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STANDPUNKT/027: Megaprojekte erhöhen nicht die Lebensqualität (NaturFreunde)


NaturFreunde Deutschlands - 7. Oktober 2010

Megaprojekte erhöhen nicht die Lebensqualität

Die Ursachen für die zunehmenden Proteste müssen endlich diskutiert werden, statt wie in einem Hamsterrad immer weiter und weiter zu laufen


Berlin, 7. Oktober 2010 - Stuttgart21 und Anti-Atom, bald Nolympia und Sparzwänge: Die wachsenden Proteste bei wechselnden Themen sind nur ein Symptom für viel tiefer liegende Herausforderungen. "In der Mitte unserer Gesellschaft wächst das Unbehagen, dass unser heutiges wachstumsorientiertes Handeln nicht in eine gute Zukunft für alle Menschen führt", mahnt der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller und erklärt: "Wenn sich alle tief verschulden müssen, damit wenige Gewinne machen, wenn alle unkalkulierbare Risiken tragen, damit wenige Chancen haben, wenn die Menschen noch nicht mal mehr gefragt werden, sondern nur noch scheinbar unabänderliche Entscheidungen abnicken sollen, spielt die Mehrheit dieses Spiel irgendwann nicht mehr mit."

Nur die aktuellen Proteste zu sehen, ohne die dahinter stehenden Ursachen zu analysieren, wäre nicht nur kurzsichtig, sondern auch verantwortungslos. Die große Wachstumsepoche, die auch den Aufstieg und die Stärke Europas begründet hat, ist vorbei. Deshalb schlittern beispielsweise die Sozialsysteme von Krise zu Krise, deshalb funktioniert das europäische Fortschrittsmodell nicht mehr, deshalb glauben die Menschen nicht mehr an die Verheißungen der Politik.

Viele fühlen, dass eine Epoche zu Ende geht. Unklar ist bisher noch, ob dieser Einschnitt nur die hohen Wachstumsraten der letzten Jahrzehnte beendet, auf denen auch Sozialsysteme und Beschäftigung aufbauen - oder gar die Ideengeschichte der europäischen Moderne mit ihrem Weg zu Fortschritt und Emanzipation.

Unsere Welt wird nicht nur global neu geordnet. Auch lokal merken die Menschen, dass zum Beispiel die milliardenschweren Megaprojekte ihre individuelle Lebensqualität nicht etwa erhöhen, sondern tatsächlich einschränken: Wenn sich all tief verschulden müssen, damit wenige Gewinne machen, wenn alle unkalkulierbare Risiken tragen, damit wenige Chancen haben, wenn die Menschen noch nicht mal mehr gefragt werden, sondern nur noch scheinbar unabänderliche Entscheidungen abnicken sollen, spielt die Mehrheit dieses Spiel irgendwann nicht mehr mit.

Wir müssen einen anderen, einen langfristigen Blick auf die Vorgänge unserer Zeit entwickeln und die gesellschaftlichen Debatten endlich repolitisieren. Denn die allgemeine Kurzfristigkeit im Denken und Handeln entspricht der heutigen Kurzsichtigkeit in der Politik. Die Demokratie braucht aber nicht nur die Abgrenzung der Parteien, nicht nur den Streit um die Tagespolitik. Sie braucht vor allem einen echten Zukunftsdiskurs, eine allgemein akzeptierte Vorstellung, wie wir alle ein gutes Leben erreichen und halten können.

Wohin die aktuellen Megatrends wie Instabilität, Spaltung und ökologische Zerstörung führen können, wissen wir aus der Geschichte. Deshalb muss es dringend zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des herrschenden Wachstumsbegriffs kommen. Diese Debatte muss sich dabei nicht nur mit unseren aktuellen Problemen beschäftigen, sondern auch mit unserer unbestreitbaren Verantwortung für die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen.

Die NaturFreunde debattieren bereits seit rund einem Jahr über Vor- und Nachteile der Wachstumsphilosophie: Sie ist nicht nur aus ökologischen Gründen indiskutabel, sondern ökonomisch auch immer weniger machbar. So verliert das Wachstum selbst sozialpolitisch seine Legitimation.

Tatsache ist: Die herrschende Wachstumsphilosophie führt uns an einen Abgrund, über den keine Brücke reicht. Tatsache ist aber auch: Die Funktionslogik des Wachstums prägt unsere Gesellschaft und Wirtschaft durch und durch: Wie in einem Hamsterrad laufen wir immer weiter. Solange die Menschen diese "neue Systemfrage" nicht erkennen, kann es keine Lösung der zunehmenden wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Krisen geben - und damit auch kein gutes Leben für alle Menschen.


Die NaturFreunde Deutschlands: ein politischer Bildungsverein

Die NaturFreunde Deutschlands - Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur e.V. führen Menschen in die Natur, in der sie sich erholen und weiterbilden, um besser an der Gesellschaft teilhaben und diese selbst mitgestalten zu können sowie mehr Freiheit zu erleben. Dabei haben die NaturFreunde ein Freiheitsverständnis, das sich nicht nur auf den einzelnen Menschen, sondern auch auf die Gesellschaft und die Erhaltung der natürlichen Umwelt bezieht.

In Deutschland gibt es in allen Bundesländern NaturFreunde-Landesverbände, die Vereinsleben und Projekte auf regionaler Ebene koordinieren. In den rund 650 deutschen Orts-, Bezirks- und Regionalgruppen engagieren sich über 75.000 Mitglieder. Zumeist ehrenamtlich bewirtschaften diese auch die über 400 deutschen Naturfreundehäuser als offene Stätten der Begegnung.

Dachverband der internationalen NaturFreunde-Bewegung mit weltweit mehr als 500.000 Mitgliedern und rund 1.000 Naturfreundehäusern in über 50 Mitglieds-und Partnerorganisationen ist die NaturFreunde Internationale (NFI) mit Sitz in Wien. Sie zählt zu den größten NGO weltweit und ist Mitglied der sogenannten Green10.

www.naturfreunde.de


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Quelle:
Presseinformation vom 07.10.2010
Herausgeber: NaturFreunde Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2010