Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/761: Wie man Weltmacht wird (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 11. Mai 2018
german-foreign-policy.com

Wie man Weltmacht wird


BERLIN/TEHERAN/WASHINGTON - Berlin sucht den Bruch des Atomabkmmens mit Iran durch Washington zur Verstärkung des Drucks auf Teheran zu nutzen. Man wolle zwar weiterhin an dem Abkommen festhalten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am Mittwoch veröffentlicht haben. Doch müsse die iranische Regierung sich bereiterklären, ihr Raketenprogramm und ihre regionalen Einflussbemühungen einzuschränken. Die Wiedereinführung der US-Sanktionen erlaubt es Berlin, ihren anhaltenden Druck auf Teheran als Kriegsvermeidung zu maskieren. Zugleich heizen die US-Sanktionen gegen Iran den Machtkampf zwischen EU und USA weiter an. Allein dem Airbus-Konzern drohen durch den erzwungenen Boykott Geschäfte in einem Wert von 16 Milliarden Euro verloren zu gehen. Kommentatoren raten, sich zur Wehr zu setzen: "Weltmacht wird man nicht im Seminarraum." Unterdessen heizt Israel die eskalierenden Spannungen mit Überfällen auf Syrien weiter an.

Überfall auf Syrien

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatten die israelischen Streitkräfte rund 50 Ziele in Syrien bombardiert. Vorausgegangen waren - nach rund 100 israelischen Angriffen auf Syrien seit 2011 - zunächst ein weiterer Angriff am Dienstag sowie laut israelischen Angaben ein Gegenschlag mit einem Mehrfachraketenwerfer, der 30 bis 40 Kilometer von Damaskus entfernt gewesen sein soll. Die Regierung in Tel Aviv behauptet, es habe sich bei ihm um einen iranischen Raketenwerfer gehandelt. Offiziell heißt es, Ziel seien Stellungen iranischer Milizen gewesen. Laut Berichten wurden allerdings auch syrische Flugabwehrbatterien sowie Radaranlagen getroffen. Der Angriff ist, wie verlautet, mit Moskau abgesprochen gewesen.[1]

"Die Handlungsfreiheit der USA"

Unabhängig vom Fortgang der israelischen Aggression gegen Syrien droht die US-Politik in näherer Zukunft einen Krieg gegen Iran zu provozieren. Mit dem Bruch des Atomabkommens und der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats, die das Abkommen unterstützt, nimmt die Trump-Administration in Kauf, dass Teheran die hinfällig gewordene Vereinbarung ebenfalls nicht mehr einhält und das Atomprogramm wieder aufnimmt. Beobachter befürchten dann einen US-Überfall auf Iran, wie ihn mehrere Hardliner aus der Administration, etwa Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo, bereits seit Jahren androhen. Den Hintergrund hat einst der US-Militärexperte Matthew Kroenig erläutert, der von Juli 2010 bis Juli 2012 als Iran-Sonderberater beim US-Verteidigungsminister tätig war. Eine iranische Atombombe würde künftig "die Handlungsfähigkeit der USA im Mittleren Osten begrenzen", schrieb Kroenig; Washington müsse dann "zweimal nachdenken, bevor es in der Region etwas unternimmt".[2] Das sei nicht akzeptabel und müsse verhindert werden, wenn nötig, per Krieg.

Verhandeln unter Druck

Berlin sucht einerseits die Aggression gegen Iran zu nutzen, um Teheran zu Zugeständnissen zu nötigen. Zwar fühle man sich dem Atomabkommen "weiterhin verpflichtet", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs am Mittwoch veröffentlicht haben. Zugleich verlangen Berlin, Paris und London nun jedoch, Iran müsse nicht nur "seine eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen weiterhin erfüllen", sondern sich auch noch weiteren Forderungen des Westens beugen. So solle Teheran nicht nur bereit sein, einen "langfristigen Rahmen für das iranische Nuklearprogramm" für die Zeit nach dem Auslaufen des Abkommens zu akzeptieren; es müssten darüber hinaus "Fragen des ballistischen Raketenprogramms des Iran und auch dessen destabilisierende regionale Aktivitäten, insbesondere in Syrien, Irak und im Jemen, gelöst werden".[3] Berlin hofft, dass Teheran unter dem Druck der US-amerikanisch-israelischen Aggression zu den gewünschten Zugeständnissen erpresst werden kann.

Hausgemacht

Bei Irans "regionalen Aktivitäten", über die sich Berlin, Paris und London in ihrer gemeinsamen Erklärung beschweren, handelt es sich durchweg um die Resultate von Aggressionen des Westens und seiner regionalen Verbündeten. Der US-geführte Überfall auf den Irak im Jahr 2003 hat der schiitischen Mehrheit des Landes den Weg an die Macht gebahnt und damit auch Iran erheblichen Einfluss in Bagdad beschert. Der von den NATO-Staaten und ihren regionalen Verbündeten befeuerte Krieg in Syrien hat die Regierung in Damaskus veranlasst, auch in Iran militärischen Beistand zu suchen; dies hat die Präsenz iranischer Militärs in Syrien mit sich gebracht. Teherans zunächst schwacher Einfluss auf die Houthi-Milizen im Jemen ist erst in den vergangenen Jahren stärker geworden, als der Angriffskrieg, den Saudi-Arabien mit US-Unterstützung gegen sie führt, die Houthi Iran in die Arme trieb. Gegen die von ihnen selbst bewirkte Stärkung Irans gehen die westlichen Mächte nun mit abgestuften Aggressionen vor.

Milliardenverluste

Andererseits steht Berlin mit dem Beginn der neuen Aggressionen gegen Iran vor unangenehmen Entscheidungen im Verhältnis zu Washington. Die Trump-Administration hat die Bundesregierung bereits mit den drohenden Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumexporte empfindlich unter Druck gesetzt.[4] Auch die jüngsten, im Alleingang verhängten Russland-Sanktionen drohen deutsche Unternehmen schwer zu schädigen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Der nun einseitig verkündete Bruch des Atomabkommens und die Wiedereinführung von US-Sanktionen auf Iran-Geschäfte bringen weitere milliardenschwere Einbußen für die deutsche Industrie mit sich. Bereits jetzt ist klar, dass die Lieferung von 100 Airbus-Flugzeugen mit einem Listenpreis von 16 Milliarden Euro, auf die sich der europäische Luftfahrtkonzern im Dezember 2016 mit Iran Air geeinigt hat, wohl abgesagt werden muss: Die Trump-Administration hat die Exportgenehmigung für in den USA hergestellte Flugzeugteile annulliert. Airbus hat erklärt, sich an die Sanktionen halten zu wollen.[6] Weitere deutsche Konzerne rechnen mit empfindlichen Einbußen: Der Handel zwischen Deutschland und Iran hat zuletzt wieder ein Volumen von 3,4 Milliarden Euro im Jahr erreicht. Zahlreichen deutschen Unternehmen sind die Hände gebunden: Ihr Geschäft in den USA übertrifft dasjenige in Iran um ein Vielfaches und kann nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Eine zweite Front

Damit allerdings werden die neuen Sanktionen auch Teil des Machtkampfs zwischen Deutschland und den USA. Berlin hat zuletzt immer wieder bekräftigt, weltpolitisch aufsteigen und "auf Augenhöhe" mit Washington operieren zu wollen.[7] Trump geht dagegen unter anderem mit einer aggressiven Handelspolitik vor - nun auch gegenüber deutschen Iran-Geschäften. Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, hat am Dienstag, seinem ersten Tag im Amt, Unternehmen aus der Bundesrepublik per Twitter ultimativ aufgefordert, ihre Geschäfte in Iran "sofort herunterzufahren".[8] In der deutschen Hauptstadt herrscht Empörung über den "Kasernenhofton", in dem der US-Diplomat der Wirtschaft seines Gastlandes Befehle erteilt. In deutschen Medien ist bereits von einer "zweiten Front" im Handelskrieg zwischen Deutschland und den USA die Rede.[9] Für die Bundesregierung ist die Lage heikel: Sie steht zwischen der Wahl, sich den Vereinigten Staaten unterzuordnen oder heftige Einbrüche auf ihrem größten Absatzmarkt und mit Abstand wichtigsten Investitionsstandort - den USA - zu riskieren. Ein einflussreicher Kommentator dringt darauf, Berlin müsse lernen, sich in Washington "Gehör und Achtung zu verschaffen und seine eigenen Interessen geltend zu machen": "Weltmacht wird man nicht im Seminarraum, durch selbstgefälliges Reden oder Beleidigtsein."[10]

Transatlantische Prioritäten

In regierungsfinanzierten Think-Tanks werden inzwischen allerdings auch Ratschläge laut, dem Konflikt durch eine Beteiligung an der US-Aggression gegen Iran zu entkommen. So erklärt ein Mittelostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sollte Iran sein Atomprogramm tatsächlich wieder aufnehmen, dann "werden Deutschland und Europa Position beziehen müssen": "Sie sollten dann zu dem Schluss kommen, dass es wichtiger ist, die atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern als einen Krieg zu stoppen."[11] Damit wäre dann die transatlantische Einigkeit wiederhergestellt.


Anmerkungen:

[1] Benjamin Bidder: Darum kämpfen Israel und Iran in Syrien. spiegel.de 10.05.2018.

[2] Matthew Kroenig: Time to Attack Iran. Foreign Affairs January/February 2012. 
S. dazu Die Handlungsfreiheit des Westens.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6594/

[3] Gemeinsame Erklärung Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens zum Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Nuklearabkommen mit Iran.

[4] S. dazu Exportweltmeister unter Druck.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7583/

[5] S. dazu Streit um die Russlandpolitik.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7591/

[6] US-Regierung widerruft Exportlizenzen - Airbus hat ein Iran-Problem. handelsblatt.com 09.05.2018.

[7] S. dazu Auf Augenhöhe
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7220/
und Auf Augenhöhe (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7220/

[8] Scharfe Kritik an neuem US-Botschafter in Berlin. spiegel.de 09.05.2018.

[9] Markus Becker: Trump eröffnet zweite Front gegen Europa. spiegel.de 09.05.2018.

[10] Klaus-Dieter Frankenberger: Zeitenwende. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.05.2018.

[11] Guido Steinberg: Umgang mit dem Iran. In: Internationale Politik Mai/Juni 2018. S. 64-69.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang