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KRIEG/1781: Bundeswehr - Drohnenbewaffnung frei ... (SB)



Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen.
Aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD [1]

Seit einem Jahrzehnt versucht die Bundeswehr, ihre Kriegsführung mit bewaffneten Drohnen zu befeuern. Doch mit dem blutigen Drohnenkrieg der USA vor Augen, ist die deutsche Bevölkerung dieser Modernisierung des Mordens so abgeneigt, daß Teile des politischen Apparats wie die SPD bislang in dieser Frage bremsen. Da in den Planungen zur weiteren Aufrüstung die Beschaffung waffenfähiger Drohnen jedoch längst vorgesehen ist und weit darüber hinaus komplexe Projekte des Luftkriegs der Zukunft geschmiedet werden, hält die militaristische Führungsriege die Zeit für gekommen, endlich den langersehnten Durchbruch an der Akzeptanzfront zu schaffen. Daher wird eine angeblich breite gesellschaftliche Diskussion simuliert, die der Öffentlichkeit im Showformat von Pro und Contra vor Augen führt, daß bei sorgfältiger Abwägung der beiderseitigen Argumente die Vernunft allemal den Ausschlag für das heißbegehrte Kriegsgerät gibt. Diese Farce erlaubt es den Sozialdemokraten, ihr ohnehin kaum noch erkennbares Gesicht zu wahren und die Kurve zur Zustimmung zu kratzen, so daß die Koalition die Umsetzung dessen auf den Weg bringen kann, was sie ohnehin vorgebahnt hat.

Dabei kommt den Protagonisten deutscher Kriegsvorbereitung und Kriegsführung natürlich entgegen, daß sich ein ganz erheblicher Teil der kritischen Einwände lediglich gegen bewaffnete Drohnen, nicht aber die Auslandseinsätze der Bundeswehr oder gar die Truppe als solche im Kontext imperialistischer Aggression richtet. Wer zustimmt, daß "unsere" Soldatinnen und Soldaten bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe, unsere Freiheit und Sicherheit in aller Welt zu verteidigen, bestmöglich geschützt und effektiv ausgestattet sein sollen, ist in der Drohnenfrage so gut wie über den Tisch gezogen. Denn die Anhörung setzt die Zustimmung zu einer wohlgerüsteten Bundeswehr wie selbstverständlich voraus und versucht glauben zu machen, daß die Kritik auf unbegründeten Ängsten und Fehlannahmen beruhe.

Die Vorgeschichte reicht weit bis ins Jahr 2009 zurück, als die Kontroverse um bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr ihren Anfang nahm. 2012 warb der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière für ihre Beschaffung, indem er sie als "ethisch neutrale Waffen" bezeichnete und fragte: "Flugzeuge dürfen Waffen tragen. Warum also sollen unbemannte Flugsysteme das nicht dürfen?" Er bezeichnete es als einen Fehler der US-Regierung, mutmaßliche Terroristen mit unbemannten Flugzeugen zu bekämpfen, ohne selbst Soldaten in die betreffenden Länder entsandt zu haben, da dies mehr Extremismus schaffe, als beseitige. Bekanntlich keine Friedenstaube, sondern ein hochkarätiger Technokrat der äußeren und inneren Sicherheit, konstruierte de Maizière sodann einen grundsätzlichen Unterschied der jeweiligen Kriegsführung, der sich bis heute als Scheinargument durch die Debatte zieht. Nach deutscher Rechtslage sei die Bundeswehr als Teil der Exekutive gemäß Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes an Recht und Gesetz gebunden und eine Parlamentsarmee: Mißtrauten die Abgeordneten des Bundestags dem Einsatz von Drohnen durch die Streitkräfte, dann mißtrauen sie sich selbst, da sie ja nicht nur jedes Mandat für einen Auslandseinsatz, sondern auch die Einsatzregeln bestimmt hätten. [2]

Als sich Union und SPD dennoch nicht einigen konnten, stellte Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen 2013 eine "gesellschaftliche Debatte" in Aussicht, die "alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen" werde. Diese Debatte wurde nie geführt, sondern erschöpfte sich in einer Expertenanhörung im Verteidigungsausschuß des Bundestags im Juni 2014. Vertreter der Bundeswehr plädierten für die Kampfdrohne und argumentierten mit dem besseren Schutz der eigenen Soldaten. Friedensforscher und Militarisierungsgegner lehnten dies mit der Begründung ab, solche Drohnen senkten die Hemmschwelle, Kriege zu führen. Einige Rechtswissenschaftler verneinten besondere völkerrechtlichen Bedenken: Welches Waffensystem die Bundeswehr auch einsetze, völkerrechtswidrige Tötungen und unverhältnismäßig hohe Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung seien so oder so verboten. Die Union wollte Kampfdrohnen so schnell wie möglich, Linke und Grüne lehnten sie ab, und die SPD lavierte, die Zeit für eine Entscheidung sei noch nicht reif.

Nachdem Thomas de Maizière beinahe über die Beschaffung einer europäischen Version der US-amerikanischen Riesendrohne Global Hawk gestürzt wäre, ließ es Ursula von der Leyen vorsichtiger angehen. Sie bestellte zwar mit den israelischen Heron TP neue Aufklärungsdrohnen, die im Gegensatz zur bislang in der Bundeswehr eingesetzten Heron I bewaffnungsfähig sind. Die passende Bewaffnung wurde jedoch nicht geordert, und bei der Schulung deutschen Personals in Israel durften Angriffe nicht einmal simuliert werden. Im Grunde sind aber die wesentlichen Voraussetzungen geschaffen, da es nur noch einer endgültig umfallenden SPD bedarf, um die zugehörige Bewaffnung anzuschaffen.

Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD aus dem Jahr 2018 wiederholte sich das Spiel. Über die Beschaffung von Waffen für die Heron TP werde "der Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden", heißt es darin nahezu wortgleich wie im Vorgängertext. Und als sei es nicht selbstverständlich betonten die Vertragspartner zudem: "Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen." [3]

Frei nach dem Motto, daß stetes Wasser den Stein höhle, sprach sich als nächste Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Dezember 2019 bei einem Truppenbesuch in Afghanistan für bewaffnete Drohnen aus: "Wenn ich den Wunsch der Soldaten hier mitnehme, und ich kann ihn ehrlich gesagt nachvollziehen, dann spricht vieles für die Bewaffnung der Drohne." Die CDU-Chefin verwies in Kundus auf den Eigenschutz der Soldaten: Und dabei müsse man ernsthaft fragen, "ob wir mit Blick auf das Leben der Soldaten es wirklich unterlassen, das was wir an Möglichkeiten haben, auch einzusetzen". Damit war das Feld der Debatte abgesteckt: Der deutsche Einsatz von Kampfdrohnen sei nicht mit dem der USA zu vergleichen, da er rechtlich gesichert sei und dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz diene.

Auf diese Kernargumente konzentrierten sich die Befürworter einer Bewaffnung nun bei einer im Internet übertragenen Podiumsdiskussion als Auftakt einer "offenen Debatte über eine mögliche Bewaffnung von Drohnen", zu der das Verteidigungsministerium eingeladen hatte, um die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Abermals wurden von Abgeordneten aller Fraktionen wie auch Militärs, Geistlichen und Völkerrechtlern politische, ethische und rechtliche Aspekte erörtert. Staatssekretär Peter Tauber sprach von "einem der wichtigsten und kontroversesten verteidigungspolitischen Themen dieser Tage", über das die Gesellschaft "ehrlich und vorbehaltlos" debattieren müsse. Für ihn gehe es um die Frage, ob den Soldaten der Bundeswehr zuzutrauen sei, daß sie mit diesen Waffen "nach klaren Einsatzregeln so verantwortungsvoll umgehen, wie sie das sonst tun", sagte Tauber und gab selbst eine Antwort: "Ich meine, dass wir dieses Vertrauen haben sollen." Das Bild vom Einsatz bewaffneter Drohnen in Deutschland werde von der Art und Weise geprägt, wie beispielsweise die USA sie nutzten und woran es berechtigte Kritik gebe. Das wäre aber nach deutschem Recht gar nicht möglich und könne damit auch nicht Diskussionsgrundlage sein. Es gelte deutlich zu machen, daß die Bundeswehr damit flexibler auf eine Bedrohung der eigenen Bodentruppen reagieren und diese besser schützen könne.

Mit schwerem moralischen Geschütz vorgelegt hatte der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner: "Wenn Sie gegen dieses protektive Waffensystem sind, entgegen den Forderungen aus den Einsatzgebieten: nun denn. Aber dann entsenden Sie nie wieder Soldaten in Konfliktgebiete. Denn wenn in Mali oder sonst wo Kameraden fallen, weil Sie mit Nein gestimmt haben, dann sind das auch Ihre Gefallenen." In gleichem Sinn argumentierte bei der Anhörung Generalinspekteur Eberhard Zorn, der anhand eines Beispiels aus dem deutschen Camp Pamir in Kundus erläuterte, daß den Bundeswehrsoldaten die Hände gebunden seien, weil sie im Angriffsfall zwar per Drohne beobachten, aber den Beschuß nicht verhindern könnten. Wäre die deutsche Aufklärungsdrohne bewaffnet gewesen, hätte man sich durchaus wehren können: "Wir, die Bundeswehr, wollen Drohnen zu unserer eigenen Verteidigung und zu unserem eigenen Schutz einsetzen." Diese Waffensysteme seien keine Kampfroboter, ihr Einsatz nicht automatisiert, denn letzter Entscheider über das Abfeuern der Waffe bleibe der Mensch.

Der SPD-Politiker und scheidende Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, erklärte, mit dem Szenario eines unerklärten weltweiten Kriegs "unserer amerikanischen Freunde" sei der deutsche Standard, wo das Parlament über Einsätze und deren Regeln befinde, überhaupt nicht vergleichbar. Er wolle der Bundeswehr den Schutz durch bewaffnete Drohnen nicht vorenthalten. [4] Auch der verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, Fritz Felgentreu, beteuerte, die Koalition werde in der Frage "entscheidungsfähig" werden. Seine Bedingung sei lediglich, daß die Einsatzmodalitäten bewaffneter Drohnen detailliert schriftlich festgelegt würden. Wenngleich es noch innerparteiliche Kontroversen kosten dürfte, da der Fraktionschef Rolf Mützenich und die beiden Vorsitzenden vorerst mit entgegengesetzten Tendenzen aufwarten, ist eine dauerhafte Ablehnung der SPD eher nicht zu erwarten, zumal sie in dieser Legislaturperiode bereits der Beschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen zugestimmt hat.

Die Union ist natürlich uneingeschränkt für Kampfdrohnen, ähnlich positionierten sich AfD und FDP, während sich die Grünen und Die Linke dagegen aussprachen. Der Linken-Wehrexperte Andrej Hunko kritisierte die Anhörung als Farce, da Anschaffung und Einsatz solcher Waffen längst konkret vorbereitet würden, wie er in einer schriftlichen Mitteilung erklärte. "Natürlich wird die Koalition die Bewaffnung beschließen, egal was bei der 'Drohnendebatte' herauskommt." Der Abgeordnete berichtete von Plänen des Ministeriums, bereits 2021 die Kampfdrohne Heron TP zur Unterstützung des deutschen Einsatzes nach Afghanistan zu verlegen.

Als Argumente gegen Kampfdrohnen führten Kritiker ins Feld, daß sie die Hemmschwelle zum Krieg senken, weil das Risiko für die eigenen Streitkräfte verringert wird und damit auch die politischen Kosten sinken. Und sie führen zu einer Entgrenzung des Kriegs, wie der extensive Drohneneinsatz im Jemen oder in Somalia auf dramatische Weise zeigten. Sie seien nicht entwickelt worden, um Soldatinnen und Soldaten im Gefecht zu schützen, sondern für illegale Tötungen außerhalb bewaffneter Konflikte mit einer hohen Zahl ziviler Opfer. Auch laufe dies auf eine zukünftige Kriegsführung mit automatisierten Waffensystemen unter schwindendem Einfluß des Menschen hinaus. Andrej Hunko ging an anderer Stelle noch dezidierter auf die neue Drohne Heron TP ein, von der die Bundeswehr sieben Exemplare aus Israel beschafft. Sie sollen ab 2021 in Afghanistan die dort geflogenen Heron 1 ersetzen und ab 2024 in Mali zum Einsatz kommen. Jedes neue Waffensystem der Bundeswehr müsse eine mehrjährige Zertifizierung durchlaufen, die für Heron TP bereits eingeleitet wurde, die dabei nicht als Aufklärer, sondern als Waffensystem behandelt wird. Mit der Anschaffung von Kampfdrohnen beteilige sich die Bundeswehr an einem Wettrüsten um automatisierte Kriegsführung, das längst in vollem Gange sei. [5]

Während die langjährige Kampfdrohnendebatte in Deutschland schwelt, haben unterdessen sieben andere Staaten bewaffnete Drohnen beschafft oder sogar entwickelt. Geplant ist in der Bundesrepublik bereits, die Heron TP nach neun Jahren durch 20 Eurodrohnen zu ersetzen, die Airbus derzeit federführend entwickelt. Dafür wird der Luftwaffenstützpunkt im schleswig-holsteinischen Jagel mit einem dreistelligen Millionenbetrag ausgebaut. Wie Hans-Peter Bartels betont euphemistisch anmerkte, dürfe die seit 2009 laufende Diskussion nun "auch gern zu einem Ende kommen". Eben dies bezweckte die Podiumsdiskussion unter dem Radar der Coronakrise. Was den Eindruck einer offenen gesellschaftlichen Debatte erwecken soll, erweist sich als Nebelkerze, die eine koalitionspolitische Formalie erfüllt und Zustimmung erwirtschaften soll, auf daß die Bundeswehr endlich auch auf diesem Gebiet bekommt, was ihr Herz begehrt und das deutsche Vormachtstreben mit entsprechender Feuerkraft unterfüttert.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/politik/inland/braucht-die-bundeswehr-bewaffnete-drohnen-16764837.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/article207898999/Streit-ueber-Kampfdrohnen-Dann-sind-das-auch-Ihre-Gefallenen.html

[3] www.dw.com/de/bundeswehr-bedingt-abwehrbereit/a-53374581

[4] www.tagesschau.de/inland/drohne-bundeswehr-debatte-103.html

[5] www.jungewelt.de/artikel/378133.militarismus-alibidebatte-um-drohnen.html

12. Mai 2020


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