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KOLLATERAL/028: Sudan - Morde, Massenvergewaltigungen, Vertreibungen, Gräuel durch Regierungssoldaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. September 2015

Sudan: Morde, Massenvergewaltigungen, Vertreibungen - Gräuel durch Regierungssoldaten

von Karina Böckmann


BERLIN (IPS) - Die 'Schnellen Unterstützungskräfte' (RSFs) sind eine militärische Sondereinheit unter dem Kommando der sudanesischen Geheim- und Sicherheitsdienste. Sie wurden Mitte 2013 gegründet, um landesweit aktive Rebellengruppen zu zerschlagen. Ein neuer Bericht schildert das Wüten der RSFs unter der Zivilbevölkerung im westsudanesischen Darfur.

In 'Männer ohne Gnade - Die Angriffe der Schnellen Unterstützungskräfte gegen Zivilisten in Darfur') hält 'Human Rights Watch' (HRW) die großflächigen und systematischen Angriffe fest, die die Einheit in den letzten zwei Jahren in der Unruheregion verübt hat. Demnach wurden im Rahmen zweier Militäroperationen ganze Dörfer niedergebrannt und entvölkert, Brunnen und Nahrungsspeicher zerstört, Menschen gefoltert und umgebracht, Mädchen und Frauen vergewaltigt.

Bei den Einsätzen handelt es sich um die 'Operation entscheidender Sommer' von Ende Februar bis Anfang Mai 2014 in Süd- und Norddarfur, und um die 'Operation entscheidender Sommer II' in und im Umfeld der Gebirgsregion Jebel Marra in Zentraldarfur von Januar bis Juni 2014.

Die Regierungssoldaten seien mit äußerster Brutalität vorgegangen, berichtete eine 38-jährige Überlebende aus einem Dorf nahe der Stadt Golo. "Sie nahmen uns unser Vieh. Sie schlugen unsere Männer. Und dann vergewaltigten sie uns. Manche von uns Frauen wurden von acht bis zehn Männern vergewaltigt." Selbst Minderjährige seien nicht verschont worden.

Nur al-Huda, eine junge Frau aus Golo, schilderte, wie Soldaten ihren Vater umbrachten, als er versuchte, seine Töchter vor den RSFs zu schützen. Er sei zu Tode geprügelt worden. "Nachdem sie ihn getötet hatten, vergewaltigten sie uns drei - mich und meine beiden Schwestern. Und als sie uns vergewaltigt hatten, stahlen sie alles."

Die in Golo im Januar 2015 begangenen Verbrechen sind beispielhaft für die Qualität der von der Sondereinheit und ihren Helfershelfern begangenen Gräuel. "Sie [die Soldaten] trennten Frauen und Männer. Sie vergewaltigten etliche Frauen und zwangen die Männer, Steine von einem Ort an einen anderen zu schleppen, als Bestrafung [...] Einige [der Frauen] wurden im Krankenhaus vergewaltigt [...] Sieben Vergewaltigungen habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen", heißt es in einer weiteren, von HRW gesammelten Zeugenaussage.

Insgesamt sprach die Menschenrechtsorganisation mit mehr als 150 Überlebenden und Zeugen, die in den Tschad und in den Südsudan geflohen sind. 16 Personen wurden in Darfur befragt, weitere 45 Opfer und Zeugen schilderten telefonisch die traumatischen Ereignisse.


Entwaffnung und Auflösung der RSFs gefordert

"Die RSF hat Zivilisten in zahllosen Dörfern vorsätzlich und systematisch getötet, vergewaltigt und gefoltert", fasste Daniel Bekele, Leiter der Afrika-Abteilung von HRW, die Untersuchungsergebnisse seiner Organisation zusammen. An die sudanesische Regierung richtete er den Appell, diese Einheiten unverzüglich zu entwaffnen und aufzulösen und die für die Verbrechen verantwortlichen Kommandanten und Offiziere vor Gericht zu stellen.

Nach Aussagen von vier Überläufern, die der RSF oder anderen Regierungskräften angehört hatten, waren die Verbrechen von den Befehlshabern angeordnet worden. "Der Kommandant sagte uns, dass die Männer Rebellen sind oder die Rebellen unterstützen und dass die Frauen ihr Harem sind. Also geht man hin und vergewaltigt und tötet sie." Ein fünfter Überläufer räumte ein, selbst schwere Verbrechen begangen zu haben.

Weiter heißt es in dem HRW-Bericht, dass in den drei Wochen nach den Vorfällen in Golo die Massenvergewaltigungen in der Stadt und in dem Nachbarort Bardani weitergingen. "Die Gemeindemitglieder wurden gezwungen, zuzusehen. Wer sich weigerte, wurde getötet. Später wurden unbekleidete Frauenleichen auf den Straßen gefunden. Andere Frauen waren bei lebendigem Leib verbrannt worden."

Laut HRW beweisen die Übergriffe, dass es nach wie vor einer wirksamen internationalen Truppe bedarf, um die Zivilbevölkerung in Darfur vor derartigen Verbrechen zu schützen. Ebenso habe sich gezeigt, dass die derzeitige Hybridmission aus Kampfverbänden der Afrikanischen Union (AU) und der UN in Darfur (UNAMID) bei der Durchführung ihres Kernmandats - dem Schutz der Zivilisten - versage.

Zudem sei UNAMID ihrer Verpflichtung, detailliert über Menschenrechtsverbrechen zu berichten, nicht nachgekommen. Zwar habe der UN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat etliche Berichte über Attacken der RSFs und die dadurch verursachten Massenvertreibungen vorgelegt. Doch sei das ganze Ausmaß des Dramas nicht weitergegeben worden.

HRW rief den Sicherheitsrat, den Friedens- und Sicherheitsrat der AU sowie UNAMID auf, konkrete Schritte zu unternehmen, um weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, die Opfer humanitär zu versorgen und die vergewaltigten Mädchen und Frauen psychologisch zu betreuen. Außerdem müsse eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag bei der Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung der Täter erfolgen.

2009 hatte der ICC einen internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatschef Omar al Bashir wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im anhaltenden Darfur-Konflikt erlassen. Da die afrikanischen Staaten nicht mit dem Tribunal kooperierten, ließ die Chefanklägerin Fatou Bensouda den UN-Sicherheitsrat wissen, dass sie die Ermittlungen aufgrund der geringen Erfolgsaussichten vorübergehend einstellen würde.

Im vergangenen Juni besuchte das sudanesische Staatsoberhaupt ein AU-Gipfeltreffen in Südafrika. Er verließ offensichtlich mit Wissen der südafrikanischen Regierung unbehelligt das Land, obwohl ihm zuvor ein südafrikanisches Gericht die Ausreise untersagt hatte. (Ende/IPS/kb/11.09.2015)


Link:

http://www.hrw.org/de/news/2015/09/09/sudan-sondereinheit-wutet-darfur

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2015

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