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STANDPUNKT/684: Kaya, die königliche Hündin (Uri Avnery)


Kaya, die königliche Hündin

von Uri Avnery, 26. August 2017


DAS SPEKTAKEL ist fast bizarr: eine politische Partei weigert sich, neue Mitglieder aufzunehmen. Und nicht nur ein paar Einzelne, sondern Zehntausende. Und nicht nur irgendeine Partei, sondern der Likud ("Vereinigung"), die Hauptkraft in Israels Regierungskoalition.

Seltsam? Doch in diesem Wahnsinn liegt Methode. Bald könnte der Fall vor das Oberste Gericht Israels kommen.

Die gegenwärtigen Führer der Partei, Benjamin Netanjahu und seine Genossen, fürchten, dass die Leute, die sich jetzt als Likud-Mitglieder einschreiben lassen wollen, in Wirklichkeit Siedler in den besetzten Gebieten sind, die den Likud übernehmen wollen, während sie in Wirklichkeit ihren eigenen Parteien treu bleiben, die noch extremistischer sind.

Einer der gegenwärtigen Likud-Mitglieder in der Knesset hat einen Gesetzentwurf eingereicht, der wohl einzigartig in der Welt sein mag. Er soll der Möglichkeit entgegenwirken, dass diese neuen Likud-Mitglieder bei den allgemeinen Wahlen nicht den Likud wählen. Um diese Möglichkeit unmöglich zu machen, heißt es in dem Gesetzentwurf: Wenn sich neue Mitglieder bei der Likud-Partei einschreiben lassen, wird ihr Name im Wähler-Register für die allgemeinen Wahlen gestrichen und sie werden als Likud-Wähler geführt.

Dies ist offenkundig nicht verfassungsmäßig, da es die Geheimhaltung der Wahl aufhebt. Der Rechtsberater der Knesset wird dies wahrscheinlich blockieren. Falls nicht, wird der Fall zum Obersten Gericht gehen.

Dies alles zeigt, dass der Likud ein seltsamer Vogel ist. Und nicht erst seit heute.


VOR EINIGEN Jahren kam ein führender französischer Journalist während der israelischen Wahlkampagne zu mir. Ich schickte ihn in eine Wahlveranstaltung von Menachem Begin.

Als er zurückkam, war er verblüfft. "Ich versteh das nicht", erklärte er. "Als er über die Araber sprach, klang er wie ein fanatischer Faschist. Als er über soziale Angelegenheiten sprach, klang er wie ein moderater Liberaler. Wie passt das zusammen?"

"Begin ist kein großer Denker," erklärte ich ihm. "Die ganze Ideologie des Likud geht auf Vladimir Jabotinsky zurück."

Vladimir (oder Zeev) Jabotinsky war der Gründer der "revisionistischen" Partei, der Mutter der Herut-Partei, die wiederum die Mutter des heutigen Likud ist. Er wurde 1880 in Odessa in der Ukraine geboren. Als junger Mensch wurde er als Journalist nach Italien geschickt, einem Land, das nicht lange zuvor seine Freiheit erlangte.

Die italienische Befreiungsbewegung war eine ungewöhnliche Mischung aus extremem Patriotismus und liberalen sozialen Ideen. Dies legte die politische Auffassung des jungen Jabotinsky für sein Leben fest.

Er war eine faszinierende Persönlichkeit, auf vielen Gebieten außerordentlich begabt. Er schrieb eine Novelle (über den biblischen Held Samson), übersetzte Edgar Allen Poes Gedichte ins Hebräische, war ein brillanter Redner und ein begabter Journalist, er schrieb Lieder und vieles mehr. Im Ersten Weltkrieg half er, jüdische Bataillone in der britischen Armee zu gründen und war ein junger Offizier bei der Eroberung Palästinas.

Ein paar Jahre später teilten die Briten Palästina und errichteten das separate arabische Emirat von Transjordanien. Jabotinsky war dagegen und schuf die ultra-zionistische "revisionistische Partei", die die "Revision" dieser Entscheidung forderte.

Jabotinsky verabscheute die mürrischen, sozialistischen "Pioniere", die die zionistische Gemeinde in Palästina dominierten und die ihn hassten. Ich vermute, dass er nicht unglücklich war, als die Briten ihn aus dem Land warfen. David Ben-Gurion nannte ihn einen "Faschisten" - obwohl der Italien-Verehrer Jabotinsky Benito Mussolini hasste.

Während jener Jahre war Jabotinsky ein Agitator, der in der Welt herumreiste und der einen wöchentlichen Artikel schrieb, den ich mit Hingabe las. Ich bewunderte seinen klaren, logischen Stil. Seine Bewegung wuchs in mehreren Ländern, besonders in Polen.


IN PALÄSTINA blieb Jabotinskys revisionistische Bewegung eine kleine und abgelehnte Minderheit. Als jedoch die gewaltsamen jüdisch-arabischen Konflikte ausbrachen, schuf seine Bewegung den Irgun, eine bewaffnete Untergrundorganisation. Jabotinsky war dem Namen nach ihr Kommandeur. Vor allem seinetwegen schloss ich mich ihr an, als ich kaum 15 Jahre alt war.

Anfang 1939 versammelten sich Jabotinskys Anhänger aus aller Welt in Warschau. Die Kriegswolken zogen schon auf, aber Jabotinsky behauptete, ein Krieg sei unmöglich - die modernen Waffen wären zu mörderisch. Als einer seiner polnischen Anhänger, ein Jugendlicher mit Namen Menachem Begin, ihm zu widersprechen wagte, antwortete der Führer ätzend: "Herr, wenn ich eure Überzeugung hätte, würde ich in die Weichsel springen."

Doch der Zweite Weltkrieg brach tatsächlich aus. Jabotinsky floh in die USA, wo er plötzlich an einem Herzanfall starb. Begin, der nicht in den Fluss sprang, erreichte schließlich Palästina und wurde zum Kommandeur der Irgun ernannt, die eine der erfolgreichsten terroristischen Organisationen der Welt wurde.


ALS DER Staat Israel gegründet worden war, wurde Begin der Führer der Opposition und Verfechter der Demokratie. Er verwarf die "revisionistische" Partei und schuf seine eigene Herut-("Freiheit") Partei, an deren Spitze er acht auf einander folgende Wahlkämpfe verlor.

Als er schließlich 1977 an die Macht kam, überraschte er die Welt, indem er mit Ägypten, dem mächtigsten arabischen Land, Frieden schloss. Ich war gar nicht überrascht.

Begin war keine so brillante Persönlichkeit wie Jabotinsky. Er folgte seinem Herrn äußerst gewissenhaft. Jabotinskys Ideologie war eine Landkarte: "Eretz Israel auf beiden Seiten des Jordan". Die Karte schloss die Sinai-Halbinsel nicht ein. Deshalb hatte Begin keine Bedenken, sie an Ägypten zurück zu geben. (Sie schloss auch die Golanhöhen nicht mit ein, die Begin ohne zu zögern an Syrien zurückgegeben hätte).

Mit der Zeit vergaßen Begin und seine Nachfolger das Land jenseits des Jordan. Sie sangen zwar noch das von Jabotinsky gedichtete Lied ("der Jordan hat zwei Ufer - das eine gehört genauso uns wie das andere"), aber Realpolitik ist stärker als Lieder. Das Königreich Jordanien ist jetzt eines von Israels bedeutendsten Verbündeten, und Israel hat es mehrere Male vor der Auslöschung bewahrt.

Doch die Behauptung, dass Jordanien - wie die Westbank - ein Teil des jüdischen Staates sein muss, ist ein markanter Punkt im Programm der Likud-Partei. Das hatten alle seit Langem vergessen - bis zu dieser Woche.

Benjamin Netanjahus Mitarbeiter, die darum kämpfen, die "neuen Bewerber" davon abzuhalten, Mitglieder ihrer Partei zu werden, fordern von ihnen die Erklärung, dass sie alle Teile des offiziellen Likud-Programms - darunter die Forderung, dass Jordanien ein Teil Israels werde - vollkommen akzeptieren.


WAS DIE Persönlichkeit betrifft, so steht Netanjahu weit unter Begin, wie Begin weit unter Jabotinsky stand. Es gab bei Begin nicht den Hauch eines persönlichen Fehlverhaltens. Er war für seinen bescheidenen Lebensstandard bekannt. Netanjahu ist von einem starken Geruch von Korruption umgeben. Mehrere Ermittlungen gegen ihn und seine Frau Sarah laufen und jede könnte sie ins Gefängnis bringen.

Jabotinsky hätte mit Abscheu auf ihn herabgesehen.

Und doch ...

Ein jüdischer Witz erzählt vom Tod eines reichen Mannes im Ghetto. Der Sitte nach muss ihn jemand loben und nur Gutes über ihn sagen. Es wurde keiner gefunden, der diese Pflicht erfüllen wollte. Schließlich meldete sich einer freiwillig.

"Wir wissen alle, dass Rabi Moshe eine widerliche Person war", sagte er "stinkreich, gemein und grausam. Aber verglichen mit seinem Sohn war er ein Engel!"

Etwas Ähnliches geschieht jetzt in Israel. Der Scheinwerfer richtet sich auf Yair, Netanjahus sechsundzwanzigjährigen ältesten Sohn.

"Bibi" ist schon seit 12 (nicht auf einander folgenden) Jahren an der Macht und benimmt sich wie ein König. "Sarahle", seine Frau, benimmt sich wie eine Königin in der Art wie Marie-Antoinette. Im Volksmund ist Yair der "Kronprinz".

Ein sehr unbändiger Prinz. Er lebt mit seinen Eltern in der offiziellen Residenz und benimmt sich wie ein verzogener Bengel. Ihn begleiten vom Staat bezahlte Leibwächter. Er hat keinen sichtbaren Beruf. Und während der letzten paar Tage ist er allgemein bekannt geworden.

Wie Donald der Trump spuckt Yair im Internet beleidigende Kommentare in alle Richtungen. Zum Beispiel nennt er den "New Israel Fund" eine Stiftung, die linke Gruppen unterstützt. Der "New Israel Fund für die Zerstörung Israels".

Die letzte Episode betrifft die städtische Verordnung, die Hundebesitzer verpflichtet, an öffentlichen Plätzen die Exkremente ihrer Tiere einzusammeln. Yair ging mit der königlichen Hündin spazieren, der jetzt berühmten Kaya, ohne ihre Exkremente von der Straße aufzuheben. Als eine Dame ihn anhielt und aufforderte, dem Gesetz zu folgen, machte er eine obszöne Geste - die die Dame rechtzeitig fotografierte.

Jabotinsky, Begin, Bibi, Yair - was für ein Unterschied!



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 26.08.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2017

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