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INTERVENTION/009: Mali - Konfliktforscher warnen vor ECOWAS-Militäreinsatz im Norden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012

Mali: Konfliktforscher warnen vor ECOWAS-Militäreinsatz im Norden

von Souleymane Faye


Der Konflikt im Norden Malis hat seit Januar fast 270.000 Menschen vertrieben - Bild: © William Lloyd-George/IPS

Der Konflikt im Norden Malis hat seit Januar fast 270.000 Menschen vertrieben
Bild: © William Lloyd-George/IPS

Dakar, 20. August (IPS) - Ein militärischer Einsatz westafrikanischer Staaten gegen die Aufständischen im Norden Malis wäre ohne die diplomatische Unterstützung der Nachbarn Algerien und Mauretanien brandgefährlich. Darauf hat das renommierte Konfliktforschungsinstitut 'International Crisis Group' (ICG) mit Sitz in Brüssel hingewiesen und Mali empfohlen, zunächst den Übergangsprozess zum Abschluss zu bringen.

Die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) ist nach eigenen Angaben bereit, Truppen in den Norden Malis zu entsenden, um der malischen Interimsregierung bei der Bekämpfung der Rebellen zu helfen, die seit März den Norden des Landes kontrollieren. Doch einem ICG-Bericht zufolge ist es von essenzieller Bedeutung, sich die diplomatische Hilfe der Nicht-ECOWAS-Staaten Algerien und Mauretanien zu sichern, die Einfluss auf die bewaffneten Gruppen hätten.

Eine bewaffnete Intervention der ECOWAS berge immense Risiken. So könnte die Krise auf die Nachbarländer überspringen, die ohnedies allesamt Verbindungen zu bewaffneten Gruppen oder Gemeinschaften hätten, die ursprünglich aus dem Norden Malis stammten. Das Risiko, dass weite Teile des malischen Norden in die Hände islamistischer Gruppen fallen könnten, rechtfertige keine Intervention politisch und militärisch instabiler ECOWAS-Staaten, so Gilles Yabi, Leiter des ICG-Westafrika-Programms, im Gespräch mit IPS.

Der malische Norden werde bereits zu großen Teilen von islamistischen Bewegungen und insbesondere von 'Ansar Dine' und der Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika (MUJWA) kontrolliert. Beiden seien mit der Al Qaeda im islamischen Maghreb (AQIM) verbandelt, erläuterte der Experte. Die Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) hingegen habe an Einfluss verloren.


Langfristiger Prozess

"Wir müssen akzeptieren, dass sich eine Reintegration des Nordens in den malischen Staat nicht in kurzer Zeit erreichen lässt", betonte Yabi. "Auch wenn die ECOWAS Handlungsbereitschaft signalisiert, verfügt sie nicht über die Möglichkeiten, der malischen Regierung - die selbst im Wiederaufbau befindlich ist - bei der Rückeroberung der von Islamisten eingenommenen Gebiete zu helfen. "Die politischen Bedingungen in Bamako und das Durcheinander innerhalb der malischen Streitkräfte engen diese Option weiter ein. Eine Militärintervention unter solchen Bedingungen wäre extrem gefährlich."

Dem Friedensforscher zufolge sollte sich die malische Regierung vielmehr auf die Bildung der neuen Regierung konzentrieren. Auch gelte es die von dem Übergangspräsidenten Dioncounda Traoré angekündigten Institutionen zu schaffen und die notwendigen politischen, diplomatischen und militärischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der malischen Regierung, ECOWAS, Algerien und Mauretanien zu schaffen. Vorher sei überhaupt nicht daran zu denken, den UN-Sicherheitsrat um die Genehmigung für eine externe militärische Intervention zu bitten.

Auf die Frage, ob mit einer massiven Infiltration der malischen Nachbarländer durch Ansar Dine und AQMI zu rechnen sei, antwortete Yabi, dass es darauf ankomme, was man unter 'massiv' verstehe. Die Kräfte, die Ansar Dine, MUJWA oder AQMI nahe stehen, könnten leicht in Malis Nachbarländer vordringen, "wenn dies noch nicht geschehen ist".

Im Fall von Algerien und Mauretanien könne man nicht von einer Infiltrierung sprechen. Yabi erinnerte daran, dass AQIM ursprünglich ein Produkt der algerischen Geschichte sei. So sind die Anführer der AQIM mehrheitlich Algerier. Und Mauretanien hat in den letzten Jahren selbst etliche terroristische Anschläge erlebt, die auch von AQMI-nahen Islamisten durchgeführt wurden.

Das Risiko der Infiltration treffe lediglich auf Malis Nachbarn im Süden zu, wo die Grenzen leicht passierbar seien, so der Experte. "Doch die Angst vor einer Invasion dieser südlichen Nachbarstaaten durch Jihadisten erscheint mir nicht wirklich Sinn zu machen. Allerdings könnten motivierte und gut ausgebildete Kräfte durchaus in der Lage sein, ein Land mit Hilfe von Terroranschlägen zu destabilisieren. Wir sollten die Gefahr also nicht unterschätzen."

Der ECOWAS bescheinigt der ICG-Vertreter ein großes Engagement in dem Bemühen, die Krisen in Mali beizulegen. So habe die Organisation Gipfeltreffen organisiert und sich für wirtschaftliche, finanzielle und diplomatische Sanktionen stark gemacht, um nach dem Putsch im März die Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit im Lande zu erzwingen.


Grenzen der ECOWAS

"Doch das Rahmenabkommen, das die burkinischen Unterhändler mit der malischen Junta im Namen der ECOWAS unterzeichneten, hat gemischte, wenn nicht gar widersprüchliche Signale an die militärischen und politischen Akteure des Landes ausgesendet", bedauert Yabi. Gerade wenn es darum gehe, den Worten Taten folgen zu lassen, stoße die ECOWAS an ihre Grenzen. Die Organisation sei für die Schwäche des Rahmenabkommens mitverantwortlich.

Die Mali-Krise lasse keines der Nicht-ECOWAS-Länder kalt, versicherte der Experte. Die diplomatischen Bemühungen der letzten Wochen vor allem in Richtung Algerien hätten gezeigt, dass niemand, der sich in der malischen Krise engagiere, die Bedeutung der ECOWAS-Nachbarn ignoriere. Das gelte auch für Frankreich, dessen Außenminister Laurent Fabius unlängst verschiedene Hauptstädte in der Region besucht habe. "Algerien weiß, was von ihm als regionale Militärmacht und als Vermittler in dieser Krise erwartet wird." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.crisisgroup.org/en/regions/africa/west-africa/mali/189-mali-avoiding-escalation.aspx
http://www.ipsnews.net/2012/08/qa-military-action-in-mali-would-be-a-huge-risk/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012