Neues, sondern funktionaler Ausdruck ansonsten nicht zu harmonisierender Widersprüche. Es führt nicht weit, sich über die doppelbödige Politik dieser und anderer Regierungen zu empören. Wenn ein SPD-Kanzler wie Gerhard Schröder behauptet, die deutsche Kriegführung sei sakrosankt, gerade weil sie in den Spuren der Aggressionskriege des Hitlerfaschismus wandelt, hat das 21 Jahre später fast nur noch anekdotischen Wert. Die prinzipielle Komplementarität von Kriegen, die die Grenze der territorialen Landesverteidigung überschreiten, zu widerlegen gelingt nur mit spitzfindigen Winkelzügen wie demjenigen Joseph Fischers, der tatsächlich meinte, den Krieg gegen das NS-Opfer Jugoslawien mit Auschwitz begründen zu können. Wer bei diesem Parteivorsitzenden in die Schule gegangen ist, rechtfertigt heute noch und wieder den deutschen Militarismus mit lodengrüner Selbstherrlichkeit.

Viel mehr wäre erreicht, wenn die Bedeutung der staatlicher Kriegführung als zentraler Pfeiler neokolonialistischer Ausbeutung und patriarchaler Naturzerstörung im Bewußtsein junger KlimaaktivistInnen denjenigen Platz einnähme, der ihm gebührt. Der Kampf um die Zukunft ist vom Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen nicht zu trennen, und wer dabei die hohe Feuerkraft der SachwalterInnen fossiler Energie und extraktivistischer Ressourcenpolitik zu gering schätzt, dem könnte ein böses Erwachen bevorstehen.


Fußnoten:

[1] http://adrien.barbaresi.eu/corpora/speeches/BR/t/37.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0034.html

8. Mai 2020


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